5.12.2019

Vor dem Bilderaufhängen zum Anschauungsunterricht ins Museum für Moderne Kunst am Rande der Altstadt. Wie es den Anschein machte, war ich um kurz vor Mittag der einzige Besucher. In einem sehr weiten, abgedunkelten Raum wurde ein Film auf einen weissen Monolithen projiziert. Aus der Perspektive des Fahrers, dabei dicht an der Fahrbahn aufgenommen, rast die Kamera über den frühmorgendlichen Champs Elysees. Die Ampeln zeigen rote Lichter, ein Lastwagen überquert die Kreuzung, aber das Vehikel der Kamera verlangsamt seine Fahrt nicht und passiert die Kreuzung bei Rot. Es ist kaum jemand anderes unterwegs, der Himmel schaut nach kurz nach Sonnenaufgang aus — es muss also Sommer gewesen sein, kurz nach vier Uhr in der Früh —, wie der Place de la Concorde mit seinem mehrspurigen Kreisverkehr am Horizont auftaucht, wurde ich nervös, als ob ich selbst am Steuer sässe. Das Einfädeln auf die Spiralbahn gelingt bei kaum gedrosseltem Tempo, das mir halsbrecherisch vorkommt (zumal die Strassen zu jener Zeit anscheinend noch flächendeckend mit Kopfsteinpflaster belegt waren) — wie ich im Nachhinein las, hatte der Filmkritiker Michael Althen einst mit Stoppuhr und Stadtplan nachweisen können, das die Geschwindigkeit auf dem Champs Elysees bei 110 Stundenkilometern gelegen hatte. Nicht wirklich halsbrecherisch im Angesicht aktueller Innenstadtrekorde von 170 Stundenkilometern an aufwärts, aber immerhinque.

Obwohl ich ein paar Abzweigungen später auf dem Weg den Montmarte hinauf begriffen hatte, wie der Raserhase läuft, brachte ich es nicht fertig, mich abzuwenden. So schön hatte ich das «alte», beziehunghsweise meinen Erinnerungsbildern noch entsprechende Paris schon lange nicht mehr gesehen; vor allem in einer einzigen Einstellung en passant, ohne störende Schauspieler im Bild. Ganz oben angekommen, vor Sacre Coeur, strebt die Kamera auf die Mauer zu, die Scheinwerfer machen gelbe Flecken auf der Wand. Eine Frau im Kleid kommt die Treppen hoch — es ist tatsächlich Sommer! — ein Mann kommt ins Bild, die beiden umarmen sich. Im Hintergrund: in Blau mit gelben Punkten, die Stadt.

«C’était un rendez-vous» heisst der Film von Claude Lelouch. 1976 auf 35mm gedreht. Angeblich sass der Regisseur selbst am Steuer (ich hatte gedacht, auf einem Motorrad, weil die Spurwechsel so schlank und geschmeidig erscheinen), die Kamera war an der Stossstange befestigt. Von einem Auto welchen Typs aber, darüber streiten sich die Kritiker, eine abschliessende Meinung gibt es wohl nicht.

Heute früh lag Rauhreif auf den Dächern. Ich dachte zuerst, es hätte geschneit.