Het Melkmeisje

Kaum war ich ein paar Tage verreist, verändert sich die Wohnung bis zur Unkenntlichkeit. Aber klar, die Fensterputzer waren da. Es ist ja dem Kalender nach Frühling. Zeit für den sogenannten Frühjahrsputz. Sämtliches von den Fensterbänken steht nun auf dem Fußboden in Stapeln. Es sieht so nicht unbedingt besser aus, so wie ein Mensch, der sich einer Schönheitsoperation unterzogen hat auch nicht jünger wirkt, aber anders. Ich zweifle, ob ich die Bücher denn jemals wieder auf die Bänke zurück räumen sollte. Andernfalls brauchte ich wohl ein Bücherregal. Und einiges kann, von diesem Zustand der Lagerung aus betrachtet, mit endgültiger Wirkung der Wohnung verwiesen werden. War mir, an den angestammten Plätzen aufbewahrt, nicht aufgefallen. Wie denn auch—von Peter Sloterdijk erhielt ich einst den Haushaltstip, dass man sich die meisten Möbel bloß anschafft, um sie zum Verschwinden zu bringen (durch Abnutzung deren Reize im alltäglichen Gebrauch.) Gilt demnach auch für Steine und Federn, getrocknete Blüten, Münzen, Baumrindenstücke, ausländische Kronkorken, Herbstlaub, vollgeschriebene Notizbücher, Bruchstück vom Schwanz eines aus Elfenbein geschnitzten Krokodils, getrocknete Babyquallen, Schneckenhäuser, Taschenfahrplan der Heidekrautbahn, Wachswürfel geknetet aus Babybelhüllen, eine elektrische Kakerlake, zwei sehr trockene Zweige, Seifenschachtel, Amseleierschalen, Blässhuhneierschalen, Schwaneneierschalen, Kormoraneierschalen, versteinerte Kamelkotperlen, Murmeln, Schrotkugeln, Schnur.

»Wie der Hirsch nach frischem Wasser, dürstet es mich nach Reglement«, schrie(b) Alfred Krupp in sein Tagebuch. Bei James Joyce war es noch eine Seife, die morgens am Himmel empor steigt. Wegen Sunlight, so hieß die Seife (Sunlicht bei uns.) Und heute—eine Tiefkühlpizza?

Mein Nachbar schickt eine Einladung meiner Eltern zu ihrer Goldenen Hochzeit per Post an mich. Weil die irrtümlich, obzwar von meiner Mutter Hand korrekt adressiert, bei ihm eingeworfen ward. Wir wohnen, wie gesagt, in direkter Nachbarschaft, parallel nebeneinander, Tür an Tür. Irritierenderweise hat die Person, die im Literarischen Colloquium die Briefumschläge beschriftet, eine der meiner Mutter sehr ähnlich sehende Handschrift. Der Effekt, in dem ersten Umschlag einen, wenn auch kleineren, aber mit identischer Adresse in sehr ähnlicher Handschrift beschrifteten Umschlag zu finden ist zumindest quasiliterarisch.

Dann saß in der Bahn direkt neben mir ein Mann mit drahtlosen Ohrhörern, die mit seinem Telephon verbunden waren, sodass ich gut beobachten konnte, was er damit hörte. Er durchsuchte das Angebot an Podcasts und sein Suchwort war »Zeitungen«. Da gab es aber nur Angebote der taz. Daraufhin versuchte er es mit »Zeitschriften«. Auch da sah es mau aus. Innerlich seufzend gab er dann »Sales« ein und begann dann wohl einem Motivationskurs zu lauschen. Dieser Mann war als Leser noch nicht verloren. Allerdings halt nicht im klassischen Sinn. Ihn dürstete, sich Zeitungen anzuhören.

Mußte mir gleich eine Zeitung kaufen und ganz durchlesen. Als Gegengewicht zu dieser Welt.