SOFIA

Jetzt, nachdem ich hier am Rande der Hauptstadt vor einem Kiosk mit Blick auf eine Autobahnbrücke mit der Gastfreundschaft der Bulgaren, wie es heißt, exemplarisch Bekanntschaft schließen durfte, ist die Mume für mich gestorben. Ich muss sogar annehmen, dass sie selbst überhaupt keine Bulgarin ist; beziehungsweise, dass die Mume, gerade deswegen, aufgrund ihrer unbulgarischer Umtriebe schließlich von der Volksgemeinschaft der Bulgaren ausgespieen ward wie ein unverdaulicher Bissen.

Diese Erkenntnis, die für mich eine heilsame Wirkung hatte, verdankte sich der Lethargie einer Busfahrkartenverkäuferin am alten Flughafen von Sofia. Diese hatte uns, aus dem Inneren ihres schartigen, auch schattigen Blechhäuschens heraus, zwei Tickets für einen Bus verkauft, der uns, anstatt zur Métro wie verlangt, zu eben jenem Kiosk am Stadtrand brachte. Ansonsten leistet die Translate-App von Google sehr gute Dienste.

Wir wurden dort, vor diesem Kiosk sitzend, in eine Runde aufgenommen, die am Nachbartisch wohl schon eine Weile getagt hatte. Dies war, wie ich es aus Istanbul kannte, mit einem Blick an der Anzahl der auf dem Tisch verbliebenen aber schon geleerten Flaschen abzulesen, mit deren Pracht der Wirt die umliegenden Zecher, aber auch Passanten wie uns, zum eigenen Konsum anstacheln will. Ansonsten konnte man hier ja so gut wie garnichts entziffern. Besagte App übersetzt aber zuverlässig sämtliche kyrillischen Schriftzüge, die man dem Telefon vor sein Kameraauge hält. Das Bier, es stand also »Bier vom Berg« auf dem Etikett, mundete mild. Mild heißt mek. Dieses fachkundige Geschmacksurteil aus deutschem Munde wurde am Nachbartische mit Heiterkeit aufgenommen. Vom nahen Marktstand unter der Autobahnbrücke wurde Schweinefleisch in einer Tüte herangeschleppt und vom Kioskwirt erst plattgeklopft, dann kleingeschnitte und auf seinem Elektrogrill gebraten. Man isst es zum Bier. Ohne Brot oder andere störende Beilagen. So lernten wir also eine erweiterte Familie von Anwohnern aus diesem Viertel rings um die Autobahnbrücke kennen. Man kann in die Übersetzungsapp auch hineinsprechen und sie zeigt die übersetzten Sätze auf dem Display an, aber bald wurde zu solchem Zwecke die Mume dieser Familie herbeitelefoniert, sodass sie wenige Minuten später mit uns am Tische saß. Sie nämlich war ihr Leben im Kommunismus lang als Übersetzerin tätig gewesen, erzählte auch von zwei deutschen Männern die sie gleichzeitig geliebt hatte, Stefan im Westen und Peter im Osten, und heute, mit beinahe 70 Jahren, arbeitet sie an der Rezeption eines Sofioter Hotels. Neben ihr Platz genommen hatte zu dieser Stunde ein mächtig gebauter, vom Wesen her stiller Mann, der dann aber erzählen konnte, dass er der Sohn eines Popstars war. Seine Mutter hatte wohl eine eigene Musikrichtung begründet, die so ähnlich wie Estrala genannt wird. Er sprach etwas Deutsch. Weil er eine Zeit seines Lebens nahe Köln als Tubaspieler gearbeitet hatte. Und zwar im Fantasialand.