Visionen aus dem Kleiderschrank

Portrait
zuerst erschienen am 28. Februar 1998 in FAZ, S. II
Die Politik, der Körper und die Mode: Wie Miuccia Prada die Welt sieht

Seit Miuccia Prada die Modelandschaft unterwandert, tragen feine Damen in den großen Städten Tarnanzüge. Gleich weit entfernt von Calvin-Klein-Jeans und Chanel-Kostümen, ist es ihr gelungen, einen Stil zu schaffen, der keiner ist und den doch jeder Eingeweihte gleich erkennt. Wenn Mode sonst hieß, sich zurechtzumachen, etwas anzulegen, kurz, über die eigene Bequemlichkeit hinauszuwachsen, so liefert Prada die zweite Haut, nach der die Menscheit sucht, seit sie das Fell verloren hat. Dem Fell kommt bekanntlich nicht nur die Aufgabe der Hülle zu, die schützt und wärmt; es dient auch noch sozialen Zwecken. Seine Maserung gebietet Abstand oder paßt den Träger täuschend der Umgebung an. Den Richtigen will es locken, den Falschen irritiert es, aber keiner kann es kopieren.

Familientradition, Klugheit und Durchhaltekraft kamen zusammen, um diese neue Schule des Kleidens zu gründen. Oft haben die Modemagazine in den letzten Jahren das Märchen vom Aufstieg Miuccia Pradas erzählt. Der Anfang war für die Dreißigjährige ein Ende all dessen, was sie mit ihrem Leben hatte machen wollen. Als Doktor der Politikwissenschaften war sie in der feministischen Sektion der kommunistischen Partei Italiens in eine Spitzenstellung eingerückt. Ihre Tage verbrachte sie mit Demonstrationen, Diskussionen und Agitationen. Doch dann legte die Familie der Tochter die Rechnung für eine glücklich verlebte Jugend vor.

1979 übernahm sie als jüngstes von drei Kindern die Firma ihres Großvaters mütterlicherseits, eine ehrwürdige Mailänder Adresse für Luxusreisegepäck, die der Massentourismus zu einem skurrilen Überbleibsel einer anderen Epoche machte. Für die Erben Mario Pradas galt es, auf Damentaschen umzusteigen. Viele Jahre lang war die Unternehmensleitung ein Albtraum für die Enkelin. Erst heute, sagt sie, hat sie die Kontrolle über die damit verbundenen Probleme gewonnen. Dabei gelang der jungen Chefin schon in den Achtzigern der erste Coup, auch wenn es zunächst nicht so aussah. Sie brachte eine elegant geschnittene Tasche aus imprägniertem Nylon auf den Markt, einem Material, das ihr Großvater einst bei der Verpackung seiner Lederwaren geschätzt hatte. Der abwaschbare und weitgehend unverwüstliche Pocon-Stoff war ursprünglich für die Bedürfnisse der italienischen Armee entwickelt worden. Es sollte ein paar Jahre dauern, bis die moderne Frau das Material für ihre eigenen Camouflagezwecke einzusetzen wünschte. Die Nachfrage setzte dann lawinenartig ein. Ihr Echo sind heute die fliegenden Händler in Mailand, Rom und Venedig, auf deren Decken an schönen Tagen alle Varianten der Prada-Tasche liegen. Sie trägt das charakteristische, auf die Spitze gestellte Firmenlogo und ist so schwarz wie ihre Verkäufer.

Ein Spiel mit Möglichkeiten

Es mag ein Tiefpunkt der Albtraumjahre gewesen sein, als Miuccia den Fabrikanten Patrizio Bertelli auf einer Messe zur Rede stellte, weil er ihr Taschenideen stahl. Erst als die beiden verheiratet waren, begann das Blatt sich zu wenden. Bertelli überredete seine unterforderte Frau, Kleidungsstücke zu konzipieren. In diesem Moment verließen Miuccia ihr Mut und ihre Instinkte. Sie ging halbherzig, ja masochistisch ans Werk. Und das Ergebnis war dazu gemacht, ihr die Sinnlosigkeit des eigenen Tuns vor Augen zu führen. Für den traumatischen Höhepunkt der ersten Kollektion hält sie eine Knopfreihe, die den Namen Prada buchstabiert. Noch heute triumphiert die Erinnerung nicht über diesen Fehlstart.

