4.9.2019

Wir waren, von Kühen und Fröschen abgesehen, nicht allein dort in der Gipfelnatur (die erwähnten Pferde zogen, noch bevor wir ihren Weideplatz erreicht hatten, als ungeführte Karawane fern durch unser Bild): hoch über uns stand bebend ein Falke. Und aus den Wachholderbüschen und dann auch wieder aus einer kahlen Senke flog ein mir unbekannter Vogel auf. Ich konnte ihn erst abends, zurück im Hotel bestimmen. Es handelte sich um einen Häher, der an dem charakteristisch hellen Bürzel zu erkennen ist, dessen Untergefieder er einem beim Davonfliegen zeigt wie ein bei Ampelgrün davonbrausender Sportwagen seine Rücklichter. Der, übrigens ziemlich grosse Häher lebt angeblich vor allem von den nusshaften Kernen, die er mit schweren Schlägen seines Schnabels aus den Arvenzapfen sprengt. Bis zu einhundert dieser hartschaligen Nüssle staut er in einem Unterzungenkropf, um sie dann, fliegenderweise an geheime Orte zu transportieren. Er lagert sie in Erdlöchern, die er mit seinem Schnabel «einzirkelt». Diese Verstecke können bis zu 15 Kilometer von seinem Lebensmittelpunkt im Wald entfernt gelegen sein. Wie er die Erdlöcher findet, nachdem eine in manchen Jahren meterhohe Schneeschicht darüber gebreitet wurde, das weiss kein Mensch.

Gestern dann bei allerschönstem Wetter unter wolkenlosem Himmel bis nach Sils Maria, wo auf einem Hausdach am Ortsrand ein vergoldetes Glockentürmle im Sonnenschein glänzte und blitzte. Gang durch den Wald über federnde Schichten bis zu einer höher gelegenen Bucht, wo ich der Verlockung des von weitem grün leuchtenden, von nahem jedoch glasklaren Wassers des Bergsees nicht widerstehen wollte. Es war freilich saukalt, aber halt auch unwiderbringlich schön. Das Licht an diesem Tag im Spätsommer liess jeden einzelnen Stein, jede Heidelbeere am Zweig und jeden Punkt auf dem Hut eines Fliegenpilzes (von denen es in diesem Jahr ungewöhnlich viele gibt, aber ebenso Steinpilze und Pfifferlinge), jede Nadel am Arvenzweig trennscharf hervortreten. Natur in High Definition.

Daheim, in der Stunde vor Sonnenuntergang lagen an den Hängen des Hausbergs die Schatten der Lärchen wie Querstreifen über dem Waldbodengrün. Zitternd schwebte der Schatten einer Schweizer Flagge auf der Baumreihe nahe beim Haus.