Pott vs. Tasse

So kehrte ich unter strahlend blauem Himmel nach meinem Dreikönigstagsspaziergang im Tierfuttersupermarkt ein. In meinem Viertel schließen zwar die kleinen Fachgeschäfte, wie beispielsweise das Reformhaus, der Schreibwarenladen, der nicht zu einer Kette gehörende Bäcker und, wie überall sonst auch in Berlin, die Filiale der Berliner Sparkasse, dafür gibt es jetzt auf engstem Raum, eigentlich direkt gegenüberliegend an dieser Straße, die ansonsten vor allem zunehmend leer stehende Ladenflächen zu bieten hat, zwei Filialen von Edeka (die eine ist hier angestammt seit 25 Jahren, die andere gewissermaßen zwangsläufig durch die Konzernübernahme aus einem Kaiser‘s entstanden); außerdem einen Vintage-McDonald’s in der Architektur der achtziger Jahre und zwei Tierfuttersupermärkte. Es fehlt aber noch ein Mediamarkt. Irgendwo las ich neulich erst, dass es eine Folge des Postfordismus sein soll, dass sich die Empathie des Menschen auch auf alles mögliche und nicht Mitmenschliche quasi ausweiten lässt – Geräte zum Beispiel. Und Tiere eben auch. Sogar solche, die sich nicht streicheln oder an einer Leine ausführen lassen, also Bienen zum Beispiel.

Ich brauchte noch Vogelfutter. Und hätte nicht gedacht, in welcher Auswahl und Fülle man es mir dort anzubieten hatte. Denn ich betrat den Tierfuttersupermarkt zum ersten Mal, auch dessen Logo ist eher unangenehm, ein Zerrbild des wie weichgewordenen und dabei halb geschmolzenen Comic-Hundes Pluto, den ich schon ungeschmolzen nicht mag, zudem in gelb und rot (vermutlich, um die Corporate Identity des Tierfuttersupermarktes an die eingefleischtere Corporate Identity von McDonald’s anzuschmiegen, denn der Tierfuttersupermarkt befindet sich – räumlich gesehen – im Hinterhof des Drive-Inn-Restaurants.)

Im Tierfuttersupermarkt duftete es so herrlich wie einst in den Zoohandlungen meiner Kindertage. Einmal habe ich das in camouflagefarbenen Flocken verkaufte Zierfischfutter sogar mit angefeuchteter Zeigefingerspitze gedippt und probiert. Über den Duft vorgestern, 2018, entstand ein umgekehrter Madeleine-Effekt. Am ausladenden Regal mit den Tüten voller Futtermischungen für freilebende Wildvögel entschied ich mich für eine Mischung für wild lebende Waldvögel. Auf der Packung aufgemalt waren so gut wie alle Schnabelträger, die sich regelmäßig an meiner Futtersäule zu versammeln pflegen: Kleiber, diverse Meisen und sogar das süße Rotkehlchen. Mit ausschlaggebend für meine Kaufentscheidung war zudem das Logo des Herstellers, ein Rotkehlchen mit Chefkochmütze auf und einem Kochlöffel in der zur Faust geballten Flügelspitze, das sich als Sternekoch empfahl. Außerdem enthielt die aus unbehandelten Körnern bestehende Mixtur laut Inhaltsangabe einen Anteil einer ominösen »Negersaat« von der ich noch nie zuvor gehört hatte, auf deren Schmackhaftigkeit ich aber gespannt war in meiner Eigenschaft als Voyeur.

Es war dann aber leider so, dass meine Vogelschar sich zwar wie gewohnt auf die frisch angefüllte Säule stürzte, doch wurde mein Zuschauvergnügen extrem geschmälert insofern, dass die Kleiber, vor allem aber die Meisen, die Gourmetmischung so nicht als zum Erbrechen, aber zum Wegschleudern fanden. Und dies und ausdauernd auch so lange, bis sie durch die Neuanfüllung hindurch auf den Bodensatz eines Restes der noch in Frankfurt besorgten Mischung aus der Samenhandlung von Herrn Andreas vorgedrungen waren. Die besteht aus Erdnüssen und Sonnenblumenkernen, enthält allenfalls Spuren von Negersaat.

Das dauerte zwar einen Tag lang an, das stoische Hineinpicken und Herausschleudern, aber es unterhielt mich vom Anblick her eher schlecht. Nun liegt am Balkonboden alles voll mit teurer Wildwaldvogelmischung. Wobei auf der Packung ausdrücklich versprochen wird, dass die Saaten restlos aufgepickt werden, da es sich um eine extrem schmackhafte Zusammenstellung von Körnern handele. Zudem kommt mir der deftige Temperatursturz zur Hilfe. Seit heute früh hat es -3° Celsius. Die Säule wird von mir erst wieder nachgefüllt, wenn auch das letzte Saatenkorn vom Balkonboden aufgepickt ward.