24.03.

In Ajegunle leben vielleicht sechs Millionen Menschen. Sie nennen es das Ghetto, ein Nigeria in Nigeria, das Binnen- und Migranten aus anderen westafrikanischen Ländern beheimatet. Der muskulöse Ken, der sonst im Niger-Delta mit Palmöl handelt, fungiert als unser Bodyguard und Fixer. Er bringt uns zu einer überhitzten Wellblechhütte von vielleicht sechs Quadratmetern Fläche, in der sich das Commercial Sounds Studio befindet, erbaut, so Ken, mit dem Geld der örtlichen Gangster. Gegen einen überteuerten Kasten Bier, dessen Preis sich im Laufe des Nachmittags noch erhöht, dürfen wir mit dem Ghetto-Star sprechen, umringt von Jungs mit selbst gemachten Tätowierungen, Tränen auf dem Jochbein, das Puma-Logo über der Augenbraue und so. Der Ghetto-Name des Stars lautet Antilope, seine Reaktionen sind eigenartig verlangsamt (neben Tramadol ist wohl Hustensirup beliebt), aber er singt sehr schön über die cartoonhaften Melodien.

Wir nehmen zwei Okadas. Ken ist nicht begeistert, dass Kathrin und ich uns zusammen hinter den Fahrer setzen. Aus Sicherheitsgründen sollte eine Frau immer mit einem weiteren Mann Motorrad fahren. Na ja. Wir fahren noch tiefer ins Ghetto hinein, es wird ärmlicher, schmutziger auch; Ziegen, die auf Plastikmüll grasen. Als wir absteigen und zu Fuß gehen müssen, laufen uns drei Dutzend »Oyibo«-rufende Kinder nach, als wären wir die Rattenfänger von Ajegunle. Das Wort für »Weißer« geht angeblich auf einen Yoruba-Ausdruck zurück: »Der Mann mit der abgezogenen Haut«. 

Als wir auf dem nahegelegenen Markt auf unser Taxi warten, gerät Ken in einen Streit mit einem anderen, weil dem nicht passt, wo wir stehen. Die beiden schreien sich gegenseitig in Gesicht, eine Frau und zwei andere Männer kommen dazu und machen mit. Es ist kein Witz, dass die Nigerianer zur aggressiven Auseinandersetzungen neigen, im Zweifel mit Handgreiflichkeiten. Einer, der lange in der nigerianischen Botschaft in Berlin arbeitete, erzählte, wie sich dort die Mitarbeiter regelmässig aufeinander einprügelten. Als wir im Taxi sitzen, sagt Ken gut gelaunt: »Das mag ich an Nigeria: »Wenn du dich streitest, bist du nie allein. Es mischt sich immer jemand ein.«