6.2.

In die Außenwand der Bonner Kunsthalle hat ihr Architekt Gustav Peichl das Wort Deutschland in vergleichsweise kleinwüchsigen Buchstaben aus Bronze einsetzen lassen. Im letzten Abendlicht, das den hellen Ton der Wände rosig färbte, stand dort davor gestern ein Mann und fotografierte das Spiel aus Licht und Schatten und die reliefartig aus dem Beton hervortretenden Buchstaben, perspektivisch nach hinten weg, zum D in Deutschland hin in eine Unschärfe hin fluchtend. Das sah dynamisch aus auf seinem Display. Die Aufnahme war vermutlich als Header für seinen Account bei Twitter gedacht.

Die Ausstellung mit den Räumen von Gregor Schneider beginnt in einem Vorraum, dort sind indische Gottheiten aufgestellt, die teilweise noch in ihren Verpackungen stecken. Ringsum wird auf drei Projektionsflächen simultan gezeigt, wie an einem Ort in Indien diese Skulpturen aus Zement modelliert wurden. Dann fängt es dort an zu regnen und alles wird überschwemmt, während ein anderer Film zeigt, wie eben diese Skulpturen auf einer Art Thronwagen in das reißende Wasser eines indischen Flusses geschoben werden, während auf der anderen Seite dann bereits ein Tempel eingeweiht wird, dessen Altar mit diesen Skulpturen geschmückt erscheint.

Ein Mann in dunkler Kleidung, der streng nach Zigarettenasche roch, war plötzlich neben uns aufgetaucht in dem ansonsten schummrig beleuchteten Raum. Ohne dass wir ihm eine Frage gestellt, noch nicht einmal fragend um uns geschaut hatten, erklärte dieser Mann uns die Filminstallation mit wenigen Sätzen, indem er in seinen Worten wiedergab, was wir dort gesehen hatten. Und jagte grußlos davon, riss eine schwarze Tür in der mit schwarzem Molton verkleideten Rückwand des Saales auf, um in der dahinter aufgetanen Dunkelheit zu verschwinden. Wir folgten ihm nach.

Die Zimmerflucht bestand aus den unterschiedlichsten Räumen. Das klingt jetzt farblos, aber wann hat man das schon, dass man eine Türe öffnet und dahinter befindet sich nicht das Erwartete, aber halt auch nichts komplett Unerwartetes, sondern ein Raum, der von sich aus nicht passen will? So gelangten wir in einen Flur mit vielen Schiebetüren, die man allesamt nicht aufschieben konnte (in dieser Kunstausstellung war das Berühren der Kunst erlaubt, vielleicht sogar erwünscht, jedenfalls löste es keinen Alarm aus, gleich wie wirklich wir auch an den abstrahierten Modellen von Türen schoben und rüttelten. Unterdies wurden die Räume von Tür zu Tür konkreter, bis sie nach dem Durchsteigen einer gepolsterten Röhre, die von ihrem Inneren her leuchtend wie Cy Twomblys Zitronen gänzlich unverbunden in einem grenzenlos schwarzen Raum aufgebaut war, regelrecht ekelerregend wurden. Besonders schlimm war ein Badezimmer, hinter dessen beschlagenem Duschvorhang aus transparentem Plastik das Wasser mit zuwenig Druck aus dem Brausekopf rieselte. Auch ansonsten bot sich mir dort ein Anblick, dazu das Geruchliche, von dem ich mich nicht mehr leicht erholen konnte.

Ausgerechnet in einem dieser Folgemomente sprach uns der Mann in Schwarz erneut an. Es war, als hätte er uns eingeholt, dabei waren wir ihm doch hinterhergegangen. Übergangslos, also schon wieder ohne jeden Gruß, begann er uns von seinen Erfahrungen mit den Besuchern dieser Ausstellung zu berichten, die voller Leid gewesen waren. Offenbar gehörte der Mann zum Aufsichtspersonal des Bonner Museums. Vielleicht war er auch ein von Gregor Schneider beauftragter Darsteller eines Museumswärters. Im Zustand der leichten Verunsicherung, in den uns die Rauminstallationen der Zimmerflucht Gregor Schneiders versetzt hatte, schien uns das nicht mehr selbstverständlich zu sein. Auch zog sich das Gespräch mit dem Mann auf immer grotesker wirkende Weise in die Länge, bis dieser schon beim Aufsagen Kölnischer Grußformeln angelangt war. Unsere Flucht durch weitere Türen führte jedoch nicht ins Freie, sondern nur in weitere Räume, die Gregor Schneider in, wie es uns nun schien, unaufhörlicher Folge hintereinander geschaltet hatte, um unsere Plage ins Unendliche zu verlängern. Kurz bevor es unerträglich geworden war, standen wir in einem Raum, auf dessen Fußboden durch Abriebe schmutzig gewordene Kindermatratzen verteilt lagen, sowie unter Plastiktüten nur halb verborgene Attrapen von toten Kindern und Erwachsenen, die Trainingshosen anhatten. Endlich also der comic relief. Im letzten Raum waren dann scheinbar wahllos fotografische Arbeiten des Künstlers gehängt. Auf der einen, offenbar ein Selbstporträt, war er nackt und über und über mit Haferschleim bedeckt abgebildet. Daneben hing ein von den Proportionen her heillos überdehntes Aktgemälde einer unbehaarten Frau. Der Ausgang führte erneut durch den Vorraum, wo noch immer die Filme aus Indien gezeigt wurden. Wir beeilten uns, bevor noch der Schwarze kommen konnte, um uns erneut hinter ihm her in das Innere zu zwängen.

Vor dem Museum war noch ein wenig vom Tageslicht übrig, wie uns schien. Aber das kam aus kleinen Punktstrahlern, die in das über den Vorplatz auskragende Dach aus Beton eingelassen waren. Der Nachthimmel blau wie im Sommer. Ein friedliches Bild.