4.12.

Überhaupt: Nigeria. Das steht ganz oben auf der Liste. Die Ghanaer sind, vorsichtig formuliert, unentschieden, was den Liebreiz des Landes und der Leute angeht. Die einen halten alle Nigerianer für Kriminelle (besonders die, die nach Ghana emmigriert sind. Diese spezielle Xenophobie muss mit Ghana Must Go zu tun haben), die anderen empfehlen enthusiastisch einen Besuch und lachen, wenn ich sage, dass es in Lagos schon gefährlicher sei als hier - eine Stadt, die fast so viele Millionen Einwohner hat wie ganz Ghana. Als wir auf der Kommandobrücke standen, sagte Eric: »Ich will dich nicht beeinflussen. Fahr hin und schau es dir an. Ich bin gespannt, was du denkst«. Benin, kaum 300 Kilometer östlich von hier, ist eine andere Idee. 

Aber jetzt erst mal wieder Accra. Ich hatte mir das Zurückkommen in die feuchtheiße, hektische Stadt unschön vorgestellt, aber einmal am Tema-Busbahnhof angekommen, freue ich mich. Ich finde mich ohne Google Maps zurecht, weiß, wie man mit den mates im Trotro reden muss, wenn sie vergessen, einem das Wechselgeld zurückzugeben (was so gut wie nie passiert), der chaotische Markt um den Bahnhof herum ist Ghana in einer Nussschale: Es gibt Damenperücken, grellpinke Kola-Nüsse (ich habe es mehrmals versucht mit ihnen, als ich sehr müde war. Sie sind so bitter, dass ich sie keine zwei Sekunden, geschweige denn eine Stunde kauen kann), Modeplakate mit den neuesten Entwürfen, alles von »Gucci«, eine Handy-Ladehütte für diejenigen, die keine Powerbank dabei haben, diese grobmaschigen, bunten Peeling-Netze, die alle beim Duschen benutzen und manche als Halstuch tragen, Stoffe natürlich, Garden Eggs (ein Gemüse, das aussieht wie eine geschrumpfte Aubergine, aber in hellbeige), Yams, Eiskaffee. Alles eben. Von hier aus fahren allerdings auch Trotros zu den 6000-Dollar-Wohnungen nach Airport Hills und nach Agbogbloshie, wo Kinder auf der größten Müllhalde der Welt für 20 Dollar im Monat aus Europa da hingekippte Rechner und Handys auseinandernehmen.

Mein neues Zimmer liegt mitten in Osu, Lokko Street Ecke Wentum. Alles, was ich brauche, kann ich zu Fuß besorgen. Issa mag in den Mopeds der Burkinabinnen nur Gesundheitsgefahren sehen, ich sehe vor allem Freiheit. Im Schatten der Hausmauer neben dem Lädchen, das Wasser hat und Brot, sitzt unter einer Kokospalme immer eine Reihe alter Menschen, dahinter befindet sich ein Hof, in dem ein paar Familien leben. Ich lerne eine weitere Methode kennen, wie man Geflügel transportieren kann: Zwei Männer flanieren vorbei, jeder von ihnen trägt einen Hahn, je eine Hand unter den Hühnerachseln. Die Tiere sehen aus, als würden sie abhängen und tun auch ganz entspannt. Hilft ja nichts. Gegenüber meines Balkons sägt ein Tischler. Das Geräusch einer Frau, die Fufu stampft. Ein Fernseher zeigt das Arsenal-Spiel. Irgendwo findet eine Beerdigungsparty statt oder eine Hochzeit, das klingt so ähnlich. Der Atlantik ist nur ein paar Hundert Meter entfernt, manchmal fliegen Möwen übers Viertel, manchmal Flugzeuge. Man kann das Osu Castle sehen, auch bekannt als Christiansborg, weil die Dänen es 1658 von den Schweden erobert haben, die den Boden, auf dem es steht, wiederum von den Portugiesen erobert hatten. An den Wochenend-Abenden kommt aus drei unterschiedlichen Richtungen laute Musik. Mir hilft das ja beim Einschlafen. Und sie sind schon auch sehr lustig, die Accraben: Die Möbelrestaurationswerkstatt heißt Recover Recover, die Boutique Money Money Fashion, der winzige Kiosk die Straße runter Ali-G Mini Mart

Endlich wieder frische Wäsche. Wie ich jetzt erfahre - n a c h  z w e i  M o n a t e n -, ist es üblich, seine Unterhosen selbst zu waschen. Wenn man das vergisst, sortiert die Wäscherin besagte Stücke mit spitzen Fingern aus und gibt sie einem zurück. Zum Glück war die Frau, die das Waschen hier bislang für mich erledigt hat, Ivorin. Vielleicht war sie auch nur sehr, sehr höflich. Oder es war okay, weil sie über eine Waschmaschine verfügte. 

Zurück in der Wifi-Zone. Also: theoretisch. Ich verbringe den ersten Advent (absurd weit weg. Ich erschrecke jedes Mal, wenn ich im libanesischen Supermarkt einen geschmückten Plastikbaum sehe. Es läuft Feliz Navidad in Dauerschleife, bäh) damit, Weihnachtskarten zu schreiben. Sie kommen unter Garantie nicht mehr rechtzeitig an. Im Quartz Africa Weekly Brief lese ich von einer Studie, nach der Breitband-Internet in den meisten afrikanischen Ländern immer noch zu teuer ist. Den Rekord hält ausgerechnet Burkina Faso mit 972 Dollar - im Monat. In Ghana haben die Ausländer, die wegen des Öls ins Land kamen, den Netzausbau befeuert (manche sagen: Das einzig Gute, das sie bewirkt haben). Ich habe keine Ahnung, wie das in Burkina zu bewerkstelligen sein sollte. 

Jeannette schreibt aus Düsseldorf, dass die Supermärkte dort krank seien und die Leute merkwürdig. Ich kann mir genau vorstellen, was sie meint. Kann es zum Glück aber auch sein lassen.