4.10.2019

Es ist jetzt, glaube ich, auch schon wieder zwei Jahre her, da strandeten wir auf dem Weg nach Paris in Mannheim. Unser Aufenthalt dort war nicht allzu lang, eine Stunde vielleicht, aber in Mannheim gerieren sich ja selbst Minuten allzu lang und wollen Stunden sein. In der Bäckerei, die wir um Obdach aufgesucht hatten, ging es auch nicht herzlich zu. Aber ich hatte Friederike eine Bravo Girl gekauft. Manchmal ist das so, dann genügt so eine Zeitschrift, um sich an die Zeit zu erinnern, als einem das Leben selbst wie Mannheim vorgekommen war. Wir versenkten uns in die Lektüre, um Mannheim zum Verschwinden zu bringen. Mir fiel heute erst wieder ein, wie erstaunlich deprimierend ich aber an sich schon diese Zeitschrift fand. Insbesondere von der Tonalität her. Die Ansprache war schlampig, gedankenlos, gefühllos, dumm. Wer macht so etwas?

Das genaue Gegenteil finde ich in den Red Hand Files, einem Briefkastenforum, das von Nick Cave betrieben wird. Er antwortet dort auf Fragen, die ihm zugeschickt werden. Die Fragen sind durchaus nicht bloss auf seine Lieder, oder andere Aspekte seines Daseins als Star gerichtet. Weil er nämlich einfühlsam und wohlüberlegt auf die Fragen und die fragende Person eingeht, kommen da auch Fragen an bei Nick Cave, die man dem «Team von Bravo Girl», oder wie das in den jeweiligen Ländern heissen mag, nicht stellen will — weil man es ernst meint. Beispielsweise fragt eine Liii aus Kraukau «Wie lange werde ich noch alleine sein?»

Die Antwort ist wunderbar. In etwa zwei Buchseiten lang. Das schöne ist, man kann die Stimme von Nick Cave hören, wenn man seine Zeilen liest. Das Versprechen der Seite lautet «You can ask me anything. There will be no Moderator.» Jeder Antwortbrief schafft zusätzliches Vertrauen. Ich kenne gar keinen anderen Berufsmusiker, der etwas ähnlich Wohltätiges unternimmt. Meine Lieblingsantwort gibt er auf die Frage nach dem Grund, warum er sich von PJ Harvey getrennt hat (oder umgekehrt): «In Wahrheit war es so, dass nicht ich mich von PJ Harvey getrennt habe, sondern PJ Harvey hat sich von mir getrennt. Und das kam so: Ich sass gerade auf dem Fussboden meiner kleinen Wohnung in Notting Hill, das Licht der Sonne schien golden zum Fenster herein (eventuell), ich fühlte mich gut, meine Freundin war eine begabte, dazu noch junge Sängerin, da klingelte das Telefon. Ich griff zum Hörer, und sie war dran: Polly.

Ich sagte «Hi».

«Ich mache Schluss.»

«Warum», fragte ich.

«Es ist einfach vorbei», sagte sie.

Mir fiel beinahe meine Spritze aus der Hand, so sehr hat mich das überrascht.»