Doch selbst wenn ihre Stimme für Augenblicke versagt und trostlos wird, verliert Miuccia nie die Orientierung. Nach dem Studium hat sie am Piccolo Teatro Pantomimenunterricht genommen. Dort lernte sie, wie man den Körper sprechen läßt. Mit großem Freimut gibt diese Bewunderin Pina Bauschs Eiblick in ihre Gefühle, ist energisch, dann schüchtern, urteilt kategorisch und spricht zugleich von ihren vielen Schwächen, zu denen sie alles in allem auch ihren Beruf zählt.

Sie trägt viele Identitäten und Persönlichkeiten in sich, bekennt sie wiederholt. Auch diese Einsicht stammt aus dem Theater. Eine für Miuccia neue Erkenntnis ist, daß sich mit solchen Widersprüchen leben läßt. Was sie gedanklich nur nach langer Überlegung annimmt, hat sie praktisch längst vollzogen. Denn die Persönlichkeitsaufspaltung scheint das Geheimnis ihres beruflichen Erfolgs zu sein. Ihre Kleider begannen die Käufer zu interessieren, als sie sich auf ihre Studententage und die damit verbundene Freiheit zurückbesann. Miuccia produzierte im zweiten Anlauf zweckmäßige und strapazierfähige Kleidungsstücke in unauffälligen Farben und von unerklärlichem Chic. An die inzwischen erfolgreiche Nylontasche anknüpfend, begann sie mit Polyester und Gabardinetechniken zu experimentieren. In den nun auf den Laufsteg geschickten Jacken, Hosen, Mänteln und Röcken waren Kunst- und Naturstoffe zu formfesten Erzeugnissen vermischt, die durch ihre kühle Stabilität dem Körper eine Achse gaben.

Nicht nur in der Tuchzubereitung machte sich Prada das Wissen der Armee zunutze. Auch im Zuschnitt erinnern ihre Modelle an Uniformen. Von Anfang an zeigte sie sich empfänglich für die Reize des militärischen Anzugs, der zugleich von Macht, Disziplin und Dienstbereitschaft zeugt und durch seinen signifikanten Minimalismus elegant ist. In den Werbefotos, die nun zu erscheinen begannen, wurde die Nähe der Prada-Linie zum Mao-Tse-tung-Habit explizit. Junge Mädchen schauten undurchdringlich wie die Mona Lisa aus blauen, gerade geschnittenen Jacken mit kleinem Stehkragen hervor. Wenn es so etwas wie einen Stil der kommunistischen Partei gab, dann war es wohl dieser.

Und doch hatte die neue Kollektion nichts mit Miuccias Kleidern aus ihrer revolutionären Jugend zu tun. Lachend erinnert sie sich an die Tage, als sie in Courrèges- und Yves-Saint-Laurent-Kombinationen zu den Sit-ins erschien. Damals war die Liebe zur Haute Couture eine ihrer zahlreichen „Schwächen“. Erst als die Mode zur Pflicht für sie wurde, verkehrte sie die Dinge und entwarf, was sie als Funktionärin nie getragen hatte. Sie machte das Leben in parallelen Welten unter dem Markennamen Prada zum System.

Alternative Existenzen und Lebensformen, die sie verpaßt hat, inspirieren bis heute ihre Entwürfe. Kein Wunder, daß sie Madonna bewundert. Man soll Menschen nicht nach ihrem Anzug bewerten, sagt sie. Die Kleidung ist für Miuccia ein Spiel mit Möglichkeiten, kein Statement. Persönlichkeit bedeutet ihr mehr als ein abgeschlossener Charakter. Bei der Wahl ihrer - meist sehr jungen - Modelle ist sie ihr wichtiger als bloße Schönheit. Carla Bruni bringt mich zum Lachen, schwärmt sie, ich habe gesehen, wie sie mit den Männern umgeht. Sie stellt sich dumm, aber sie ist es nicht. Und das gefällt mir.

