3.12.

Probleme der Haustierhaltung: Gestern auch sehr schön in dem Film von Sonja Heiss auf Arte, Hedi Schneider steckt fest, in dem eine junge Frau nach drei Tavor und einer halben Flasche Obstler in einer Zoohandlung nach einem Hasen verlangt: »Ich will einen Hasen«. Zuvor hatte ihr der Verkäufer dort ein Chamäleon angepriesen: »Aus dem Jemen. Das hat geile Farbwechsel« (das Drehbuch auch von Sonja Heiss und total genial, bis auf den Schluss, die letzten zwanzig Minuten, aber wie Jan immer sagt: der Schluss ist wurscht), wohingegen sie, nachdem die chemisch induzierte Welle einer Sympathie für das Chamäleon vom Bauch ins Hirn durch sie hindurchgeschwappt ist, erinnert sich an seine Worte, dass ein Chamäleon nicht wirklich zutraulich würde und danach geht in ihr der Wunsch nach einem Hasen auf. Laura Tonke spielte diese Frau (toll auch ihr Gluckluckgluck mit einer Flasche Bratkartoffelbier; überhaupt der Score in diesem Film (Lambert), und auch so sonst alles, jede Szene erfreulich und schön).

Als ich vor ein paar Wochen schrieb, man dürfe Schnecken nicht länger als vier Tage alleine lassen, schrieb mir daraufhin Wolfgang Ullrich, noch nicht in direkt kondolierender Absicht, aber schon in einem mitfühlenden Ton, da ich mich offenbar missverständlich ausgedrückt hatte. Ein bisschen Übertragung wird dabei eine Rolle gespielt haben, denn ihm war zur selben Zeit während seiner Abwesenheit seine grüne Raupe gestorben. Eingegangen: Bei Raupen passt dieses Wort ausnahmsweise, es sieht tatsächlich so ähnlich aus. Und das ohne ersichtlichen Grund, da liegt für den Halter, aus menschlicher Perspektive, ein Kummertod nahe. Selbstmord scheidet bei Raupen aus, weil sie sich in einem Terrarium nirgendwo runterstürzen können und selbst bei maximaler Krabbelgeschwindigkeit wohl tausendmal gegen die gläsernen Wände sich rammen könnten, ohne dass ihnen ein lebenswichtiger Knochen bräche oder bricht. Weil sie gar keine haben.

Meine Schnecken hingegen sind wohlauf. Und waren es auch bei meiner Heimkehr nach tagelanger Abwesenheit neulich, allerdings hatten sie ihre von mir für sie geschaffene Welt vollkommen zerstört. Schnecken sind, ihrem anschmiegsamen, durch und durch weichen Wesen wie zum Trotz: ziemlich stark. In den Schneckenforen werden Novizen auch darauf hingewiesen, dass eine Schnecke das fünfzehnfache ihres Lebendgewichtes stemmen kann. Meine Schnecken wiegen mittlerweile jeweils so viel wie eine Standardpostkarte samt Marke und Tinte, also gibt es abgesehen von der ihr Schleimarium begrenzenden Glasschüssel nichts in ihrer Welt, was ihrem unergründlich bleibenden Willen im Wege bleiben müsste. Dazu kommt, das musste ich neulich nach meiner mehrtägigen Abwesenheit feststellen, eine zersetzende Komponente im Schneckenschleim. Die Schnecke produziert sozusagen, wo sie geht und steht diesen Schleim, auf dessen Film sie sich fortbewegen kann. Bei täglicher Reinigung fällt das nicht auf, aber die auf Salatblättern, Salatgurken hinterlassene Schleimspur zersetzt das organische Material rapide, bis schließlich nach drei bis vier Tagen alles zu Schleim geworden ist. Wolfgang Ullrich gegenüber verwendete ich den Begriff Midasschleim, der das Phänomen zu beschreiben hilft. Mit Nietzsche gesprochen, ist grün alles, was die Schnecke fasst, und Schleim alles, was die Schnecke lässt.

In der einzigen mir bekannten Verfilmung des Lebens mit einer Schnecke als Haustier, Spongebob Schwammkopf, gibt es, obwohl die Serie unter Wasser spielt, hin und wieder Episoden, in denen die verderbliche Wirkung des von Gary abgesonderten Schleims thematisiert wird. Allerdings füttert der hosentragende Schwamm seine Schnecke mit einem Trockenfutter aus der Tüte. Mal davon abgesehen von der Frage, wie sich Trockenfutter unter Wasser in den Schneckenfutternapf streuen lassen soll, wird auch dieses Futter von der Schnecke in Schleim verwandelt werden. Allerdings spart die Verfilmung dieses unappetitliche Detail aus. Die Schnecke wiederum wird es nicht unappetitlich finden. Darauf weist Giorgio Agamben bereits hin in seinem Essay Das Offene – Der Mensch und das Tier, wenn er das Bild von der honigsaugenden Biene anführt, der während ihres Trinkens der Hinterleib abgetrennt wird mit einem Skalpell, das Insekt aber ungerührt weitertrinkt, wobei ihr inzwischen der Seim aus dem geöffneten Rumpf quillt. Agamben führt das Beispiel aus zu seinem Begriff des Benommenseins des Tieres von seiner Umwelt – vergleichbar mit der Frau in Sonja Heissens Film, die Drogen im Blut hat und den kuscheligen Hasen im Arm. Es lässt sich durch den gravierenden Einschnitt in seine Welt, den Körper, nicht ablenken, weil es im Moment der Nahrungsaufnahme eins geworden ist mit der Welt der Nahrung, sich also nicht nur als dieser Welt zugewandt erlebt, sondern zu einem Teil von ihr geworden ist. Das Tier ist das Trinken, wenn es trinkt. Krasser verhält es sich da mit der Schnecke, die, um sich fortzubewegen, nicht bloß den Schleim produziert, auf dem sie fährt, sondern gleich die ganze Welt in Schleim verwandeln kann. Wenn erst alles weich und leis‘ blubbernd ihr zu ihrem Fuße liegt und gärt, existieren in ihrer ganz von Widerständen bereinigten Welt bloß noch zwei feste Komponenten: ihr Häuschen und die Radula, jenes unaufhörlich sich drehende Rad aus einem winzigen Knochen, mit dem die Schnecke alles, was uns grün scheint, in sich hineinschaufelt. Von weitem, also aus menschlicher Perspektive betrachtet, mümmelt und saugt die Schnecke an Gurkenschale und Salatblatt herum. Unter der achtfachen Vergrößerung, die mir die aufgeschraubte Makrolinse meines Fernrohres bietet, zeugt sich ein raspelndes Weiden; die Schnecke reißt und fetzt sich durch das Material. Klebt sie scheinbar müßig an der gläsernen Kuppel, geht in Wirklichkeit ein unaufhörliches wellenhaftes Pulsieren durch die Muskulatur ihres Saumes, der unter der Linse betrachtet etwas faszinierend Vaginales hat.

Tja. Obwohl es von den momentanen Temperaturen her durchaus nicht unmenschlich gewesen wäre, die beiden vor meiner Abreise ins Freie auszusetzen, konnte ich mich dazu einfach nicht entschließen. Stattdessen stopfte ich ihnen alles, was ich noch an leicht verderblichem Grünzeug übrig behalten hatte, unter die Kuppel. Es geht halt nichts über empirische Wissenschaft. On verra.