30.12.

Die drei meist gehörten Sätze:

1. »Obruni!« 

2. »Where from you?« Pidgin-Englisch, kann sowohl: »Aus welchem Land kommst du?«, als auch »Wojer kommst du gerade?« heißen, meist gefolgt von: »Where you goin’?«

3. »Entschuldigung, aber wir haben derzeit ein Problem mit dem Internet.«

Was davon abgesehen nicht fehlen wird: die Verrenkungen, die ich angesichts der Religionsfrage lächerlicherweise immer noch anstelle. Meistens gebe ich vor, Protestantin zu sein, was ja nur halb gelogen ist. Ich habe keine Lust, das zu diskutieren. Es ist uninteressant und bringt einfach nichts. Bei der Kinderfrage sage ich je nach Stimmung: »Da, wo ich herkomme, entscheiden sich manche Leute gegen Kinder, das ist ganz normal« oder »Noch keine«. Worauf mich ein Jungspund mal nach meinem Alter fragte und mich, nachdem ich wahrheitsgemäß geantwortet hatte, auf meine drohende Menopause hinwies. Gotta love it.  

Ein Nachtrag zu gestern, auf Wunsch von Joachim, der schrieb: »Berichte bitte auch, wie genau die Kirchen geformt sind«. Also gut:

Sie können jede Form annehmen: Baracke mit Wellblechdach, mehrstöckiges Haus, mit Turm und Kirchenschiff, in Jamestown gibt es sogar eine Kathedrale, gebaut von demselben Architekten wie das Victoria and Albert Museum in London. Vor allem aber gibt es viele. Also: unvorstellbar viele. 2014 waren es angeblich mehr als 10.000 - bei 28 Millionen Menschen. Tendenz steigend. Mitunter überbieten sich an einer Straßenkreuzung drei Schilder, die in die gleiche Richtung weisen: Pentecostal Church, New Methodist Church, Mega Church (Nach diesem Muster sieht man manchmal auch eine Muslim Mosque, ein niedlicher Pleonasmus). Hier in Osu stehen sich die St. James Catholic Church und die gerade im Entstehen begriffene Church of Christ in einer kleinen Straße direkt gegenüber. Die kleine, weiße Christiansborg-Baptistenkirche um die Ecke (Wahlspruch: »Where everybody is somebody«) bot im November kostenlose Gesundheitschecks an, heute veranstaltet sie eine Weihnachtsfeier »für Kinder und Witwen« (nein, Witwer gibt es offenbar nicht; ja, Weihnachten geht noch eine Weile; ja, der auf dem Transparent illustrierte Weihnachtsmann ist wie das restliche Weihnachtspersonal auch: weiß). 

Zutritt zur Kirche hat, im Gegensatz zu etwa Äthiopien, erstmal jeder und jede. Zumindest wurde ich bislang immer eingelassen und auch wenn mir eine Einladung zum Kirchenbesuch ausgesprochen wurde, hat man mich nicht gefragt, ob ich gerade menstruiere. Neben den Kirchen gibt es in ländlicheren Gegenden Prayer Camps, auf die mit gigantischen Werbetafel hingewiesen wird, gern mit einem Jesus am Kreuz, Gesicht schmerzverzerrt. Eines befindet sich mitten in Accra im Achimota Forrest. Über ein anderes, das Hebron Prayer Camp, heißt es im Netz: »It is reported to host up to 10,000 congregants on a monthly and annual basis with their advertisement and social media tactics said to be one of the best in Ghana«. Da ist dann jeden Tag von früh bis spät Programm. So in etwa stelle ich mir den Vorhof zu meiner persönlichen Hölle vor. Gleichzeitig werde ich mich ärgern, dass ich mir das nicht angeschaut habe, genau wie ich mich bis heute ärgere, keinem äthiopischen Exorzismus beigewohnt zu haben.

Auch auslassen musste ich das Mount Horeb Prayer Center im Inland, zu dessen nächtlichen Veranstaltungen Ladeninhaber und -innen anreisen, um einen Priester gegen die Zahlung von Geld für gute Geschäfte beten zu lassen. (Das war in Ausflugstipp von Eric, dem Belgier auf der Fähre, der mir aber auch mehrmals Myanmar als Traum-Reisedestination empfahl. Im November, als schon lange klar war, dass dort Tausende Rohingya umgebracht wurden. Wie weit kann man selektive Wahrnehmung treiben? Sehr weit anscheinend.)

Ich habe noch ein paar Mal versucht, das Thema Kirche und ihren Einfluss mit Ghanaern zu diskutieren, die im Westen leben oder für eine Zeit dort lang gelebt haben, also vom Atheismus zumindest gehört haben müssen: sinnloses Unterfangen; auf das Gesprächsangebot wird überhaupt nicht eingegangen. Die Kirche ist, scheint mir, unantastbar. Mit der Religion ist es wohl so wie mit den Kindern: Hauptsache, jeder hat eine. Viel wichtiger als die genaue Beschaffenheit deines Glaubens, ist, ob er dich zu einem guten Menschen macht. Und das ist halt leicht überprüfbar.

Was fehlen wird:

Luft. Frisch ist sie zwar meist nicht so sehr, aber nachdem ich – bis auf einem Kinobesuch und drei Fahrten in klimatisierten Bussen – praktisch drei Monate bei geöffneten Fenstern gelebt habe, wird mir das komisch vorkommen: abgeschlossene, schallisolierte Räume. 

Das Krähen der Hähne zu Unzeiten. Gut zu wissen, dass immer jemand vor einem wach ist. Das Geräusch des Reisigbesens auf dem Boden. Sittiche in der Kokospalme. Die Straßenstände mit frischen Kokosnüssen. Das Hupen der Eisverkäufer. Die Unterhaltungen und Diskussionen in der Nachbarschaft, die auf Twi oder Ga oder Fante abgehalten werden und von denen ich also nichts verstehe. Die irren Farben einer Siedleragame in der Sonne. Sowieso: das Licht und die Farben.

Diese grundsätzliche Nicht-Angepisstheit der Ghanaer und Burkinaben, die durch nichts so leicht zu erschüttern ist. Auch wenn es mir immer noch nicht richtig gelingt, angesichts dysfunktionaler Bankautomaten (die dann gern meiner Bank die Schuld zuschieben), sehr entspanntem Service und ausgefallener Strom-, Wasser- oder Internetversorgung zu relaxen – und mich die Aufforderung »Relax!« dann erst so richtig ausrasten lässt. Fluchen ist übrigens sehr verpönt, Beleidigungen auch im Straßenverkehr gelten als äußerst grob. Ständiges Hupen, auch wenn es rein gar nichts an der Situation ändert, ist dagegen absolut okay.

Der ewige Sommer. Neulich waren abends 27 Grad und ich fror. Soweit ist es also gekommen.

Eine von Christoph Schlingensiefs Fragen war ja, was von Afrika zu lernen sei. In diesem Sinne (unvollständige Aufzählung):

Man ist nie zu arm, um den anderen auf ein Getränk oder eine Mahlzeit einzuladen. Und sei es als Geste. 

Fremde sind ein Grund zur Freude und verdienen besondere Fürsorge.

Ein Kompromiss oder ein Provisorium ist auch eine Lösung und oft keine schlechte. Oder zumindest die einzige, die zu haben ist. Perfektionismus ist kompliziert und langweilig.

Wie man sich kleidet, ist niemals zu vernachlässigen. Um mit dem Motto eines burkinabischen Modegeschäftes zu sprechen: »Le style et le goût, ça parle de la reputation«. Und damit demnächst zurück ins Mutterland von Camp David.