Auch Miuccia spielt mit den Männern und dem, was männlich ist. Der Prada-Look verwirrt durch die Verbindung von weichen und harten Elementen. Dadurch nimmt er Einfluß auf das Aussehen der Geschlechter. Androgyne Verkleidungsspiele sind seit einem Jahr das regierende Thema auf den Modeschauen des Hauses. Dabei wirkt sich das „Cross Dressing“ vor allem auf die Damenmode aus. Miuccia hat nicht die Absicht, wie jüngst Katharine Hamnett es wieder wagte, die Männer in Röcke zu stecken. Das sind Dummheiten, die sie erregen können. Aber wenn sie den Mann in schmeichelnde Stoffe steckt, die das Körpergefühl aktivieren, seine natürlichen Formen freisetzen und eine ganzheitliche Linie für ihn schaffen, so perfektioniert sie nur, was der Herrenanzug seit zweihundert Jahren leistet.

Denn der Umsturz der Männerbekleidung war ein Seitenprodukt der Französischen Revolution. „Zur Zeit des Klassizismus“, schreibt Anne Holländer in „Anzug und Eros“, „waren es Männer, nicht Frauen, die einen radikalen Sprung in die Moderne machten.“ Das allgemein verbindliche zivile Kostüm des Mannes ließ die weibliche Prachtentfaltung mit ihrem verwirrenden Wechsel und ihren auffälligen Applikationen hinter sich zurück. Durch die Zeiten wurde der Herrenanzug sogar immer klassischer: „Obwohl die Mode das Schnittmuster ständig veränderte, wurde’es nie aufgegeben oder radikal umgestaltet.“ Der ideale Anzug „bietet eine vollständige Hülle für den Körper, die dennoch aus separaten, in unterschiedlichen Lagen angeordneten Einzelteilen besteht. Arme, Beine und Gesäß werden sichtbar markiert, aber nicht eng umschlossen, so daß schwungvolle Bewegungen keinen unangenehmen Druck auf Nähte oder Verschlüsse ausüben und die Unregelmäßigkeiten der individuellen Körperoberfläche harmonisch überspielt, doch nie emphatisch modelliert werden.“ Der Anzug entspricht der Demokratie. Er propagiert eine „sich selbst perpetuierende Ordnung, die flexibel und fast unbegrenzt variabel ist“.

Nur in der Damenmode fanden überwundene politische Systeme weiterhin ihren Ausdruck. Das weibliche Geschlecht behängte sich mit Schmuck wie seine Vorväter mit Orden; mit Fischbein verstärkte Stehkragen ließen an die durch massive Metallringe verlängerten Damenhälse schwarzafrikanischer Stämme denken. Und jene Fußfesseln aus Litzenband, die die modebewußte Humpelrockträgerin vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs anlegte, um sich selbst an zu großen Schritten zu hindern, verlegen die traurige Vision gequälter Sklaventrecks auf die Boulevards Europas.

Ihre Emanzipation ließ den Frauen nur eine Alternative. Sie konnten reumütig selbst in den Herrenanzug schlüpfen oder ihren Körper weiterhin jenem zum Bombastischen neigenden höfischen Kleidungsstil überlassen, den die Pariser Haute Couture seit Jahrhunderten am Leben erhält.

Es hat den Anschein, als deute sich in den Kollektionen Miuccia Pradas eine brauchbare Synthese der beiden Tendenzen an. Denn sie verbinden das praktische Element der uniformen Männermode mit dem in den vergangenen Epochen ausschließlich der Frau zugesprochenen Verkleidungsdrang.

Miuccia hat ein akutes Bewußtsein für die Zerstreutheit der postmodernen Gesellschaft und ihr Bedürfnis nach Rollenspiel und mythischen Entwürfen. Schritt für Schritt arbeitet sie in der traditionellen Damenkleidung das Archetypische heraus, schafft eine Summe der „weiblichen Uniformen des zwanzigsten Jahrhunderts“. Schulmädchen und Krankenschwestern, englische Zofen und Angestellte der McDonald’s-Kette buchstabierte die Presse bei ihrem Versuch, den Prada-Effekt zu beschreiben, der nun nicht länger aus einer ins Auge springenden Knopfleiste bestand.

Plötzlich galt Miuccia Prada weltweit als trendsetzender Name. 1994 erhielt sie den amerikanischen Fashion-Oscar, eine seltene  Auszeichnung  für  europäische Modehäuser, die diesmal - noch ungewöhnlicher - nicht das Ende, sondern schon den Anfang eines Lebenswerks markierte. Mit atemberaubender Geschwindigkeit entfalteten sich Pradas Talente. Zu den Taschen kam das Schuhdesign hinzu. Dann erfand sie eine Nebenlinie.

