Ye-Me-Lê

Die Sonne geht kurz nach vier auf. Manchmal ziehe ich die Vorhänge nicht vor die Fenster, wache dann, wie heute, zu dieser Stunde auf. Wie damals in Afrika.

Kein einziges von Menschen gemachtes Geräusch, kein Auto. Von links her das von mir als majestätisch empfundene Krähen der Krähen. Das klingt für mich so, als könnten die damit den Erdball überziehen. Weil es wie ein Echo klingt. Dazwischen, sozusagen, vernehme ich für mich sogenannte dumme Lautäußerungen: Meisen und Stare, die einfach bloß melden, wo sie sitzen; dass ihnen der Platz dort gehört.

Der Nachtigallenhahn, er hat wohl noch immer nicht einen Geschlechtspartner gefunden, grölt ohnehin die gesamte Dunkelheitsphase hindurch bis in diese Stunden— allerdings in seiner musikalischen Sprache, die mir alles andere als belästigend klingt. Es wird ja nie langweilig. Seine Melodie kann er endlos und anscheinend fantasievoll variieren.

Dann erscheint bald in der Mitte des allgemeinen Konzerts ein Amselhahn mit seinem Lied, das ich mir nicht merken können werde, weil er es endlos, aber für mich niemals nachvollziehbar interpretieren kann. Und dennoch erkenne ich es, erkenne ich ihn daran, sogleich.

Sie alle werden bald tot sein. Und es werden andere Sänger und Schreiproduzenten und Vogelmelodieninterpreten kommen, die ihren Platz einnehmen werden in den Baumkronen vor meinen Fenstern. Für mich als User wird das keinen Unterschied machen. Sie werden singen den universal song of the birds.

Blackbird sings in the dead of night
Take this broken wings and
Learn to fly

Dazu braucht er eine vergleichsweise riesige Gitarre.

Lino hat sich im Innenhof einen kleinen Platz eingerichtet, da stehen zwei Liegestühle im Schatten. Vor zwei Jahren hat seine Frau die Lunge eines anderen Menschen (ob von einer Frau, oder von einem männlichen Wesen, weiß ich nicht) eingenäht bekommen. Seitdem können sie nicht mehr in die Heimat verreisen zum Urlaub. Ich fragte ihn gestern, ob er meine Geranien gießen könnte, weil ich heute ins Thurgau verreise (Pferderennen). Lino sagte: Gerne. Ich mag Blumen.