30.6.2019

Die ultraviolette Strahlung heute so intensiv, dass ich dem Zeitungspapier beim Vergilben zusehen kann. Auf dem Wirtschaftsteil steht «Jetzt geht‘s abwärts», aber das Feuilleton ist heute so gut, dass ich es leise gilbend mit nach Hause trage. Tote Vögel am Wegesrand. Manche noch embryonal mit diesen gespenstisch grossen Mandelaugenlidern. Eine Wespe verschwand in der Brust eines Sperlings.

Filmleute finden den «Bemalten Vogel» von Kosinski gut. Ich liebe sein «Being There: Es war Sonntag. Chance war im Garten. Er bewegte sich langsam, zog den grünen Schlauch von einem Pfad zum anderen und beobachtete sorgsam den Wasserstrahl.»

Mitsamt dem Feuilleton hat sich auf meinem Tisch eine Menge Papier angesammelt. Von links nach rechts: «Die Sekretärinnen» (aus dem Bücherschränkle im Freibad Hausen), «Pippi Langstrumpf» (Thomas Steinfeld in der Südi), Kirsten Stewart in einem T-Shirt, auf dessen Rücken quer steht: GET OFF MY DICK (032c).

Man (also ich) müsste etwas schreiben können, was in etwa so eine Wirkung bekommen könnte wie «River Man». Oder «Club Tropicana»—je nachdem.

Gestern abend kam ich vor dem Anker mit einem älteren Paar ins Gespräch, der eine war seit den sechziger Jahren im Senat beschäftigt («Ich habe sieben Köpfe rollen seh‘n»), der andere ein Emeritus der Sprachwissenschaft (von daher womöglich sein Gesichtsausdruck, als ich im Antwort gab auf seine Frage, was ich machte).

«Wir haben es ja jetzt hinter uns», sagte er. «Wir sind wohl aus der einzigen Generation, der es nur gut ging.»

Da es nach 22 Uhr war, sprachen sie alle sehr leise an den Tischen unter dem Nachthimmel. Die am Nebentisch, das fiel mir mit einem Mal auf, hatten zudem weiß leuchtende Gesichter. Und der Bart eines Mannes schaute nicht aus wie aus Haaren gewachsen, sondern wie ein Geflecht aus Schimmelpilz. Durch das stossende Flüstern und die weissen Gesichter wirkte die Szene auf mich wie Kabuki-Theater. War aber bloss Lichtschutzfaktor 50 in der Nacht.