Klassischer Kitsch

Erspriessliches Selbstgespräch nach der Methode Johannes Gross in jenem Biergarten am Magnus-Hirschfeld-Ufer, der ja der teuerste ist in ganz Berlin — noch teurer als der am Schlachtensee —, weil man von dort aus einen unverstellten Blick genießen kann auf das am gegenübergelegenen Ufer gelegene Bundeskanzleramt. 

Vom besten Platz aus, unter schüchterner Frühlingssonne, hat man die Aussicht auf eine den Wahlberlinern gut vertraute Eigenheit der Architektur der Stadt: die Brandmauer. Wobei es sich um eine ungeschlachte Mauer ohne Fenster handelt, die einem dann den Ausblick auf das Wahre und vielleicht Schöne trutzig verstellt. Aber sie muß angeblich sein. Im Falle des Kanzleramtes, sein Architekt ist längst vergessen, wurde diese Mauer noch an ihrer Oberkante mit einem Dreiviertelkreis verziert, aus dessen Ausschnitt etwas hervorlugt, dass an ein nordrhein-westfälisches Gesamtschulprojekt aus den frühen Achtziger Jahren erinnert. Der Slogan der CDU hallt noch immer nach »Kann nicht schreiben, kann nicht lesen: Bin in Nordrhein-Westfalen zur Schule gewesen.«

Sowieso wirkt der gesamte Bau wie im Delirium entworfen. Vermutlich auch deswegen all diese Blöcke, die eine Gedankenflucht des Architekten sozusagen erden sollten. Und wie hineingebissen wirken auf uns Heutige die wie aus Verzweiflung in den Beton der Blöcke eingelassenen Glasfronten. Gut, in einem fensterlosen Bunker regiert es sich wahrscheinlich auch schlecht. Wobei die direkt nebenan benachbarte Botschaft eben dies behauptet. Dort gibt es keinerlei Fenster. Auf dem Tresor weht aber die schöne Kreuzflagge im Wind.

Und dahinter, so als wäre der zu Ostzeiten mühsam finanzierte Sockelstab nun endlich weggeschnitten, ragt die Kugel des in Wahrheit elend weit entfernt stehenden Fernsehturms der ehemaligen DDR heraus. Auf der silbrig schimmernden Kugel zeigt sich zu jener Stunde auch die Reflektion des Sonnenlichtes in Form eines Christenkreuzes, was, glaubt man dem ostdeutschen Urban Myth seinerzeit als Subverversion des eingesperrten Architekten und als Signal an seine eingesperrten Mitdeutschen galt.

Im Biergarten gibt es ausschließlich nur wenig attraktive Vögel. Hauptsächlich Spatzen und Stare (die vom nahen Hauptbahnhof einfliegen). Nicht einmal Amseln. Geschweige denn Rotkehlchen. Man ernährt sich von heruntergefallenen Brezelkrumen und Resten der Aufbackbrötchen, die mit den »Uohriginohl Biährgoarten Klassikern« verkauft werden.