29.6.

Zunächst hatte ich es für einen Druckfehler gehalten: Auf dem Foto vom Gartenspaziergang einiger Außenminister der Europäischen Union, das in der Sonntagszeitung auf deren zweiter Seite abgebildet war, ragte dem Luxemburger Jean Asselborn eine dünne grüne Linie schräg aus den Lippen hervor. Nach unten hin weisend, wo am Bildrand aus dem Vordergrund des Motives, brennweitenbedingt, unscharf die Büschel kniehoher Gräser ins Sonnenlicht strebten.

Aber konnte das sein? Selbst unter dem Fadenzähler, durch dessen Linse betrachtet sich die Fotos in Zeitungen zu reizvollen Mustern aus identisch großen Punkten pudriger Farben auflösen, schien diese grüne Linie noch immer als ein graphisches Element, ein rayon vert (nach Jules Verne).

Am darauf folgenden Morgen aber erhielt ich mit der Montagsausgabe den Beweis. Ein anderes Motiv von dem Spaziergang war dort veröffentlicht worden, und tatsächlich: Jean Asselborn hielt zweifellos einen Halm zwischen den Zähnen — unter Hasen gesprochen mümmelte er daran.

Dieses Wissen: Jean Asselborn benutzt einen Grashalm während schwerwiegender Dienstgespräche, um sich mit dessen Hilfe gleichsam konzentrieren wie auch zerstreuen zu können, ließ mir diesen bis zu jenem Sonntag unbekannten homo politicus aufgrund seiner Hasenhaftigkeit megaliebenswert werden. Dazu die sog. soft facts: dienstältester Außenminister in der EU, seit nunmehr 36 Jahren mit seiner Frau verheiratet.

In dem Roman Le Rayon Vert, dem einzigen nicht spektakulären Roman von Jules Verne, geht es bekanntlich um eine Frau, die sich erst dann heiraten lassen will, wenn sie in Schottland das Naturphänomen des grünen Strahls, einem Wetterleuchten über der See kurz vor Sonnenuntergang, bezeugt haben wird. Der grüne Strahl, so die Legende, beweist demjenigen, der ihn schaut, dass die sogenannte Liebe wahrhaftig existiert. Und möglich ist.

Interessant in dem Zusammenhang ist die anhaltende, momentan freilich unterrepräsentierte Diskussion um die Verwechselbarkeit der Luxemburgischen Nationalflagge mit jener des Beneluxpartners Niederlanden. Beide scheinen zwar vom grafischen Prinzip her gleich aufgebaut, doch ist der blaue Streifen in Luxemburg als ein Himmelblau festgelegt, während die Niederlanden ihr Blau als ultramarin codieren. Mein Vorschlag: Für Luxemburg einen Hasenmund in stilisierter Form mittig in das Streifenmotiv fügen (Mercedes-Zeichen, bzw. Peace-Logo; letzteres mit einem in grün dargestellten Mittelstrich).