6.12.2019

Die Geschwindigkeit selbst war die Hauptdarstellerin in diesem Film von Claude Lelouch. Ich nehme an, er hat damit mindestens eine Generation von Kunststudenten beeinflusst, wobei ich gar nicht weiss, wo man in den siebziger Jahren, vor der Erfindung von Videokassette ff., solche heute sogenannte Videokunst zu sehen bekam — auch damals schon im Museum? Gerade damals noch da? Ich erinnere das Video zu «Jumping Someone Else’s Train» von The Cure, das eine rasant beschleunigte Eisenbahnfahrt aus der Perspektive des Lokführers zeigt, von Prellbock zu Prellbock. Damals, als ich das zum ersten Mal zu sehen bekam, auf MTV, kannte ich «C’était un rendez-vous» nicht.

Auf der oberen Etage des MMK war übrigens der schönste Raum, an dessen Wänden hingen ringsum die Datumsbilder On Kawaras. Er war ja der, so erinnere ich das, zeitgenössische Künstler, für den ich mich als erstes interessiert hatte, weil in der Staatsgalerie ein Datumsbild von ihm hing, das weiss auf schwarz gewesen sein muss (laut Erinnerung). In Frankfurt waren die allermeisten blau, einige rot mit weissen Zeichen. Jetzt, wo On kein Zeitgenosse mehr von mir ist, war es mir erlaubt, seine Leinwände aus der Nähe zu betrachten; wie er sie gemacht hatte, dafür hatte ich mich immer schon interessiert. Aber ich konnte keine Spuren entdecken, die Farbe war mit der Engelsgeduld einer Maschine aufgetragen. Die Ränder von Buchstaben, Zahlen und Trennungspunkten so trennscharf, das ich nicht einmal sagen könnte, ob weiss auf blau, beziehungsweise rot, oder andersherum. Oder parallel?

Aufgrund eines Missverständnisses bin ich dann gestern Abend noch einmal hin, um einem Podiumsgespräch der Museumsdirektorin Susanne Pfeffer mit Anne Imhof und Eliza Douglas zu lauschen. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass die anderen Zuhörer zu Hunderten kommen würden. Für mich missverständlich hatte es in der Einladung geheissen, dass im Anschluss eine Performance gegeben würde. Damit war allerdings die konzertante Aufführung der Musik zu Imhofs Performance «Faust» gemeint gewesen, die im September im Doppelalbum erschienen war. Erstaunlich viele im Publikum waren in interessanter Kleidung gekommen. Und dabei war es ihnen anzusehen, dass sie sich nicht verkleidet hatten, sondern dass sie auch anderntags so gekleidet vor ihre Türen traten. Nämlich vom Stile her so, wie die Handelnden in den Performances von Anne Imhof für gewöhnlich auftreten. Diese selbst trug gestern übrigens schicke Cowboystiefel mit magmafarbenen Spitzen. Eliza George hingegen solche mit schwarzen. Eine Art Partnerlook, wobei es George auf dem Podium einfiel, dass sie für gewöhnlich als Muse von Imhof betrachtet würde, doch was das Musizieren anbeträfe, da habe sich bei ihnen das Verhältnis von Muse zu Künstler umgekehrt.

Ich ging nach dem Medusa Song. Draussen war es noch immer sehr neblig. Die Stadt war die Hauptdarstellerin und schickte himmelhoch Leuchtsignale in die beschlagene Nacht.