27.12.

Am Abend nehmen die drei Angestellten des Resorts mich also auf eine Party. Sie heißen Mary, Margaret und Monica – kann man sich nicht ausdenken. Sie wohnen auch noch zusammen im Ort, nur ein Stück die Hauptstraße hinunter. Als ich da ankomme und mich auf einen Monobloc neben die Imbissfrau setze, tanzen sie alle in Tücher gehüllt und mit Eimern in der Hand vor dem Haus herum, in dem sie ein Zimmer bewohnen, bevor eine nach der anderen im Hinterhof verschwindet. Als sie zurückkommen, haben sie ihre kleinsten Kleider an. Laune: bestens.  

Die Action ist da, wo die gesamte Jugend Beyins hinzuströmen scheint: in einem größeren, teuereren Resort als dem unseren. Es handelt sich um eine Poolparty. Als wir eintreffen, ist der Palmwein schon alle, die Stimmung kocht nicht, simmert aber schön vor sich hin. Es läuft gepitcher Afrobeat, ich kann inzwischen die Refrains fast aller Hits mitsingen, im und am Pool tanzen Jungmenschen in verschiedenen Stadien der Angezogenheit. Es ist wie in dieser MTV-Show aus den 90ern, The Grind, nur dass die Leute nicht so weird tanzen und MTV das eindeutig nicht ohne Zensur ausstrahlen könnte. 

Es ist tatsächlich das erste Mal seit drei Monaten, dass ich ausgehe – von der Ashanti-Beerdigung mal abgesehen. Zu anstrengend. In Begleitung der Mädchen aber geht das gut. Ich habe die Rolle der Sugarmama inne und gebe Malzbier, Bier und Smirnoff Ice aus (seit 15 Jahren nicht getrunken, ich weiß jetzt auch wieder warum). 

Und passend zum Thema Sugarmamas telefoniere ich am nächsten Tag endlich mit meiner Informantin in Sachen afrikanischer Feminismus. Selbstständig, alleinerziehend mit einem zehnjährigen Sohn und einem neun Monate alten Baby, bei deren Betreuung ihr, seit sie sechs Wochen nach der Geburt wieder arbeiten ging, ihre ältere Cousine und ihr pensionierter Vater helfen. Die bezahlte Elternzeit in Ghana beträgt zwölf Wochen. Manche ihrer männlichen Freunde haben sich bei ihrem Arbeitgeber ein paar Monate frei genommen, als sie Kinder bekamen. 

»Als Weiße kann ich nicht sagen, welchen Anteil Sexismus und welchen Exotismus daran haben, dass mir auf der Straße jeden Tag irgendwer irgendwas hinterher ruft und dass ich, wenn ich nicht reagiere, höre: »It’s nice to be nice!«. Mir fehlt die Zeit, die Kraft und ehrlich gesagt die Hoffnung auf Verständnis, jedes Mal zu erklären, dass ich es nicht nice finde, entweder zum Objekt gemacht zu werden oder zur arroganten, grenzrassistischen Europäerin. Aber warum passiert das überhaupt und HOW THE FUCK DO YOU COPE WITH IT?
Das Catcalling auf der Straße ist von klein auf gelernt. Die Männer wachsen auf, sehen es überall und halten es für normal. Gleichzeitig dient es manchen von ihnen dazu, ihr Selbstbewusstsein ins Lot zu bringen. Viele, viele der Männer hier haben sehr fragile Egos. Ihre Aggressionen gegenüber Frauen verschaffen ihnen eine Überlegenheit, mit denen sie versuchen, ihr Selbstwertgefühl wiederherzustellen. Es ist die einzige Möglichkeit, die sie kennengelernt haben, sich gegenüber attraktiven und starken Frauen zu behaupten. In dem Moment, in dem du ihre Annäherungen zurückweist, fühlen sie sich in ihrer Gesamtpersönlichkeit abgewiesen. Das gilt für alle Schichten, Bildung spielt da keine Rolle. Ich habe mir einen Blick antrainiert, der in dem Moment, in dem ich die Straße betrete, kommuniziert: Ich lege keinen Wert auf Annäherung. Darin bin ich mittlerweile sehr gut.

Woher rühren aber die fragilen Egos der Männer?
Viele Frauen besonders in der Generation meiner Eltern wurden dazu erzogen, sehr stark zu sein. Sie arbeiteten, führten die Haushalte und kontrollierten einen Großteil der außerhäusigen Angelegenheiten. Die meistens Ehemänner wurden ihrer Rolle nicht gerecht, also suchten sich die Frauen für ein erfülltes Liebesleben andere Männer. Sie störten sich dann auch selten daran, was ihre verantwortungslosen Ehemänner derweil trieben. Das hat eine neue Generation von Männern heranwachsen lassen, die nicht wissen, was ihre Aufgaben in der Familie und der Gesellschaft sind - und wie man mit Frauen kommuniziert. Das läuft dann alles auf einen Sexismus hinaus, in dem sich Männlichkeit darin ausdrückt, wie atemberaubend deine Frau ist, ob sie sich dir unterordnet oder wie viele Konkubinen du hast. 

Der Horror!
So haben wir also unser halbes Leben mit diesem Nonsense zu tun. Wenn Frauen dann die 50 erreichen, passiert etwas Interessantes: Die Kinder sind erwachsen, sie sind erfolgreiche Geschäftsfrauen, und sind auf einmal an einem Punkt, an dem sie jüngere Männer erfolgreich kontrollieren können. Junger Mann, ältere Frau  - das ist in vielen afrikanischen Kulturen eingeschrieben und dient dazu, Männer, etwa aus den Königsfamilien, sexuell zu initiieren und sie auf den Kontakt mit Frauen in ihrem Alter vorzubereiten. Damit sie sich da nicht blamieren.

Das ist doch genial!
Ich bin noch nicht so alt, aber auch ich habe schon solche Angebote von jüngeren Männern bekommen. Sie zeigen entweder explizit oder andeutungsweise, dass sie für so ein Arrangement zu haben wären. Und Frauen lassen sich auf so etwas ein, finanziell, sexuell und emotional. Und manchmal hält es ein ganzes Leben.  

Hatte #MeToo hier irgendeinen Effekt?
Vielleicht den, dass sich ein paar Leute Gedanken um ihr eigenes Verhalten gemacht haben. Aber das breite Echo blieb aus. Dafür sind hier einfach viel zu viele verstrickt – kaum einer hat saubere Hände. Wenn du jemanden eines Übergriffs bezichtigst, musst du damit rechnen, dass er auf dich zurück zeigt und eine Situation findet, in der du mitgemacht hast. Viele  Frauen hier sind leider darauf angewiesen, sich gegen Geld oder geldwerte Vorteile auf sexuelle Gefälligkeiten einzulassen. 

Wie erziehst du deine Söhne?
Ich bringe ihnen das Putzen, Waschen und Kochen bei. Und ich versuche ihnen klarzumachen, dass ein großer Seelenfrieden und viel Schönheit darin liegt, wenn man auf gute Art und Weise mit Frauen zusammenlebt.« 

Überall dasselbe: männliche Anspruchshaltung, ausgespielte Macht und sehr, sehr viel zu tun. 

(Für Mascha und Sabine)