PUSSY DELUXE

Erst seitdem ich Wolken fotographiere ist mir die Flüchtigkeit ihrer Erscheinungsform, das Ephemere möglicher Motive bewußt. Am Morgen sehe ich eine reizende Konstellation aus winzigen scharf voneinander abgesetzten Sahnehäubchen, wie umflossen von musivischem Blau: dann heißt es annähernd blitzschnell zum Telephon greifen, denn zwei Augenblicke später könnten die schon ineinander gelaufen sein. Gestern, die Bäume rauschten unisono, war dort oben ein zügiges Treiben. Strebsam. Es ging westwärts dahin. Der See zeigte sich dunkelgrau und hatte sogar Schaumkronen. Gelockt von einer kuriosen Plakatserie, mit der für einen sogenannten Katzendrink in den Geschmacksrichtungen Huhn, Thun, Ente oder Kaninchen geworben wurde, machten wir einen ausgedehnten Spaziergang zum Tierfuttersupermarkt. Das ist ja, wenn man kein Haustier hält, eine unentdeckte Welt vergleichbar der Autozubehörsupermärkte, wenn man kein Auto besitzt. Der Unterschied besteht dann freilich darin, dass ein Auto keine Augen hat. Wobei meine Mutter ja die Beliebtheit jenes Modells das auch sie ihr eigen nennt damit erklärt, dass ihr Fiat 500 »so freundlich aus der Wäsche schaut.« Und das stimmt, denn dieser Kleinwagen hat runde Scheinwerfer im Gesicht. Wie einst der sogenannte Käfer. Oder gar der Porsche 928, der aus seiner flapsigen Breitmaulfront zwei Froschaugen emporklappen konnte to much applause. Die überwiegende Zahl der mittlerweile beliebten PKW hat jetzt Schlitzaugen und schaut wie aus Zorros Maske geradezu feindselig, zumindest zum Äussersten entschlossen in die Welt. Die Katze auf dem Werbeplakat für den Drink aber liegt wie lasziv ausgestreckt da und nimmt die Passanten aus dunkelblauen Augen ins Visier.

Geruchlich geht es im Tierfuttersupermarkt erfreulich weniger streng zu, als ich befürchtet hatte. So lange man sich von der Hundesektion fern hält, die natürlich die ganze andere Hälfte der erstaunlich weiten Verkaufsfläche einnimmt. Die Rechtsführung der Kunden bringt zuerst einige Regalwände mit Futtermitteln für freilebende Wildtiere, die damit zur Beobachtung gelockt und dabei versorgt werden sollen. Vögel selbstverständlich, aber eben auch eine Palette von Trockenmischungen für Eichhörnchen und Igel. Dabei ein sogenannter Igelschmaus, der zur Hälfte aus als Meeresfrüchte angepriesenen Shrimps besteht. Wir versuchten uns in das Bewußtsein eines auf Berliner Territorium aufgewachsenen Igels hinein zu versetzen, der seine Schnauze in eine Porzellanschüssel gefüllt mit dem Igelschmaus hineinwühlt, um dann die ihm völlig unbegreiflich mundenden Meeresfrüchte zu schmausen. Ob ihm das bewußt werden kann, dass er da beim Schmausen etwas schmeckt, was es in seiner Welt gar nicht geben darf?

Ähnlich fühlt sich auch ein Hase, der aus seinem Wasserspender einen abgekühlten Tee schlürft Marke »Zahnwohl«. Die Verpackung der Teebeutel, deren Zubereitung auch für Katzen unbedenklich scheint, ähnelt sehr denen eines Biotees für Menschen. Eventuell könnten auch Menschen am Zahnwohl genesen, da die Teemischung laut Packungsangabe vor allem aus Birkenblättern besteht. Besinnt man sich, als in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts geborener darauf, dass es einst lediglich Brekkies gab und Whiskas, so müssen die Ansprüche der Katzen inzwischen exponentiell gestiegen sein. Denn es gibt, das wurde uns in der Gestalt von vier doppelseitig eng befüllten Regalwänden vor Augen geführt, mittlerweile dutzende Katzennahrungsspezialisten, die mit veritablen Kollektionen um die heiklen Schleckermäulchen zu buhlen verstehen. Der Katzendrink selbst war in einer deutlich kleineren Dose abgefüllt, als auf dem Plakat abgebildet. Im Grunde selbstverständlich, da ja auch die abgebildete Katze keine zwei Meter fuffzig lang ausgestreckt gewesen sein dürfte in der Realität. Und Katzen mit dunkelblauen Augen dürfte es ja auch keine geben, da kann sich ihre Art auch noch so sehr verfeinern wollen. Es waren, leider, bis auf Huhn und Thun schon alle Sorten ausverkauft. Wir kauften sämtliche Restbestände auf. Eine uniformierte Angestellte beglückwünschte uns zum Kauf, da es sich bei diesem innovativen Produkt um einen wohl selbst für die Betreiber des Tierfuttersupermarktes höchst unerwarteten Verkaufsschlager handelte. Es gab sogar Beschaffungsprobleme.

In der Bio-Corner machte ein akzentuiert modisch gestaltetes Unternehmen namens Pussy Deluxe auf seine Création aufmerksam. Dabei handelt es sich um dildohaft geformte Würste in silberner Folienverpackung mit neonfarbenen (pink) Aufdrucken. Unter anderem in der Geschmacksrichtung Oktopus—aus reinem Tentakelfleisch. Die Wurst wird wohl, wir kauften sie nicht, in Scheiben geschnitten serviert. Auch ein Carpaccio wurde denkbar.

Mit zugeklemmter Nase nahm ich der Vollständigkeit halber noch die Hundesektion im Spurt. Wie in einem Retrokrämersladen werden dort die abartigsten Kadaverteile aus großen Schütten zum Selbstzusammenstellen feilgeboten. Ich dachte an die Schinderhütte hinter den Marmorklippen. Unter anderem mußte ich dort die Luftröhren von Straußen schauen (luftgetrocknet), die an die Elendströte Vuvuzela denken lassen. Oder, für die Freunde von Leatherface: Rindsfellschnauzen. Das sind, unfasslicherweise, die samt Fellumgebung abgerissenen Nasen von toten Kühen. Es muß schon einiges schief laufen in der persönlichen Entwicklung eines Menschen, dass er seinem Hund einen Sack mit solch barbarischen Leckerli füllt.

Gut gekühlt, meint Friederike, schmeckt der Katzendrink wie eine gute Fleischbrühe ohne Salz. Sie genehmigte sich allerdings nur den ersten Schluck aus der Stewardessendose (Methode Feuerzangenbowle.) Nun heißt es warten auf eine Katze. Also dass eine vorbeistreunt. Auf dass sie etwas kosten darf, was es in ihrer bescheidenen Welt bislang noch nicht gegeben hat.