5.7.

Der Mond stand neben dem Fernsehturm, so als sei er ein Trabant der silbernen Kugel. Kleine Wolken hatten sich darum geschart. Der übrige Himmel schien blau und leer. Es war kurz nach 18 Uhr.

Adson von Melk, Novize der Modewoche, hatte mich vom Hotel Adlon, das sein zwanzigstes Firmenjubiläum seit der Wiedereröffnung mit einer Modenschau von Anja Gockel, einer Pfälzerin, gefeiert hatte, bis hierher, auf die von frühabendlichen Sonnenstrahlen beschienenen Terrassenplätze vor dem mythischen St. Oberholz, begleitet. In wenigen Minuten würden wir zur Präsentation von Herbert Grönemeyers T-Shirt-Kollektion aufbrechen, und wie es sich für einen mythischen Ort gehört, tauchte gerade in dem Augenblick, als ich dem Novizen die essentiellen Informationen zur Person des Gründers Ansgar Oberholz sowie freilich auch zur Geschichte des Hauses – dass sich in den Räumen ursprünglich ein Burger King befunden hatte et cetera – in freier, launig gestalteter Rede diktierte, stand eben dieser, Ansgar Oberholz selbst, vor uns und hieß uns dort willkommen. Er trug einen schwarzen Fischerhut, an dessen Seite er ein A aus silbernen Lochnieten zeigte. Wir hatten uns, seitdem ich an den See hinaus gezogen war, nicht mehr gesehen. Er war im vergangenen Jahr erneut Vater geworden, sein Lokal hatte sich farbthematisch etwas verändert, aber noch immer saßen dort dicht an dicht die Surfer und Entrepreneure an ihren Laptops. Nebeneinander aufgereiht, aber wie träumend: ein jeder für sich.

Wir sprachen über die Seelenhaftigkeit von Twitter. Dass es unmöglich ist zu erklären, was man dort erlebt, obwohl einem, sobald man dort wieder eintaucht, klar ist, dass man etwas erlebt. Aber was, das entzieht sich der Vermittelbarkeit. Merkwürdigerweise. Ein Zwiegespräch, das uns bis zur Ankunft bei dem temporären Laden für die T-Shirts von Herbert Grönemeyer in Atem halten sollte. An dem kleinen Platz vor der Einmündung zur Weinmeisterstraße saßen die Essenden zu Hunderten auf kippeligen Plastikstühlen, die dafür aus Thailand importiert worden waren. Zusammen mit den originalgetreuen Plastiktischen aß man hier nicht nur wie auf einem Nachtmarkt in einem subtropischen Entwicklungsland, man saß auch so.

In der Mode, führte ich aus, und der Novize machte sich Notizen in einer App auf seinem Telefon, einem älteren Modell von Samsung, ist es nicht immer möglich, so andauernd etwas Neues zu präsentieren, wie es der sogenannte Kollektionsrhythmus zu den Modewochen vorgibt. In Paris beispielsweise, wo zur Stunde die Haute Couture gezeigt wurde, war es an diesem Tag wohl um den Farbton Grau gegangen (dies hatte uns eine bayerische Bloggerin berichtet, die selbst wiederum in einem Polohemd mit aufgestickten Logos der Supermarktkette Lidl gekleidet war; darauf hatten wir sie angesprochen. Und es stellte sich heraus, dass dieses Polohemd tatsächliche Berufskleidung für die Angestellten von Lidl war. Die Bloggerin verfolgte durch das zweckentfremdende Tragen von Berufskleidung ein journalistisches Projekt. Am nächsten Tag stünde Ikea an, am Tag darauf Foodora usf.) An der Bar von Herbert Grönemeyer gab es zwar keine grauen T-Shirts, aber dafür einen neuartigen Drink aus Gurkensaft und Gin, der mit einem Dillsträußchen verziert wurde. Und Christ Stricker trägt ihr Haar neuerdings mit Indigo gefärbt. Im schattigen Hinterhof relaxte Herbert Grönemeyer. Sein Händedruck war angenehm fest, dabei trocken und warm.

Es würde Regen geben, erklärte ich jetzt Adson von Melk, da am Himmel sich ein Vlies von Wolkenfasern gebildet hatte, für das ich, obwohl ich den Anblick dieses Phänomens liebe, noch immer keinen Fachbegriff wusste. Es sieht dann so aus, wie die Gewelltheit des Sandes in der Sahara kurz vor Sonnenuntergang. Bloß halt aus Wolken und in weiß, dann aprikosenfarben, dann hellgrau auf zunehmend dunkelblauem Grund. Sehr gern hätte ich ein Dictionary of Clouds, einen dicken Band aus Wolkenbildern, wie das Dictionary of Water von Roni Horn. Gibt es aber nicht.