Betrachtungen eines Politischen

Mit mittelmäßiger Laune zum Abendbrot nach Zürich geflogen. Im Grunde war es Demut. Die Schweiz ist, hier gleich nach Frankreich, die Nation, in deren Land ich am häufigsten zu Gast war in meinem Leben. Und hier ist alles, das vergesse ich, wann immer ich wieder in Deutschland heimkomme, heil. 

Der Effekt ist ein anderer, als bei einem Heimkommen aus Frankreich. Das wird mit der zum Verwechseln ähnlichen Sprache zu tun haben, aber es ist halt auch der look and feel der Schweiz, das mir ein extrem schlechtes Gewissen macht; alles irgendwie ähnlich; alles in einer irgendwie geglückten Variante von Zuhaus.

Ich kann hier an der Straßenbahnhaltestelle eine tättowierte Bergbauerntochter nach der richtigen Endstation fragen, und bekomme von ihr eine Antwort. Vor dem Späti, weil gerade die Sonne scheint, bittet mich der Spätibetreiber um Verzeihung, weil ausgerechnet heute sein Kartenlesegerät defekt ist und er nur Bargeld annehmen kann für seine Bedienung (er hält die New York Times neben der Frankfurter Allgemeinen in seinem Sortiment). Publikum und deren Ausdrucksweise aber ganz genau so wie vor den Spätis von Stuttgart, Cagnes-sur-Mer oder Berlin.

Später dann, als ich mit Il Gordo im großen Saal der Kronenhalle saß, bestellte ich die Bratwurst, für 30 Euro, die mir vom Kellner im weißen Kellnerjackett ohne ironisches Zwinkern mit zweimaligem Service aufgetan wurde. Die Ehrenanstecker an seinen Revers behielt er dabei ebenfalls an. Mir ist schon klar, dass das meiste hier mit dem Zahngold der toten Juden aufgebaut wurde. Und aus der Portokasse der Diktatoren und Steuerhinterzieher aus aller Welt. Ich weiß auch, aber darüber sprechen wir nie, obzwar unsere Freundschaft heute ins 23. Jahr geht, dass die Freunde des Il Gordo, die freilich allesamt Schweizer sind, mich auf Italienisch, auf Französisch und einer auch auf Rätoromanisch, im Eidgenössischen als Sauschwaben bezeichnen. Aber mir ist halt auch klar, dass von denen keiner seine Bratwurst in der Kronenhalle mit Karte bezahlen würde, wenn er sich das nicht mehr leisten könnte. Was unter Schweizern schlicht heißt, dass auf dem Konto noch ausreichend Franken liegen, um nötigenfalls die eigene Beerdigung zahlen zu können.

Problem der Schweiz: kaum Künstler. Aber die Vögel machen dieselben Geräusche. Es wird Frühling, zweifelsohne.