9.2.

Einen Waldorfsalat gemacht aus dem herrlichen Sellerie, Walnüssen aus Grenoble, geraspelten Äpfeln sowie einer selbstgeschlagenen Mayonnaise aus ortsansässigem, aggressiv grünem Olivenöl und den Eiern, die hier, wie zwei Öltanks, doppelte Dotter enthalten. Dazu ein gegrilltes Huhn aus der Rôtisserie an der Cité Marchande. Einen extraschaumigen Nusskuchen gebacken und zum Dessert eine Tarte Tatin, aber nicht etwa mit Blätterteig aus der Packung, sondern mit mit einem echten sablé, also 3:2:1-Mürbeteig mit einem Quantum Crème double, wodurch der Deckel der Tarte zwar hyperknusprig wird, zugleich aber auch megaporös und zahngefühlsmäßig: ungebacken bleibt.

Die Küche hier ist optimal eingerichtet. Was ihr der Laie nicht ansehen kann, denn man sieht eigentlich nichts. Aber der Herd ist verlässlich, der Rest ist aus Stein, und das Licht kommt von allen Seiten – mehr braucht es ja nicht.

Heute spiele ich, dass gleich Besuch kommt. Der Sturm (Rose aus UK) ist ausgefallen, alle Fenster stehen offen. Vor einem Jahr noch hätte ich von gegenüber (die Gasse ist sehr schmal) die Streitgeräusche meiner Nachbarn gehört, dafür waren die berühmt und vor allem auch dafür, wie laut und heftig sie sich daraufhin versöhnten. Jetzt klemmt da ein Zu-Verkaufen-Schild hinter dem schmiedeeisernen Gitter wie am Pranger.

Ja, ich weiß. Jarvis Cocker hat gesagt: »You can take your year in Provence and shove it up your arse«,

aber

a) nicht zu mir

b) wohnt er mittlerweile selbst in Paris

und c) ist es hier trotzdem: leider geil!!!

trotz d) beständigen, allerdings nicht allzu heftig an mir nagenden Kitschverdachtes.

Also setzte ich mich vor das Fenster und machte dazu ganz laut Fordlândia an. Musik darf man hier immer. Und essen kann ich noch, wenn ich tot bin.

Dort drüben, über den Ausläufern der Alpes Maritimes, auf deren Zunge der Leuchtturm tagsüber schweigt (und in der davor gelegenen Bucht liegt Nizza), spielen sich den gesamten Nachmittag über die überraschendsten Wolkenfestspiele ab.

Und hier drin ist es warm.

Schwalben, Tauben, Finken. Und kaum mal eine Möwe, weil das hier für die Möwen bereits viel zu weit oben liegt. Möwen sind schwere Vögel, und sowieso liegt hier viel zu wenig Müll herum. Und das Wenige fegt der Mann in der giftgrünen Uniform an jedem Morgen ab 5:30 Uhr weg.

Das Leben kann schön sein, wenn es will.

Fordlândia, das habe ich zum ersten Mal gehört auf einer Modenschau von Joop! im Hamburger Bahnhof – echt lange her. Damals war Dirk Schönberger dort noch Designer. Ein paar Tage später flog er dort raus. Aber dieses Stück! Nichts ist eben vergebens im Leben. Alles ergibt letztendlich Sinn. Ich trage das schöne T-Shirt, das Julia mir geschenkt hat auf ihrem eigenen Geburtstag, und auf dem T-Shirt steht »STURTEVANT STURTEVANT STURTEVANT«. Damals, in Oberkassel und überall sonst in Düsseldorf um Oberkassel herum, hatte in der Vornacht ein Megasturm beinahe sämtliche Bäume umgeblasen – Stämme auf den Autodächern, Stämme mitten durch die Häuser: Die Klempner und Dachdecker hatten echt gut zu tun. Ich habe Fotos gemacht.

Als ich nach Berlin zurückkam, trug ich das T-Shirt und Gudrun Wurlitzer hat sich über mich lustig gemacht, weil ich ja gar nicht wusste, wer Elaine Sturtevant war. Heute ist mir das egal, denn es ist bloß ein T-Shirt.

Und seitdem ist eine Menge geschehen.