30.4.2019

Nach der Arbeit im Studio machte ich einen Ausflug ins jüdische Viertel um den Manesseplatz. Hier mischen sich hebräische Schriftzeichen in die Schweizer Typographie der Ladenschilder. Auf die hohen Hüte der orthodox lebenden Männer, die hier auf Mountainbikes cruisen, passt freilich kein Fahrradhelm mehr obenauf—vielleicht handelte es sich ja auch schon um Integralhelme. Inmitten der koscheren Schlachter und Bagelbäckereien gibt es die für ihre Reformationswurst berühmte Metzgerei Keller (seit 1934). Dort kaufte ich ein, um mich für die anstehende Spätschicht in meinem Studiolo zu stärken. Yves hatte mir erzählt, dass die unvergleichbaren Cervelat am Sternengrill von der Metzgerei Keller bezogen werden. Interessanterweise findet sich die Bäckerei der sagenhaften »Gold Bürli«-Wecken ebenfalls dort in der Gegend. Die hatte allerdings schon zu.

In der Metzgerei selbst fragte ich, ob ich zugreifen dürfte bei den Cervelat, die vakuumisiert in einem Aquarium bereit lagen. Ja, schon, aber: das sind die Züri Stumpen, erklärte mir die Frau. Sie liessen sich rein äusserlich nicht von den Cervelat unterscheiden vor meinem Auge. Ich nahm also von beiden Sorten welche, um in einem Test mir meine Meinung bilden zu können. Und dazu fragte ich natürlich auch noch nach den berühmten Reformationswürsten. Alles wurde mir ohne eine scherzhafte Bemerkung verpackt und abgerechnet. Aber als ich hinsichtlich des Internationalen Tages der Arbeit einen schönen Feiertag wünschte, wurde sie fröhlich. Der 1. Mai, man fragt sich warum, gilt hier nämlich viel.

Die App kann die Laute der Schwalben nicht entziffern. Ihr Wetzen und Feilen klingt vielleicht zu mechanisch für das mechanische Ohr. Jedenfalls kreisen sie andauernd über mir. Und der Himmel zeigte heute ein Grand ballet. Mit tausenden von unten her angegoldeten Wolken. Die Sonne als Laserstrahl schnitt rot inmitten hindurch. So ein schönes Bild, und ich gedachte all meiner Verstorbenen; dass die das nicht mehr sehen.

Später, da war ich längst wieder in Hottingen, daheim im Kreis 7, das Zunftwappen zeigt ein vierblättriges Kleeblatt auf rotem Grund, und bereitete mir aus Neugier zunächst einen Stumpen zu. Scharf grilliert: Merveilleux! Vor allem mundete mir die nachfolgende Cerverlat, die ja als Nationalwurst geführt wird, kaum anders. Angeblich sind zwei Drittel der als schweizerische Nationallebensmittelheiligtümer geführten Erzeugnisse wursthaft. Auf der Verpackung von sowohl Stumpen als auch Cervelat las ich, dass die Würste bei Kellers mit Flüssigrauch verfeinert werden (das ist in Deutschland verboten.) Es bleibt wohl eine Glaubenssache. Wie so manches hier. So wie ich weiterhin glaube, dass mir über die Stuttgarter Rote nichts kommen kann in Sachen Würscht. Wenn man alles hat, geht es halt um die feinen Unterschiede.

Lorenz Jäger schickte mir eine Radiosendung über Wettertagebücher. Und ich sagte zu Markus: «Bislang habe ich Sprachen am Anfang mit den Zahlen gut gelernt.» Ich wollte eine Telefonnummer notieren. Und er gab mir, zunächst zweifelnd, vor: Driunachzig—sächzig… In mir waren die schweizerischen Zahlwörter allmählich da.

«Wir brechen wie die Strahlen, um zu funkeln»