The Chocolate Room, 1970

Meine Haut trinkt das Licht der Sonne. Es mundet ihr wie Kakao anscheinend, was sie mir durch ihre Färbung signalisiert.

Durch den Spalt fiel eine Wespe auf das Fensterbrett. Sie sah schon ausgewachsen aus, bewegte sich aber kaum und nur wie mühselig. Vermutlich war es für sie noch zu kalt. Ich weiß nicht: schlüpfen die in dieser Größe? Überwintern sie; wo? Auf dem Chitin zwischen den Flügeln wuchs oder lag eine Substanz in Form heller Fasern, so als schimmelte sie dort. Da ich nichts anderes zur Hand hatte legte ich ihr ein Lesebändchen hin aus einem Buch, auf das sie krabbelte. Daran zog ich das Insekt, das sich nun, da es aufwärts ging in die Höhe, festklammerte dergestalt, dass ich es auch durch glöcknerhaftes hin- und herschwingen mit dem Lesebändchen aus dem Band kaum abschütteln konnte. Dann aber stürzte die Wespe ab und wurde von der Erdanziehungskraft erfasst. Träge wie sie war, brachte sie es nicht mehr fertig, ihren Rotor anzuwerfen, um vor dem Aufprall noch durchstarten zu können. Wir werden uns wahrscheinlich wiedersehen.

Für eine Ausstellung in Venedig denkt Ed Rusha sich den Chocolate Room aus: Die Wände im Inneren des Pavillons werden schindelhaft mit Papieren verkleidet, deren Oberfläche mit einer Schicht Schokoladenmasse bedruckt worden sind. Man konnte den Duft schon von weitem wahrnehmen. Ameisen machten sich auf, um dort einzudringen. Was ihnen, aufgrund ihrer Winzigkeit durch allfällige Lücken und Spalte in der Konstruktion des Bauwerkes natürlich gelingen sollte.

Ich bin seit dem Ostersonntag von neuem sensibilisiert für das Thema. Wir waren zu Gast in einem Bienenhaus im Licht und Luftbad, wo uns eine herzhafte Imkerin einen sehr guten, weil auch von seinem Stile her leicht bizarren Vortrag hielt. Sie fing an mit dem Satz »Bienen gibt es in dieser Form unverändert seit 120 Millionen Jahren.« Da schwirrt einem der Kopf. »Sie dürfen sich Bienen nicht als Individuen vorstellen. Das ganze Volk ist das Individuum.«

Nach der unvermeidlichen Kostprobe des dort erbeuteten Honigs ging es über eine Weise hinüber zu dem Bienenhaus, in dem die Organe so einiger Individuen ihrer Arbeit nachgingen. Man durfte dafür einen sogenannten Schleier aufsetzen. Am Straßenrand vor dem Bienenhaus blühten schon Sträucher und die Bienen pendelten zwischen den duftenden Ballen und den briefkastenhaften Einflugsschlitzen ihrer Behausung. Eine Arbeiterbiene lebt maximal drei Monate, weil das Einbringen der Nektarernte mit all den Flugmeilen derart ermüdend sich auswirkt auf den Organismus dieses Organs des Individuums Bienenvolk.

120 Millionen Jahre an der Spitze einer Evolution.