24.12.

Nichts geht über ein Glas hausgemachten Gin am Weihnachtsmorgen. 

Auf der Fahrt von Elmina schaue ich wieder aus dem Trotrofenster in die Landschaft, fünf Stunden lang - wird einfach nicht langweilig. Dass für einen Teil der Bevölkerung Weihnachten ist, merkt man nur beim genauen Hinsehen: Ab und zu liegt am Straßenrand eine Decke voller Kuscheltiere zum Verkauf, manchmal trägt ein Bauarbeiter oder Taxifahrer eine Weihnachtsmannmütze oder eine glitzernde Spaß-Brille, die die Zahl 2018 beschreibt. Die Kirchen sind schon um die Mittagszeit so voll, dass manche draußen stehen müssen. Keiner wünscht »Merry Christmas« - vielleicht weil nun mal nicht alle feiern. Dafür tragen die Leute, die feiern, ihre schönsten, buntesten Outfits, manche Frauen gehen unter weißen Stoffsonnenschirmen, was zusammen mit ihren ab dem Knie ausladenden weißen Kleidern fast viktorianisch wirkt. Der Soundtrack der Weihnachtstage ist ohrenbetäubender Highlife aus dem Autoradio – alles wie immer also. Der Fahrer gibt entsprechend Gas. 

In Beyin angekommen, ich war der letzte Fahrgast an Bord, stellt sich der diensthabende Manager im weihnachtsschmuckfreien kleinen Resort als »Bossman« vor, er ist aber sehr zuvorkommend. Bossman hat die Schildkröten-Nachtschicht: Er passt am Strand auf, das niemand die im Sand vergrabenen und durch eine Holzbox ohne Boden geschützten Eier klaut. Knapp zehn Euro zahlen sie jedem Dorfbewohner, der 200 intakte Schildkröteneier abgibt, statt sie zu essen. Die Eier sind so groß wie Tennisbälle, drei bis fünf Monate bleiben sie im Sand, bis die Babys schlüpfen und ins Meer laufen wollen. Das ist der Moment, in dem Bossman vor Ort sein und die Holzboxen entfernen muss, deswegen kuckt er jeden Tag nach dem Rechten. Je nachdem, wie warm es war, schlüpfen kleine Weibchen oder Männchen.    

Die riesigen Wirbel und der ein Meter lange Schenkelknochen auf der Terrasse der Rezeption wurden hier am Strand angespült. Die Wirbel könnten einem Wal gehört haben, der Schenkel nur einem Elefanten. 

Bis zur Elfenbeinküste sind es nur 15 Kilometer. Hätte ich zwei Tage mehr Zeit, würde ich fuer die vier Stunden nach Abidjan fahren. Es soll sich um eine rechte Glitzermetropole handeln, mit einer Pyramide im Zentrum. Außerdem: Restaurants. Selassie, die Köchin, hat mir bestätigt, dass die Kolonialmacht Frankreich einen positiven Einfluss auf die Esskultur der frankophonen Länder hatte: mehr Gänge und mehr Raffinesse als die Engländer. Auf die Frage nach den drei afrikanischen Foodie-Ländern – sie kennt 45 von 57 der Staaten auf dem Kontinent –, sagte sie: Côte d’Ivoire, Kamerun und Senegal. Der Gewinner beim Baguette-Wettbewerb in Paris kam im vergangenen Jahr aus dem Senegal. Voilà. Emma, eine Exil-Ivorin, die ich am Krater-See traf, erzählte mir: Wenn man in ihrem Land jemanden wegen seines Kleidungsstils beleidigen will, sagt man: »Du siehst aus wie ein Burkinabe«. Und die fand ich ja schon sagenhaft. Kann aber auch sein, die Ivoren finden die Burkinaben altmodisch gekleidet. Also genau das, was ich mag. Côte d’Ivoire dann: nächstes Mal.

Hier ist es aber auch gut. Ziemlich sogar. Wort-Instagram: Ich bin der einzige Gast. Von meiner Hütte mit den bodentiefen Fenstern und der Terrasse sind es ein paar Meter zum Meer. Himmel und davor Palmen wie in Miami Vice. Am Strand kein Mensch, nur in der Ferne ein paar Fischerboote und ein paar Kinder, die angelaufen kommen und fragen, ob ich gern eine Kokosnuss zum Trinken hätte - einfach so. Nchts gibt es hier so reichlich wie Kokosnüsse. Der Älteste öffnet sie mit ein paar gezielten Schlägen seiner Machete. 

Der (deutsche) Weihnachtsmorgen: Am Strand steht eine ponykleine, schwarz-weiße Kuh. Kurz nach Sonnenaufgang schießt jemand im Palmenhain ein kleines, bunte Funken sprühendes Feuerwerk in den rosafarbenen Himmel. Dann ein Ausflug.

Kein Mensch weiß so genau, warum die Bewohner von Nzulezo im 15 Jahrhundert entschieden, ihr Dorf auf Stelzen ins Wasser eines Sees zu bauen - nicht einmal sie selbst. Sie sind keine großen Fischer, sie verehren keinen Wassergott, es ist sicherlich nicht praktisch. Aber schön sieht es aus. Eine Stunde dauert die Kanufahrt durch die Wetlands von Amansuri. Die Affen sind schon weg, dafür gibt es bunte Vögel. Eine Zeit lang paddeln wir durch Dschungel, nur eben in nass und sumpfig. Meinem Kanu-Staker und mir kommt ein Einbaum entgegen, der Typ darin haut mit einer Keule nach Katzenfischen im Wasser. Im Stelzendorf selbst gibt es eine Bar, eine sickbay genannte Krankenstation und drei Kirchen: römisch-katholisch, methodistisch, Pfingstgemeinde. Die kleinsten Kinder müssen gut beaufsichtigt werden, damit sie nicht ins Wasser plumpsen, mit drei bis vier Jahren lernen sie das Schwimmen, danach das Kanupaddeln. Ich trinke einen Schluck vom apatche, destilliert nicht aus Wacholderbeeren, sondern aus der Bastpalme, aus der auch die Dächer der Häuser und die Staken gemacht werden. Um den Häuptling des Dorfes treffen zu dürfen, muss man allerdings eine Flasche gekauften Alkohol mitbringen. Er lächelt dann nur und lässt seinen Zögling sprechen.  

Die zwei Mädchen aus der Küche des Resorts fragen mich, in welche Kirche ich ginge, und ob ich heute Abend gern mit ihnen käme. Hm, nö. Aber morgen Abend zur Nicht-Kirchen-Musik begleite ich sie gern.

Nach einem Meerbad beobachte ich die sandfarbenen Krabben. Wenn man stillhält, erscheinen sie auf einmal wie aus dem Nichts – Hunderte von ihnen. Manche sind fingernagelklein, manche so groß wie Handflächen. Jede von ihnen gräbt sich mit einer ihrer beiden Schaufeln ganz schnell ein Loch, der Sand wird ein paar Zentimeter weiter abgeladen. Dann setzt sie sich so rein, dass nur noch die Stieläuglein rauskucken, und wartet auf Fliegen und Käfer. Mit einem Satz ist sie i m  K r e b s g a n g hingeeilt, hat das Insekt gepackt und verspeist.  

Ein Gedanke, der mich ein bisschen verrückt macht: dass das Meer schon seit jeher genau so Wellen schlägt und rauscht, seit Millionen von Jahren, ohne auch jemals nur eine Sekunde aufzuhören. Dass da etwas auf diesem Gesteinsbrocken im All hin und her schwappt, vielleicht für immer.