CHÀO SOFIA

Dieses Mal wohnen wir nicht im Stadtzentrum, sondern im Viertel der eurasischen Botschaften mit Blick auf den Hausberg. Von den Fenstern aus sind Einblicke in das Leben der anderen möglich, weil hier viele die Küche in den von mit Scheiben verglasten Balkon verlegt haben. Eine Nachbarin von gegenüber schaut am Samstagabend lange in das innere Weiß ihres Kühlschranks und schließt dessen Türe dann wieder, um in einen Topf auf der Herdplatte zuerst etwas Milch, dann den Rest aus einer Tüte Zucker zu schütten. Mit dem Topf in Händen schlurft sie in den schattigen Teil der Wohnung zurück. In der Küche schräg darüber thront eine Katze in ägyptischer Pose auf dem Kühlschrank und blickt mich an. Ein Empire State Building ragt vor dem Waldrücken auf. Seine Kantigkeit wird bei Sonnenuntergang mit einem Haufen dunkelroter Glühbirnen hervorgehoben. Drunten in den Straßen ist es schattig und grün. Elstern streiten sich in den Linden. Beim Überqueren der langen Hauptstraße zeigen sich aus der Ferne die goldenen Kuppeln der Kathedrale.

Seltsam, dass mir diese Welt des Wenigen vielfältiger vorkommt, nicht reicher, als das, was ich vom Leben in Berlin verinnerlicht habe. Trotz tagelangen Herumstreunens in Sofia und Bansko keinen vernünftigen Buchladen gefunden. Und der Besuch im angeblich besten Plattenladen war unerfreulich. Der Besitzer zögerte auch, uns überhaupt hereinzulassen. Als wir uns kauflos verabschiedeten, schien er direkt erleichtert. Auf dem Markt gibt es Himbeeren und riesige Pilze.

Für das Museum der Militärgeschichte sollte man mehrere Stunden einplanen. Die Ausstellung zeigt Exponate aus sämtlichen Epochen. Es geht im Ergeschoss los mit ersten Versuchen, aus Stein und Holz tödliche Waffen und Rüstungen herzustellen, dann gibt es bald schon Dolche und Schwerter, erste Uniformen aus Wolle und Filz. Ausladende Schlachtengemälde aus der Zeit des siegreichen König Boris, dann liefert Krupp aus Deutschland vernünftige Kanonen. Beim Betreten des Saales, der den Verlauf des zweiten Weltkrieges nachzeichnet, gesellt sich eine Museumspädagogin zu uns, um die Rolle Bulgariens speziell vor und nach dem 6. September 1944 zu erklären: Dem König gelingt es da nämlich, inmitten der letzten Schlachten, sein Land aus dem Pakt mit den Faschisten zu befreien, und Bulgarien auf die Seite der Sowjets zu schlagen. Es sind Fahnen zu sehen, auf denen die Hakenkreuze mit kreisförmigen Stücken aus weißem Fahnenstoff übernäht wurden, auf die wiederum der rote Stern appliziert wurde. Die in die Griffschalen der Dolche, auf die Schäfte der Bajonette, auf die Holme der Gewehre eingeprägten oder -gravierten Hakenkreuze mussten freilich in der Hitze des Rückzugsgefechtes bleiben, wo sie waren. Vorangegangen war eine Bombardierung Sofias durch die allierte Luftwaffe. An der Wand des Museums sind Abbildungen eingestürzter Gebäude in körnigem Schwarz-Weiß angebracht. Und um das Geschehene drastisch zu verdeutlichen, wurde an dieser Stelle des Raumes die tatsächliche Deckenverkleidung dramatisch heruntergerissen, so als habe sich der Qualm einer Phosphorbombe erst gestern verzogen. Kurz vor zwölf Uhr am Mittag werden die Besucher zum Verlassen des Gebäudes aufgefordert, weil dann die Angestellten zu Mittag essen. Nach einer halben Stunde darf man aber wieder hinein.

Draußen geht man unter freiem Himmel zwischen sämtlichen Panzern und Pontonlegern, Flugabwehrkanonen und Boden-Boden-Raketen, Hubschraubern und Schützengrabenbaggern, mobilen Radarstationen, Torpedogeschützen und Seeminen herum, die jemals vom bulgarischen Militär eingesetzt wurden. Das gefällt freilich den Kindern, die hier von ihren Vätern herumgeführt werden. Das Klettern auf dem von der deutschen Bundeswehr gestifteten Düsenflieger Tornado, Schrecken meiner Kindheit mit seinem Schallmauerknall, ist aber verboten. Look don’t touch, wie bei Schmetterlingen – sollte generell für alle Zeit und alle Menschen, insbesondere aber für die Erwachsenen gelten. 

Im Ersten Weltkrieg, die waren auf der zweiten Etage ausgestellt, gab es Gasmasken für Pferde und Hund.

Nah bei unserem Haus in dem Viertel gibt es eine Kindertagesstätte in der gleichen Bauweise, wie ich sie aus dem grünen Viertel hinter dem Alexanderplatz Friedrichshain kenne. Im Spielgarten hier ist ein kleines Schiff aufgestellt, in dessen gelb lackierter Kabine zwei Steuerräder nebeneinander angebracht sind. Damit sich die Kinder nicht streiten, weil beide Kapitän sein dürfen. Und trotzdem fällt mir dazu ein, wie sich beide dann anschreien und hauen, weil der einer von beiden bestimmt in die falsche Richtung lenkt.