Die zentrale Bühne ihres Genius blieb die Damenmode. Dabei sieht Miuccia sich nicht als Schöpferin, der Gedanke, ein Habit aus dem Nichts zu stampfen, ist ihr ein Greuel. Sie sieht auf eine nüchterne Distanz zum Kreationsgeschäft der großen Modehäuser. Als Tochter aus großbürgerlicher Familie hat sie nie zeichnen oder gar nähen gelernt. Ihre Zugänge zu einem neuen Kleidungsstück sind musealer und verbaler Natur. Miuccia ist, seit sie denken kann, von der Haute Couture gekleidet worden. Ihre Schränke quellen von den Garderoben der Familie über. Die Liebe zur Mode von gestern hat dem Hause Prada ein Archiv gesichert, das vergangene Epochen nicht nur auf Armeslänge zur Verfügung stellt, sondern sie zudem mit persönlichen Reminiszenzen verknüpft.

Ein Stab von Stoffspezialisten und Designern steht Frau Prada zur Seite. Mit ihnen entwickelt sie ihre dem Kleiderschrank entsprungenen Visionen. Das Ergebnis sind keine nostalgischen Stücke, sondern kluge Transformationen, die den Bedürfnissen und dem technischen Stand der neunziger Jahre angepaßt sind. Obwohl der strapazierfähige Uniformstil weiterhin den Grundstock der Prada-Linie ausmacht, wurde er in den letzten Jahren mehr und mehr von neuen spektakulären Geniestreichen aus der Mottenkiste ausgeblendet.

Die Mailänderin setzt die „ugly prints“ der siebziger Jahre auf wachstuchartigen Stoffen neu in Szene. Wadenlange, doppelt geknöpfte Feldwebelmäntel werden ebenso mit diesen Art-déco-Mustern versehen wie Pradas Version des Prinzeß-Mantels. Ein Hang zum Lieblichen und Geheimnisvollen ist ärmellosen Hängerkleidern aus grobem Tweedgewebe abzulesen, das sie mit einem Karomuster in warmen Rot- und Brauntönen bedruckt. Solche erstaunlichen Kreationen rufen Erinnerungen nicht an andere Kleidungsstücke, sondern an die tiefen Bildräume Mark Rothkos hervor. Auch der Pelzmantel wird von Miuccia noch einmal von Grund auf neu definiert, wenn sie flaschengrünes und blutrotes Ponyfell knapp auf den Leib zuschneidet und über den Knien enden läßt. Kaschmirpullover färbt sie in zarten Sorbettönen oder versieht sie mit zartem Gitterdruck, der wie so viele andere Muster sogleich zu einem Markenzeichen wird.

Jede Kollektion steht für sich und strahlt vor unvorhersehbaren Ideen. Im Winter 1994 griff Miuccia auf Kleider und Mäntel aus ihrer Kindheit zurück. Das war eine meiner dramatischeren Ideen, erklärt sie burschikos. Sie paßte die Schnitte dem erwachsenen Körper an, ohne auf spezielle Effekte wie steife Stoffe, übergroße Taschen und Knöpfe, kleine Kragen, runde Ausschnitte und den Rand markierende Schleifen und Bänder zu verzichten. 1995 untermischt sie ihre Linie mit steifen, weißschimmernden Shantung-Kostümen, die in Hollywood reißenden Absatz finden. 1996 bedruckt sie Mäntel und Röcke mit konstruktivistischen Farbfeldern und führt die Rippenstrickstrumpfhose wieder ein. Zugleich experimentiert Miuccia mit immer dünneren Stoffen. Ihre Modelle schweben in transparenten Chiffon- und Georgettekleidern über den Laufsteg. Die Durchsichtigkeit verhindern hauchdünne fleischfarbene Unterröcke, die wie die Kleider eine kleine, ironische Schleppe haben. Stickereien auf langen Überkleidern aus Verbandsmull lassen bei großer Eleganz an eine Körpertätowierung denken. Prada zeigt als eine der ersten Designer japanische Blätter- und Blumendrucke auf kurzen Seidenmänteln. Zum Seidenkreppgerinnsel langer Sommerkleider bildet ihre steife Façon eine neue Variante der militärischen Note. Statt, wie erwartet, das Ideenfeuerwerk zu potenzieren, verharrt die Winterkollektion in düsteren Tönen. Mäntel und Hosen werden aus dicken groben Wollstoffen geschneidert, wie Dior sie überraschend schon einmal 1956 anbot. Den Purismus der schwarzen Serie unterbrechen nur durch den schweren Stoff der Übermäntel zu rechtfertigende dünne Samt- und Seidenkleidchen. An ihren Rändern klirren schwere Glaspailletten. Sie erinnern an Bauchtanz, doch Miuccia zieht den Vergleich mit einer Gladiatorenrüstung vor.

