4.1.2019

»Das war die von Sprißler so sehr verachtete Dummheit von Thewe, dass er sein Verhalten nicht als das nahm, wie es wirkte, sondern, wie er es meinte.« – ein ewiger Satz. Traditionell lese ich, wie es heißt: zwischen den Jahren, das Werk von Rainald Goetz. Die sogenannte eigne Sprache muss geübt werden. Das geht allein bloß mit dem Lesen von anderen. Und deshalb ist mir der mündliche Austausch mit Friederike auch wichtig, weil sie die meiner ähnliche Lust hat, die Sprache anderer zu lesen und sich das Gelesene anzuverwandeln. Wie es für leidenschaftliche Gärtner wichtig sein wird, von Grünendem umgeben zu schaffen. Kluge im Gespräch mit Michaelsen, neulich: »Ohne Sonne leuchten meine Sterne nicht.« (Ohne das sie umgebende Vantablack aber halt auch nicht, generell betrachtet, doch was wäre das für ein Standpunkt Punktpunktpunkt.)

Eine ganz kurze Zeit lang sollte ich jungen Schreibern beibringen, oder vermitteln als Dozent, wie man schreiben könnte (2008.) Da musste ich aber bald schon aufgeben, weil die partout nicht lesen wollten, auch nie richtig gelesen hatten, aber gleich schreiben wollten. Ließ ich sie machen, kamen dabei für mich unlesbare, wie auf Stelzen daherkommende Sätze heraus. Die waren, so dachten es meine Schüler auf Nachfragen hin, in der von ihnen phantasierten »Drucksprache« gemacht. Da sie so gut wie nie Zeitungen lasen oder ähnliches, hatten sie natürlich kaum Gespür für die deutsche Sprache, die derzeit geschrieben und gelesen ward. Berufswünsche hingegen wurden dieser Ausstattung zum Trotz und klar formuliert vorgebracht: Kolumnistin / Kolumnist (damals war Sex And The City noch populär.) Der einzige aus einer Klasse von zwanzig, der es wider meiner Erwartung zu etwas gebracht hat, war David Kurt Karl Roth, der zwar nicht berühmt schreiben konnte, aber mir damals, und da hatte ich keinen Schimmer, was für die Branche kommen würde, schon erklären konnte, dass er bald schon als ein Kolumnist der ganz anderen, einer neuartigen Art in Erscheinung treten wollte. Das iPhone war damals gerade in Verbreitung gekommen. Kurz darauf gründete David Roth auf extrem erfolgreiche Weise mit Carl-Jakob Haupt den Visual-Blog Dandy Diary.

Der eingangs zitierte Satz entstammt Johann Holtrop und beileibe nicht allein seinetwegen frage ich mich – irrerweise –, warum dieser Text derart ungelesen geblieben ist. Die Selbstfrage freilich ist eine Schutzfunktion, die mich bewahren soll vor der Fürchterlichkeit jener Antworten, die den mir entgegenplärrenden Brünnlein entspringen: zusammengefasst, dass »man« »das« besser, anders, im Zweifel aber doch pointierter, warum nicht gleich knackiger hätte abfassen müssen. Da frage ich mich doch: wer?

Im Text schreibend, werden einem Verhältnismäßigkeiten klar zwischen Menschen, denen man im alltäglichen Miteinander, auch unter Freunden, ansonsten nicht derart invasiv nahe kommen kann. Die Niederschrift, das Aufschreiben, Figuren zu machen aus dem, was man mitbekommen hat im Erleben – bis sie dann wie aus Glas geblasen sind, sich aus dem Text erheben können und über das Blatt hinweg: anfangen zu gehen.

Im Birkenbaum, der momentan als knochenfarbiges Gerippe steht mit braun gefrorenem Laub, landete eine Blaumeise und schaute sich um, wie immer. Nichtwissend, wie sie jetzt auf mich wirkt.