7.3.2020

Die Zahnärztin verteilte wenige Milliliter einer Betäubungsflüssigkeit auf dem Zahnfleisch meines Oberkiefers und injizierte zweimal sehr kurz eine vermutlich sehr kleine Dosis davon in meinen Gaumen. Der Geschmack der Flüssigkeit war sauer und faulig zugleich. «Das war jetzt schon das Unangenehmste», sagte sie. Und behielt recht. Eine angenehm burschikose Persönlichkeit. Anlässlich des Weltfrauentag morgen gibt es im Google Playstore eine spezielle Abteilung «Apps für starke Frauen». Angeblich zum Thema «Empowerment» der Userinnen zusammengestellt, handelt es sich konkret um Mindshine («Kurze, tägliche Lektionen mit Audio-Coaching und Übungen helfen dabei, positive Gewohnheiten anzunehmen»), Meetup («Finde Menschen, die deine Interessen teilen»), Bumble («Die App bietet sogar die Möglichkeit, nur mit anderen Frauen in Kontakt zu treten»), mit Wayguard «kannst du dich virtuell von Familie und Freunden begleiten lassen, indem du deine GPS Position per App an ausgewählte Kontakte übermittelst», sowie der Beckenbodenkurs Pelvina und der Menstruations-Kalender Clue.

That’s it, folks. Das ist Empowerment für Frauen. Auch von Frauen, vermutlich. Die Zahnärztin jedenfalls würde herzhaft gelacht haben. Mir fiel dann erst hinterher ein, weshalb ich mich vor ihr gefürchtet hatte: Wegen Kurzeck. So geht es doch los in Übers Eis, dass er sich bei einer Zahnärztin zwei Zähne ziehen lassen will und die schafft es nicht, sodass er stundenlang, unter Betäubungsmittel gesetzt und «den ganzen Mund voller Blut» in ihrem Stuhl liegenbleiben muss, bis die völlig entkräftete Frau schließlich ihren Mann zu Hilfe ruft «der ist auch Zahnarzt».

Andererseits, das fiel mir heute erst ein, wo ich schon wieder feste Kost aufnehmen kann (und das in Massen ohne ß!): Wie segensreich in einem Jahrhundert der Narkosemittel leben zu dürfen. Auch Kurzeck kam ja noch in den Genuß. Wohingegen der zur Minne geborene Ulrich von Liechtenstein, Autor des Frouwen dienest sich seinen «verunstalteten Mund» noch gänzlich ohne irgendein Mittel hat zurechtschneiden lassen müssen.

Wenn ich den Schmerz nicht empfinden kann, entsteht er dann wohl trotzdem und kommt bloß aufgrund der blockierten Rezeptoren nicht an? Ich hatte eine verzögerte Wirkung befürchtet, wie aufgestaut, aber die war ausgeblieben. Anscheinend kann Schmerz sich totlaufen vor den blockierten Rezeptoren, oder sich verflüchtigen. Wie eine Schauspielerin, die wegen verschlossenem Bühneneingang ihren Auftritt versäumt.