Gestern, im 3-D-Refraktor

Glückliche Tage liegen hinter mir, zu glückende treiben bugwärts auf mich zu. Am Sonntag fuhren wir tout en famille nach Maulbronn, wobei mit dem Schnee, den wir dort um diese Zeit im vergangenen Jahr hatten, leider nicht zu rechnen war. Doch erwarteten uns dort, wie neulich, die Leute aus Schmie, jenem unterschätzten, auch zu unrecht übersehenen Ort dort gleich bei dem Kloster. Sie hatten ihre herrlichen Würste dabei. Mir war freilich zunächst nach Zirbe, diesem Wunderbaum, der den Schlafgestörten kraft seiner Kernholzdüfte als Medizin versprochen wird. Am Zirbenstande kaufte ich dann ein Fläschchen der Substanz; bei abgeschraubtem Deckel daran schnüffelnd breitete sich, hier in etwa den berüchtigten Poppers vergleichbar, bald ein großes Wohlbefinden in mir aus. Doch wurde es mir auch recht schwindelig, wie ich, eingehüllt in Zirbenduft in meine Wildbratrote aus Schmie hineinbiß. Der Schwindel aber, der sich im Verlauf des Nachmittages noch zu einem veritablen Drehschwindel auswachsen sollte, rührte dabei nicht, wie ich zunächst vermuten wollte, von dem mich umgebenden Schwall der Zirbe her, sondern war, wie es heißt, dem Umstand geschuldet, dass mir am Vortage meine Brille zerbrochen war, sodass ich ohne Sehhilfe durch die mittelalterliche Welt Maulbronns geleitet werden mußte wie ein Blinder (Jorge Luis Borges hat in einem der letzten Gespräche für die Paris Review erklärt, er sähe mittlerweile die Welt »in Orange«, ich meine, er sagte »in Honigtönen.«) Bei mir war es halt zu wenig scharf.

Was die Substanz anbetrifft: Friederike hat das Fläschchen konfisziert. Ich bekam Zirbenverbot.

Enttäuschend auch, dass der von uns sehr geliebte Kater namens Frieder, der von seiner gedrungenen Bauweise her an die von Balthus gemalten Artgenossen erinnert, sich kein Mal blicken ließ. Und dass, wo wir ihm doch die noch verbliebenen Dosen aus unserem Bestand an Katzendrinks (Huhn) mitgebracht hatten. Da half kein mitternächtliches Rufen: er zeigte sich nicht auf der Gasse in Heimerdingen, und so reisten wir in dieser Hinsicht unverrichteter Dinge wieder ab. Die Katzendrinks blieben dort, vielleicht ja im Frühjahr, im sogenannten Getränkekühlschrank.

Lange Session dann in Frankfurt beim Optiker, der mit zwei wohl extrem kostspielig erworbenen, meiner Ansicht aber lohnenderweise, Spezialgeräten Staat machen konnte. Ich wurde angeschlossen an einen 3-D-Refraktor, der mir dem Drogenrausch sehr ähnliche Bilder ins Bewußtsein induzierte. Ich schaute auf ein karibisches Bild, aus dessen Panorama sich bald bunte Wasserbälle lösten, die auf mich zuschwebten, um dann im virtuellen Raum vor »meinen Augen« kreisend still schwebend stehenzubleiben, während am Horizont aus den Wellen des holographischen Meeresspiegels, beinahe schaumgeboren, die Buchstaben erschienen waren, an deren Entzifferbarkeit sich meine Sehverstärkungsbedürftigkeit ermessen lassen würde.

Brillengestell zuzüglich sogenannter Gleitsichtgläser (aus Japan!) kostete dann soviel wie ein neues iPad Pro, das ich viel lieber gehabt hätte. Aber es geht nun einmal nicht anders. Ohne Brille kein Text.

Angenehm verschwiemelt, als Kurzsichtiger durch das grau versiffte Land zurück nach Berlin, Haus der Gegenwart, Ministerium der Heimat. Mit dem Photographen stundenlang an den Aufnahmen von Los Angeles herumgeschoben. Riesenfreude. Dazwischen kurzer Abstecher zum Verleger, dann gleich wieder in die Künstlerkolonie, Zweigstelle Berlin, zurück. Bei zur Straße hin geöffnetem Fenster den Nerven  gelauscht: »Angst.«