Frankfurt, schmeiß den Gasherd an

Die ganze Stadt ein Skigebiet. Lupenreines Sonnenlicht sticht aus dem blauen Himmel. Im Hinterhof piepsen die Vögel, die Hauptstraße rauscht. Überlebenslust.

Parallel dazu gestern Abend in der Kunsthalle Schirn: Wir erklommen bei eisiger Temperatur die hohe Außentreppe und begegneten dann dort auf dem schmalen Grat Carl Jakob und David, sodass sich die Einlassprozedur angenehm und kurz gestaltete (es gab einen aus langen Kronzacken geformten Stempel auf die Hand). Es war der zweite Donnerstag seit der Eröffnung der Jean-Michel-Basquiat-Retrospektive. Immer an den Donnerstagabenden wird dort der Crown Club geöffnet. Die Idee ist, dass die Besucher der Ausstellung durch eine Seitentür in den Club gehen können, um von dort aus, bei Bedarf, auch wieder in die Ausstellung zurückzudiffundieren. Die Ausstellung ist natürlich extrem schön. Der Club selbst ist einfach bloß schwarz: Decke, Wände, Boden und die Anlage freilich auch. Very instagramable, wenn dann der Chardonnay auf den Carbonlack tropft. Bei der Schirn hat man das komplett verstanden und vom social media impact her ist die Basquiat-Retrospektive inklusive des Crown Clubs featuring Dandy Diary ein Triumph. Ein Ausstellungsbesuch, aber halt auch ein Aufenthalt auf der Tanzfläche ist ja zunächst ein Anlass, um sich und die anderen vor Kunstwerken oder inmitten von Tanzenden zu fotografieren oder zu filmen, um diese Fotos und Filme dann wiederum den Umstehenden auf dem Display vorzuführen. Man erlebt etwas, um davon erzählen zu können. Ein Diskothekenbesuch oder der einer Ausstellung als eine Art Diaabend –  bloß live.

Als einziges Möbelstück ist im Crown Club ein großer Papageienkäfig aufgestellt. Von seinem Inneren aus ließ sich das Geschehen ideal beobachten. Es trat dann Joey Bargeld auf. Er trug ein weißes Sweatshirt mit dem Aufdruck Persil, darunter ein T-Shirt mit den Logos von Rewe, Penny, Supreme, Marvel und Obey. Schon bei seinem Hit Drogen kam es zu hysterischen Spitzen. Auch gut: seine Interpretation von Was hat Dich bloß so ruiniert. Totaler Abriss. Museum zersägt.

Danach durften wir leider nicht nach Hause, denn parallel dazu sollte mitten in unserem Viertel die alte Fliegerbombe entschärft werden, auf die man genau gegenüber von jenem Wasserhäuschen gestoßen war, vor dem ich im letzten Sommer so einige schöne Stunden mit Alexander und Herbert und den anderen verbracht hatte. Die Operation war für 23 Uhr angesetzt und das gesamte Viertel wurde deswegen evakuiert. So fanden wir uns mit den übrigen Anwohnern ein im Auffanglager, das in einer leerstehenden Messehalle eingerichtet ward. Dort standen hunderte Tische in langen Reihen, im hinteren Teil des Raumes standen Feldbetten bereit, für all diejenigen, die schlafen wollten. Es gab drei verschiedene Arten Würstchen: Rind, Wiener und Bock. Alles makellos organisiert und trotzdem blieb es eine sehr unangenehme Vorstellung, wie es wohl wäre, wenn wir von nun an für eine sehr lange Zeit in diesem Auffanglager bleiben müssten. Dort mit all unseren Nachbarn, die wir ja mehrheitlich gar nicht kannten, zusammenleben müssten, weil es anders gar nicht mehr ging.

Gespenstisch ging es vor den Türen auf dem von Flutlichern beleuchteten Vorplatz zu, wo die Feuerwehrleute und Helfer in den violetten Uniformen der seelischen Notfallhilfe herumstanden und das Ende der Aktion erwarteten. Da hallte vom Schauplatz der Entschärfungsaktion die Lautsprecherstimme des Einsatzleiters herüber. Ansonsten, es war schon beinahe Mitternacht, blieb es draußen wie drinnen beunruhigend still.