7.7.

Joachim Meisner, der Kardinal, war angeblich im Sitzen gestorben, mit dem Gebetbuch in der Hand, also quasi lesend, behauptete Adson. In unserem Disput war es ursprünglich um das Aussterben meines Vornamens gegangen und um den von Joachim Lottmann, den wir beinahe zufällig vor dem Lokal in der Uferstraße getroffen hatten, in dem die von Anne und Holm Friebe veranstaltete Talkshow Nun – Die Kunst der Stunde anberaumt worden war – und das nicht zum ersten Mal. Also keine Premiere, aber wieder war es so voll, dass wir gezwungenermaßen durch weit geöffnete Fenster vor dem Gebäude stehend in den mit zahlendem Publikum gefüllten Raum hineinlauschten und ab und an auch schauten. Wobei, das fiel dem Novizen freilich nicht so stark auf, das Geschehen dort auf der niedrigen Bühne vergleichweise unspektakulär geworden war. Verglichen mit dem Premierenabend vor allem, als Holm selbst dort in einem schwarzen Morphsuit aufgetreten war.  Jetzt gab er, der bei den Zukunftsforschern Horx und Urch das Handwerk von der Pike auf gelernt hatte, den Routinier. Joachim Lottmann gefiel das sehr gut. Vor allem wohl, weil das alles gut zu seinem allerneuesten Textvorhaben passte, einem Roman, der vom Stillstand unserer Tage erzählen würde. Der Titel stand schon fest: Die Welt von Gestern. Es gab da wohl tatsächlich auch eine leibhaftige Begegnung von ihm mit dem Sterbezimmer von Stefan Zweig und von dort aus, durch die weit geöffneten Fenster des Sterbezimmers von Stefan Zweig, würde sich die Erzählung dann entrollen bis in unsere Gegenwart und somit auch vor dieses weit geöffnete Fenster des Lokals mit dem Namen Dujardin.

Ich war mit meinen Gedanken wie immer weit weg. Nämlich eben dort: in Gedanken. Beispielsweise fragte ich mich, wie Lottmann sich das alles merken konnte, was an diesem Abend erzählt und auch bloß geredet wurde. Es würde sich ja einst in Der Welt von Gestern wiederfinden. Dabei machte er sich offenbar niemals Notizen. Ein Gedächtniskünstler? Oder, schauderhafte Vorstellung: fing er wie manisch an zu notieren, sobald er außer Sichtweite war – ein noch schlimmeres Heimlich wohl, als hinter vorgehaltener Hand; sitzend in seinem Wartburg bei ausgeschalteter Kabinenbeleuchtung. Und dann lange ausatmend bis er den Zündschlüssel umdrehte.

Für Adson, den Novizen, war es die erste Begegnung mit Joachim Lottmann gewesen. Als drin auf einer Leinwand ein bis dato unbekanntes Bild projeziert wurde vom auf seiner Mitte gespaltenen Hochbunker im Volkspark Friedrichshain, dessen Ruine heute von einem überwachsenen Schuttberg verborgen wird, machte er davon eine Aufnahme mit seinem Telefon. Ein aus Friesland stammender Künstler mit dem Vornamen Menno mischte sich ein und so entstand dann das Gespräch über Vornamen, weil es jetzt außer Gauck, Lottmann, Sauer und Bublath nur noch mich gab mit dem Namen vom Großvater Christi. Früher war ich weit und breit der einzige Joachim gewesen. Schon als Kind hatte ich mich deshalb wie ein Greis gefühlt.