29.7.2019

Abends von Friederike ins Kino ausgeführt. Das haben wir, in beinahe vier Jahren, noch nie zusammen gemacht. Kurios. Neulich, kurz nach den Filmfestspielen von Cannes sprach ich mit Verena Lueken über das Phänomen, sie hatte einen Text in der Zeitung veröffentlicht mit dem Titel «Brauchen wir das Kino noch, und wenn ja: wozu?» An dem Abend erzählte sie mir, dass sie mittlerweile an der Universität vor Filmkritikern in spe spricht, deren letzte Kinobesuche häufig schon Monate zurückliegen. Im Kino also, das übrigens ausverkauft war, versuchte ich mich vor allem einzulassen auf die soziale Situation im Kinosaal. Friederike hatte mich schon vor Jahren und damit wie es ihre Art ist, weit vorbeugend darum gebeten, dass, sollten wir dann einmal zusammen ins Kino gehen, ich sie bitte weder ansprechen sollte in Bezug auf die Handlung, oder was die grossen Köpfe auf der Leinwand gesagt, noch was die Umsitzenden beträfe et cetera pp. Diese, an unserem ersten gemeinsamen Kinobesuch um uns plazierten, redeten für mein Gefühl unbotmässig laut noch während der Werbung und das auch ohne Unterlass. Wir schauten «Der Tod in Madrid» von Pedro Almòdovar, dessen Filme mir immer ausgezeichnet gefallen haben.

Frau Lueken, die den Film sehr gelobt hatte im Feuilleton, hatte mich auf besagtem Abend darauf hingewiesen, dass die angehenden Filmkritiker in ihrem Seminar wie alle anderen und jedermann sonst auch ihre Filme und Serien daheim anschauen, teilweise natürlich mit professioneller Technik, also mit Heim-Beamer an die Schlafzimmerwand projiziert. Das hat, wie ich feststellen zu meinen glaubte: Auswirkungen. Das Plappern und Knuspern um uns herum hörte ja auch während des sogenannten Hauptfilms nie wirklich auf. Hatte aber, meiner unausgesprochenen Ansicht nach, auch oder vor allem mit der Machart des Filmes zu tun: der nämlich hatte kaum untermalenden Score, dessen Klänge die Zuschauer darauf hinweisen konnte, wie sie die Dialogsätze zu nehmen hatten (empfindungsmässig). Auch waren diese Dialoge viel zu wenig gesalzen, meint: pointiert. Oft, ja: beinahe immer ging eine Szene ohne Witz zuende. Herrlich lakonisch (könnte aber von einem auf Reizungen abonnierten Gemüt ebenso als uninspiriert beurteilt worden sein). Der Mann neben mir, anscheinend daran gewohnt, seinen Content im Liegen aufzunehmen, sass ungemütlich steif im Sitz und machte, offenbar hatte ihm seine Frau dazu das Placet erteilt, eben dies, was ich nicht wollte: er kommentierte die Handlung und fasste die Dialogszenen für seine Vertraute zusammen. Als in der für mich wichtigen Szene des reifen Protagonisten mit seiner Mutter dementsprechend häufig das Wort «Mutter» fiel (ohne durch Synonyme wie Erzeugerin, Frau meines Vaters oder auch Mutsch durchgewechselt worden zu sein), lehnte er sich pointierend zu seiner Frau und bühnenflüsterte «Die Spanier haben halt einen Ödipuskomplex, Jesus Christ!» Ihre Antwort blieb für mich unhörbar, vielleicht behielt sie es für sich.

Ich war da noch bei dem Geschehen auf der Leinwand. Die Mutter sagte zu ihrem Sohn: «Ich mag Deine Autofiktion nicht.»

Er, ihre Hand suchend «Mutter.»

Sie «Nein! Alle Nachbarn beschweren sich bei mir. Sie wollen nicht in deinen Filmen vorkommen.»

Eigentlich wollten wir mit einem dieser Roller heimfahren. Aber als wir aus dem Kino kamen, waren die alle schon abgeschaltet.