Die aufgehobene Fesselung ans Irdische

Mit der Schwarzwaldbahn von Baden-Baden bis nach Konstanz: in den Tälern hingen die Kirschbäume voll mit den gelb-roten Kirschen zwischen dem dunkelgrünen Blattwerk, auf den Wiesen lag zum Trocknen wie ausgebreitet das gemähte Gras—auch Heu wird gemacht.

Um den Bodensee herum durch Kreuzlingen bis nach Frauenfeld. Was wohl die Einwohner von Kreuzlingen gefürchtet haben im zweiten Weltkrieg und davor? Dass die Deutschen über die Grenze brechen werden; dass sie, wie die Laoten im Vietnahmkrieg, angeblich versehentlich bombardiert würden? Im Thurgau dann ein Sommerwetter bester Qualität.

Wir saßen im Zelt des Turf-Clubs an einem Tisch mit dem Präsidenten des Thurgaus, der sich als Turi Schallenberg vorstellte. Der am Nachbartisch postierte General des Schweizer Militärs hatte ein Namensschild an seiner dezent dekorierten Brust, von dem hatte ich geglaubt, denselben Namen abgelesen zu haben—ob sie beide Brüder seien?

Nein. Der General heiße Schellenberg, sagte Schallenberg »Me I am Soundmountain. He is Bellmountain.«

Zum Mittagessen gab es Tafelspitz und Kalbshackplätzli mit Schupfnudeln. Dazu Pilzsauce. Später Fruchtstängeli, Kaffee. Ich hielt dem Pferd vom vergangenen Jahr die Treue (Nimrod). Sentimentalitäten zahlen sich nicht aus. Verlust: 20 Franken. Nimrod jagt als dritter durchs Ziel (von vieren.)

Abschluß wie im vergangenen Jahr: Das gemeinsam gesungene Thurgaulied um 16 Uhr. Eine Abgeordnete der SVP steckt uns den Liedtext zu. Die am unteren Ende des Leporellos aufgedruckte Parteiwerbung (ein von Strahlen umkränztes Schweizerkreuz geht hinter den saftigen Hügeln des Thurgaus auf) trennen wir freilich ab. Mir überreicht Präsident Soundmountain noch kassiberhaft ein auf Mikrofiche ausgedrucktes, unparteiisch-neutrales Exemplar. Auf Nachfrage behauptet er, die Hymne seines Kantons selbstverständlich auswendig singend zu beherrschen; den Mikrofiche-Spickzettel trage er überdies rein vorsorglich für Fälle wie diesen, wie mich, in der Innentasche seines Jacketts bei sich. Allerdings muß hierzu festgehalten werden, dass er dann bei tatsächlichem Absingen des Liedes den Text vom Display seines ebenfalls in der Innentasche seines Jacketts mitgeführten Smarties ablas. Zumindest die Strophen. Denn der Refrain des Thurgau-Liedes, das, wie es uns unter anderem vom Präsidenten des Turf-Clubs Heinz Belz, aber halt auch von General Bellmountain und vom Landespräsidenten Soundmountain glaubhaft versichert worden war, wichtiger sei als die Schweizer Hymne, lautet auf »La La La, La, Làlà-là, La La«—heiter, aber auch andachtsvoll. Allerdings gibt es halt 21 Strophen.

Bei Sonnenuntergang dann noch am Uthoquai im Zürisee gebadet. Und am nächsten Tag, der noch viel heißer wurde, in der Limmat. Gleich hinter dem Stauwerk, wo wir uns im smaragdklaren Wasser des Flusses bis in den sogenannten Rechen hinein treiben lassen konnten, wieder und wieder. Ein Kletterer stieg dort vom Ufer aus in Badehosen an der Fassade eines Fabrikgebäudes hinauf, stellte sich auf den schmalen Sims eines zugemauerten Fensters und sprang dann in einem Back flip in die Flut. Applaus, als er nach ein paar Augenblicken seinen Kopf durch die Wasseroberfläche steckte. 

Diese Freiheitsgefühle entstehen nur während des Sommers in der Stadt.