30.1.

Immer wenn es regnet, muss zumindest ich nicht an Max Herre denken, dafür umso heftiger an die Muse. Mein Vater liegt im Krankenhaus. Dieses Krankenhaus kenne ich, meinen Vater leider nicht so gut.

Schlaganfall, das klingt bescheuert. Mein Vater, eine Kameliendame? Das sind so Fragen; Fragen, die ich gerade so überhaupt gar nicht gebrauchen kann.

Alles fing damit an (Christian Kracht), dass der Router (Hitron Technologies) plötzlich anders zu blinken begann. Anders, weil er blinkt ja andauernd und ständig (in grün). Blinken halte ich in gleichwelchen Farbtönen nur schlecht aus, ich lösche ja auch jede E-Mail im Spam sofort und nicht etwa umgehend, weil ich diese Zahlen, die Mail mir dann anzeigt, nicht ertragen kann. Wobei: ertragen vermutlich schon, aber konzentrieren (ich mich) halt nicht oder schlecht. Ich muss ja auch immer die Spülmaschine ausräumen und alles wegsaugen oder aufräumen, bevor ich überhaupt einen einzigen Satz eintippen kann. Wie andere beim Schreiben auch noch Musik hören können, also: wie sie das schaffen, ist mir ein Rätsel. Und zwar eines von denen, davon gibt’s ziemlich viele, die ich niemals lösen können werde. Wie Moritz mir mal sagte: »Es muss knallstill sein dabei«.

Mein Nachbar hat gestern wieder Löcher gebohrt. Und das manisch. Inzwischen werden es um die hundert sein, so lange wohne ich schon hier (nicht, dass es da einen Zusammenhang gäbe). Neugierig bin ich auch nicht, aber vielleicht ist es ja so, dass er die Internetleitung angebohrt
hätte – also klingele ich, das Bohren hört sofort auf und, obwohl es mir unangenehm ist, bittet er mich herein.

– Das ist mir jetzt aber unangenehm.

– Hab’ dich nicht so. Komm’ rein!

Er sagt es von sich aus: »Diese Wand dort, sie kriegt Sommersprossen«. Und  er spricht es vor sich selbst aus wie UKW: »Es kommen immer mehr geschossen.« Er kann sie angeblich nicht anders vertreiben, als sie in die Wand tiefer hineinzudrillen mit seiner Maschine.

(Auf dem Tisch liegt das Gerät und eine goldene Kundenkarte von Alufolie24.de.)

Wir trinken Tee aus total schönen Tassen (Indisch Blau von Hutschenreuther), und er behauptet, dass er das Internet nicht angebohrt haben will (oder wollte). Mit Sicherheit.

Wie soll ich ihm glauben, wenn seine Wand ihm doch bändeweise widerspricht?

Meine Mutter meint auch, ich sollte mir keine Gedanken machen.

Bringt das was?

Es bringt: original nix. Besonders, weil ich dann bei Markus in die geliebte Frankfurter schaute und es ging in etwa routermäßig und exakt so beschissen weiter: Ein sogenannter Jakob Strobel y Serra (mit dem Namen würde man ihn bei der Zeit mit sogenannter Kusshand nehmen) hatte von nun an die Aufgabe des von mir heimlich, still und leise verehrten Dollase übernommen (Vorname weiß ich gerade nicht, und kann ja nicht googeln) – Methode Handstreich.

Naturgemäß ohne Vorwarnung!!! Ersetzen ist eh blöd, mein Textprogramm fragt mich schon andauernd, ob ich dies oder jenes ersetzen will, als ob es (Textprogramm) das und/oder tatsächlich können könnte.

Ich habe, jetzt muss es heißen: hatte seit Jahren ein Ding mit meinem Freund Jan, das hieß: wir schickten uns immer freitags den Lieblingssatz aus Dollases Aufsätzen. Es sind, jetzt muss es heißen: waren – da wir unterschiedliche Wach-/Schlafzeiten pflegen – verblüffend und damit beruhigend oft: dieselben gewesen.

