17.03.

Lagos. Wir bewegen uns in einem klimatisierten Kleinbus mit abgedunkelten Scheiben durch die Stadt. Der Verkehr ist genau das heillose Chaos, als das er immer beschrieben wird. Anders als in Accra gibt es neben Buschtaxis, die hier gelb sind und Danfos heißen, kleine dreirädrige Sammeltaxen und Okadas, Motorräder, die man samt Fahrer mietet – ohne Helm, versteht sich. Das Festland ist mit Lagos Island und Victoria Island (sowas wie das Manhattan von Lagos) durch eine lange Brücke verbunden. Sie gibt den Blick frei auf die Lagune und Makoko, den Slum, der zu zwei Dritteln auf Stelzen im Wasser steht, dazwischen Fischerboote.

Auf dem stundenlangen Weg ins Haus, in dem von Fela Kuti bis zu seinem Tod im Jahr 1997 mit seinen 27 Frauen und seiner Gefolgschaft lebte, fährt der Bus durch eine schwarze Wolke. Auf einer Müllhalde neben der Third Mainland Road brennt ein enormes Feuer. Auf dem zehn Spuren der Schnellstraße herrscht dichter Rauch, Sichtweite weniger als 20 Meter, er vermischt sich mit dem Dieselgeruch, der sonst im Bus herrscht, und brennt in den Augen. 

Im Lieferumfang des Buses ist Dadi enthalten, ein uniformierter und mit einem angerosteten Maschinengewehr ausgestatteter, freundlicher Polizist.  Die Waffe trägt er an einem ausgeleierten Stoffband über der Schulter. Wenn wir doch mal ein paar hundert Meter selbst laufen dürfen, fährt der Bus im Schritttempo hinterher.

Das ständige Im-Auto-Gesitze macht mich wahnsinnig. Ich komme mir vor wie auf einer Rentnerreise, auf der man zwischen den Touristen-Attraktionen hin- und hergekarrt wird und ja nicht in Kontakt mit der Bevölkerung des besuchten Landes gerät. Aber anders geht es wohl nicht. In der Nike Gallery allerdings erleide ich dann fast einen Nervenzusammenbruch. Der fünfstöckige Bau mit weiß gefließtem Boden gilt Russen und Chinesen als Touristendestination und hängt ausschließlich voller wirklich entsetzlicher Ölbilder in Goldrahmen, darunter ein Porträt des liegend hingegossenen Fela Kuti mit nacktem Oberkörper und Spliff in der Hand. Nach dem obligatorischen Gruppenfoto mit der Besitzerin lässt diese uns von einem Mitarbeiter aus Perlen geknüpfte Schlüsselanhänger austeilen wie Bonbons an folgsame Schulkinder.

Auf dem Parkplatz vor Kutis Haus, das heute sein Mausoleum und ein schrottiges Museum beherbergt, dreht irgendein aufstrebender Jungstar ein Musikvideo. Drei leicht bekleidete Frauen – der Fachausdruck lautet wohl video vixens –, tanzen um den Typen herum, der gestikuliert nach Gangster-Art. 

Das Museum besteht hauptsächlich aus Fotos in wilder Hängung: Fela bei seiner bürgerlichen Hochzeit, Fela auf der Bühne, Fela und seine Frauen, Fela und seine Kinder. Herzstück ist sein Zimmer, das angeblich am Tag seines Todes im Jahr 1997 versiegelt wurde und seitdem vor sich hinstaubt: ein paar Matratzen und Sitzkissen, eine Kühltruhe, in der immer ein Vorrat an Eis und Schokolade aufbewahrt wurde (Fell naschte gern), drei Kleiderstangen voller Bühnenoutfits, ein paar Bücher, ein Ventilator und ein Saxophon. In einem Nebenraum sind drei Dutzend paar eigens angefertigte, einigermaßen abgelatschte Slippers aufgeregt, daneben sein Pelzmantel und auf Drahtbügeln: drei Slips, einer mit niedlichem Cartoon-Sauriermotiv.  

Im Restaurant neben dem Hotel findet am Samstag Abend eine Namenszeremonie für ein neugeborenes Kind statt, dazu spielt eine Band. Es gibt Palmwein, meine Laune steigt augenblicklich. Auf der Tanzfläche steht der, wie jemand behauptet, zweitgrößte Mann Westafrikas. Er ist wirklich riesig, wie um 50 Prozent auf 2,40 Meter hochkopiert, seine Handflächen sind doppelt so groß wie meine. Das Bewegen fällt ihm schwer. Ein Franzose, er ist Videojournalist für AFP, sagt: »Lagos is a bitch« und wie langweilig er Europa mittlerweile fände. Außerdem weiß er zu berichten, dass das französische Paar, um dessen Kind es hier heute geht, lange keinen Nachwuchs bekommen konnte, bis es in den Wald fuhr, um einen Yoruba-Priester ein paar Rituale vorführen zu lassen. »Zwei Tage später waren sie schwanger.« Der Priester hat die Party leider schon wieder verlassen. 

Teju Cole schreibt in seinem Lagos-Buch Jeder Tag gehört dem Dieb: »Es ist nicht vorbildhaft, wie diese Gesellschaft funktioniert, und trotzdem beschleicht mich ein leises Mitgefühl mit all jenen Schriftstellern, die ihren Stoff verschlafenen amerikanischen Vorstädten abgewinnen und Scheidungsszenen schreiben müssen, in denen lethargische Geschirrspüler eheliche Kälte symbolisieren.« Ich glaube zu wissen, was er meint.