14.10.

Um 5.20 Uhr vom inbrünstigen Morgengesang der Catholic Jubilee Boys School geweckt worden, fast geheult.

Am Morgen zuvor hatte ich am Markt einer der klapprigen Fords bestiegen und die halbe Stunde, bis er voll war und abfuhr, den umherlaufenden Händlern zugeschaut: dem mit den Parfüm-Flakons, dem mit den Fake-Fur-Badelatschen, dem mit den Schmerztabletten, die Ibuglo heißen; dem mit den Taschenbüchern von Donald Trump und Ben Carson; dem, der eine zugeknöpfte und umgedrehte Jeansjacke zur Tasche gemacht hat, aus der heraus er Jeansjacken verkauft; der Frau, die zwei Dutzend rosafarbene Styroporbehälter mit Mittagessen auf dem Kopf trägt; der Frau, die eine Pyramide aus Eiern mit Salzkruste auf dem Kopf trägt. Kauft man eins, pellt sie es und gibt scharfe Soße und ein wenig kleingeschnittene Zwiebel darauf. Dass Eier sich hervorragend als Wegzehrung eignen, weiß man ja aus den Zügen der Deutschen Bahn. Einer mit einem antik aussehenden Buch hält die rechte Hand eines zweiten Mannes. Der erste betet eine Zeile hinuntern, der zweite spricht sie mit geschlossenen Augen leise lächelnd nach.

Hat man den urban sprawl Accras einmal hinter sich gelassen, ist es vor allem grün: Bananen, Bambus, Palmen. Dazwischen Dörfer, darin: Penecostal Church, Seven Day Adventists, New Apostolic Church, Muslim Mosque, Mega Church, Presbyterian Church, Methodist Church, Anglican Church. Der Mann neben mir auf der hintersten Bank hat abwechselnd mit seinen beiden Handys (und auf einem davon whatsappend mit seiner Geliebten, Irene) zu tun und mit einem Stapel Geschäftsbücher, auf deren oberen Schnitt er mit blauem Marker NIXON schreibt. Das Radio spielt gefällige Uptempo-Nummern, ich verstehe nur »Jesus«, »Lord« und »Africa«. Ist mir lieber als Reggae, der hier auch viel läuft. Ingo wollte immer nach Jamaica, aber ich konnte nicht, wegen Reggae.

Cape Coast war mal Hauptstadt und steht voller von der Salzluft angefressener viktorianischer Wohnhäuser mit fleckigen pastellfarbenen Fassaden. Einer der Steinlöwen vor dem Kumasi House ist umgekippt. Im Mighty Victory Hotel mit seinen blassgelb und altrosa lackierten Wänden, dem Neonlicht und den eiernden Deckenventilatoren muss es in den Siebzigern exakt so ausgesehen haben wie heute. Bis auf das staubige Office-97-Handbuch unter dem Fernseher in der Lobby, auf dem außer einem Lokalsender nichts läuft. Ein älteres Paar verlässt sein Zimmer, grüßt sehr freundlich. Sie trägt ein enges buntes Kleid, er ein flatterndes schwarzes Stehkragenhemd, eine Hose aus demselben Stoff, auf dem Kopf eine Samt-Kufi, in die kleine Spiegel eingenäht sind. In der Hand einen massiven geschnitzten Stab aus Ebenholz.

Vom Hotelbesitzer erfahre ich, dass das, was ich für eine ausgelassene Feier mit lautem Gesang gehalten habe, der Abend-Gottesdienst ist.