3.9.2019

13° am Vormittag, Luftdruck: 1009 Hektopascal, die Luftfeuchtigkeit wird angezeigt bei 78%. Das Hotel hat an zahlreichen Wandstellen Barometer und andere Messgeräte angebracht. Ich muss nie lange suchen, um eine der (mechanischen) Wetterstationen zu finden. Eventuell hat schon Adorno hier aufs Barometerglas geklopft (mit seiner Zeigefingerspitze). Der Berg gegenüber heisst Piz Mezzaun, er war heute schon in der Frühe ganz sichtbar, vom waldigen Sockel bis zu seinem zerklüfteten Gipfel hinauf. Und darüber hinaus ein wolkenloser Himmel, weit und breit; scheinbar bis in den hintersten Winkel des Tales hinein, wo die Berge weisse Gipfel haben. Gestern hingegen ein komplett anderes Bild, da morgens dichte Schwaden und Schleier an unserem Fenster (4. Stockwerk) vorübergetrieben wurden. Ab und an ergab sich dazwischen eine Lücke und ein Stück vom Hausberg wurde sichtbar: entweder in grau, oder grün. Unwillkürlich dachte ich an Wolken und fragte mich, warum die hier so tief ins Tal hinunter sinken, bis mir klar geworden war, dass das Tal selbst ja hoch gelegen ist (auf etwa 1600 Metern).

Fuhren dann mit einer Standseilbahn auf den Muottas Muragl—warum dieser Berg (sie haben alle einen Namen) nun nicht Piz heisst mit Vornamen, blieb rätselhaft, da wir dort oben niemanden angetroffen haben; wir waren ganz allein mit einem Rudel schwarzer Kühe und ein paar Pferden. In der Landschaft um den Gipfel herum war die Luft plötzlich klar, und weit unter uns trieben die Wolken durch das Tal. Jetzt gaben die Lücken hier und da Flecken aus Häusern und Strassen frei, auch ein glasglatter, grüner See liess sich sehen. Und wir, viel zu gross für diese winzigen Welten, spazierten dort oben wie Götter herum. Hauptsächlich wächst dort Wachholder. Aus den Beeren wird, nebst der altbekannten Verwendung in Suppen und Saucen, ein würziger Sirup, die Latwerge gekocht, den ich mir morgens sehr gerne auf Brote schmiere. Andauernd will ich mir vorstellen, wie das Alltagsleben in dieser herrlichen Landschaft vor 150 Jahren sich wohl gestaltet haben wird; also wie man es gemeistert hat als Erdenbürger made in Oberengadin.

Frösche schauen, von oben betrachtet, wie Menschen aus auf eine kuriose Weise. Allein wie sie sich bewegen. Das fiel mir ein, als ich ein Fröschlein betrachtete, das auf meine schöpfenden Handflächen gehupft war. Es gab hunderte dort oben, auf zweieinhalbtausend Metern, in einem schmalen Bach, dessen Wasser es talwärts zog. Warum dort und warum Frösche weiss kein Mensch.