Ich brauche gar nicht erst reinzulesen, tue es dann aber leider doch und der Text ist derartig grottig, ein Debütant halt, der sich (leider finde ich kein anderes Wort dafür) tierisch freut, dass er sich jetzt auf dem angewärmten Hocker so richtig mal ausbreiten darf: »Für uns gibt es jetzt einen solchen feinen Fisch, mariniert und als Tatar, begleitet von der alchimistischen Wundertat eines Eises aus rosafarbenen Tannenzapfenkartoffeln, austariert mit Orangen-Meerrettich-Pünktchen und großzügig vollendet mit Imperial-Kaviar – wieder ein Gericht von der Harmoniesucht eines Haydn am Herd.«

Ich würde ja gerne »Genau« schreien, und: »Alter!!!«, aber das bringe ich nicht übers Herz. Philipp Jessen aber schon. Von daher besteht für uns andere halt noch diese recht große Chance, dass JakobSyS bald schon mit verdoppeltem Gehalt den Stern zutexten darf, aber der Unterschied zwischen Menschen, die LSD eingenommen haben (Dollase) und davon weise wurden, und solchen (JSyS), die bloß so tun wollen als ob, also schlau sind, bleibt eben weiterhin und: bestehen.

– Na gut, sagte Markus, dem ich den Satz aus dem Feuilleton dieser Zeitung vorgelesen hatte, und schaute.

FAZ abbestellen?, fragte ich.

– Zurückschicken, sagte Markus, ab morgen. Jede einzelne Ausgabe. Nur so wird es zum Protest.

Ja, genau, denn das vergessen die Rookies, die sich in die Küche wagen, aber die Hitze des Herdfeuers scheuen, leider: Köche wissen so viel mehr, als man in Frankfurt zu mindestens annimmt. Das geheime Wissen der Köche ergäbe ein Buch, das ebenso dick ausfallen dürfte wie das berüchtigte vom Geheimen Wissen der Frauen.

Es gibt für mich auf der ganzen Welt nichts Schöneres als die große Dose Nivea (250 ml), die große Packung Cornflakes von Kellogg’s (450 Gramm), Hämatome, die Typo der Normschreiben des Berliner Finanzamtes; die Typo, in der das 6310 die SMS der Muse darstellt auf seinem blau leuchtenden Display. Das Hotel Chevalier und Käsetoasts, wenn Markus sie macht. Einschlafen können und die drei Streifen von Adidas. Träumen, vor allem, mich daran erinnern können – egal an was. Die vier Stitches hinten in den Kleidungsstücken von Maison Martin Margiela. Den neuen Zwanzigeuroschein, dieses Türkis und der Gilb; den 500 Euroschein, den mir Tabassom mal geschenkt hat und den mir an jenem Abend leider wirklich kein einziger Spätkauf auf der Torstraße hat einlösen können; Hibiskustee mit einer Träne Kondensmilch drin, Rasierklingen – Stainless, Rostfrei, Platinum Coated (Ich denke mir das nicht aus, das steht da original in diesem Sprachmix drauf), die Seife aus Aleppo in diesem speziellen Grün mit der eingeprägten Kalligrafie, die leider schon nach einmaliger Benutzung verschwindet; Hasen!, die Muse!!! und Proxy, der Hinterkopf von Christian Boros, Blumen (sämtliche, bis auf Gerbera), Wasser aus der Leitung, der Kaffee bei Markus und im Souterrain, die Schrift, in der die Frankfurter Allgemeine Zeitung sich mir bis dato jeden Morgen präsentiert hat, die Stimme von Nina Simone, wenn sie auf dem Jazzfestival zu Montreux dem Publikum ihre Lecture zum Thema Pop anhand von Feelings hält. Die Stimme von Nina Simone, wenn sie Alone Again vorträgt. Die Stimme von Nina Simone.

Gibt es etwas Schöneres auf der Welt für mich als die vorletzte Szene in Manhattan, wenn Isaac Davis in sein Diktaphon spricht?

Ich glaube nicht. Und falls Roman Flügel das eines Tages lesen sollte: Lieber Roman, ich würde Ihnen gerne die Spuren meines Lebens schicken. Ich hätte so wirklich gerne einen Remix von Ihnen!!!