Sie haben ein Sturmtief nach dir benannt

Die Futtermischung nach der Rezeptur meines Vaters zieht bislang fern gebliebene Gäste an: Heute früh stärkte sich zum ersten Mal an der Säule ein Gimpel. Da hege ich freilich Hoffnung, dass es mir durch ganzjährige Fütterung gelingen wird, nicht bloß die Nachtigall aus dem vergangenen Frühling bei mir als Gast begrüßen zu können (und so manchen Amselhahn in den Pause zwischen zwei Gesangsproben), aber halt bitte auch den Ortolan.

Die Chancen stehen, ich habe mich umgehört, gar nicht schlecht. Zubereitung und Verzehr des Ortolan sind in Frankreich weiterhin nicht unter Strafe gestellt, der Handel mit Ortolanen auch nicht etwa verboten, weil der Vogel, im Umgangsfranzösisch süßerweise als Gärtnerin bezeichnet, vom Aussterben bedroht ist, sondern weil die Art und Weise des klassischen Ortolan-Verzehrs, ähnlich wie der von Schweinefleisch im Islam, tabuisiert wurde (daher auch die Serviette über dem Kopf der Esser). Wie Magnus Nilsson erzählt, gibt es bei ihm dort oben in Lappland Hunderte von Ortolanen in jedem Sommer und dann auch wieder fünf Monate später, wenn sie aus Nordafrika zurück sind. Für Herrn Nilsson war das Ortolanverbot der Franzosen auch ein ausschlaggebender Grund dafür, den französischen Restaurants von Paris, in denen er in seinen Lehr- und Wanderjahren als Sommelier gearbeitet hatte, den Rücken zu kehren, und in Lappland in der ehemaligen Molkereiakademie von Fåviken sein Ristorante come me zu eröffnen: mit radikal-saisonalem Speiseplan. Im Sommer gibt es dort auch Ortolan – freilich exklusiv als Personalessen.

Der Ortolangenuss dürfte noch im späten 19. Jahrhundert beinahe alltäglich gewesen sein im französischen Bürgertum, der republikanische Kalender hat ja so ziemlich jedem Volkstier, jedem Volkskraut, jedem Mineral und Zeugs bishin zum Quecksilber (heute) einen Tag zugeordnet – aber der Kalender schweigt vom Ortolan. Bei Marcel Proust hingegen ist nur an einer Stelle in der Recherche vom Ortolan die Rede, und zwar als Wiedergabe einer solchen. Im Grunde ist es ein Scherz, denn er behauptet, dass auf einer Abendfeier bei den Guérmantes ein Chinareisender erzählt habe, dass die sagenhaften Hundertjährigen Eier der Chinesen aus den Eiern der Gärtnerin bereitet würden.

Proust: sowieso der allerbeste Humor von allen. Ich habe das Bild der durch ihre Schnute laut Nudeln einschlürfenden Chinesen vor Augen und sehe dazu François Mitterand vor mir, in seinem Landhaus im Bordeaux, wie er, acht Tage vor seinem Tod, noch einmal einen Ortolan nach dem anderen ausschlürft unter seiner Serviettenhaube. Damit ihm Gott bei seiner Versündigung nicht zusehen kann.