Affinität zum Militär

Der Chic ist Prada zu einfach. Ich wende mich an die wahre Natur der Frau, erklärt sie, bevor diese zum Objekt wird, das man dekoriert. Aber was ist diese wahre Natur? Zunächst einmal das allzu menschliche Auf und Ab der Lust- und Unlustgefühle. Deshalb fängt die Kleiderkonzeption für Miuccia beim körperlichen Wohlbefinden an. Taktilität statt Visualität ist die Devise. Die Trägerin soll sich in den Materialien des Hauses angezogen, ausgerüstet und geborgen fühlen. Das Kleidungsstück wird als ästhetischer und zweckmüßiger Gegenstand durchdacht, ohne Bezug auf einen bestimmten Frauentyp. Sie ziehe keine Individuen an, sagt die Chefin auf die Frage, ob sie Hillary Clinton kleiden möchte.

Trotz ihres Objektivitätsideals ist die Signatur Miuccia Pradas an all ihren Produkten unverkennbar. Ein Einblick in die subjektiven Quellen ihrer Inspiration tat sich auf, als sie die Nebenlinie Miu Miu schuf und mit dem eigenen Kosenamen benannte. Sie widmete sie den bösen Mädchen, die sie in der Schule hoffnungslos bewundert hatte, jenen frühreifen Exemplaren ihrer Gattung, die sich nicht mehr von der Mutter ausstaffieren ließen. Der Unschuld pubertärer Selbstbehauptung, dem schlechten Geschmack, den schrägen Ideen, dilettantischen Kombinationen, halbseidenen Stoffen und auftrumpfenden Accessoires setzt diese mitten ins Girliefieber gefallene Marke ein Denkmal. Nicht zu wissen, was sich gehört, hält Miuccia durchaus für sexy.

Wenn Min Miu die Komödie der Weiblichkeit in Szene setzt, so steckt in Prada das Ideal perfekter Formen und selbstbewußter Anmut. Ein mit dem Sortiment bestückter Prada-Laden ruft Reminiszenzen an die üppigen Garderoben der ersten Barbiepuppenhäuser hervor. Doch von solchen zwielichtigen Schätzen der modernen Pädagogik wußte Miuccias Kindheit nichts. Nur eine einzige Puppe, sagt sie wie in Trance und hebt zur Verstärkung den Finger, nur eine Puppe erlaubte ihre Mutter.

Der Gedanke liegt nicht ganz fern, daß bei Miuccias Spiel mit der Mode Kompensation am Werk ist. Ein phantasiebegabter Mensch hat sich auf die eine Rolle und die einzige Puppe nicht festlegen lassen. Spiegel soll es nicht in Pradas Wohnhaus geben. Vielleicht ist das richtig. Weil ihre Kollektionen einen endlosen Schattenzug möglicher Selbstbilder hervorbringen, kann sie auf ihr physisches Abbild verzichten.

Es sind vor allem kindliche Gestalten, die Miuccias Mode zeigen. Warum kleidet sie fünfzehnjährige Mädchen für den Laufsteg ein, wo sich doch vor allem ältere und arrivierte Frauen ihre Modelle leisten können? Eine unmögliche Frage! ruft die ehemalige Frauenrechtlerin mehr hilflos als empört und setzt hinzu: Die Jugend ist ein ungelöstes Problem. Wir können nicht so tun, als hätten wir es bewältigt. Wer graue Vorführdamen auf den Laufsteg schickt, wird zum Missionar.

Im wirklichen Leben gelten andere Regeln. Ihre Mutter, mit der sie in Mailand dasselbe Haus bewohnt, schüttelt oft den Kopf über den Aufzug der siebenundvierzigjährigen Tochter. Aber Miuccia behält sich das Recht vor, auch mit achtzig noch Rosa zu tragen, „wie eine Ballerina“.

In Wahrheit liebt sie dunkle Farben. Unter ihren backfischhaften Mitarbeiterinnen, die wie das Personal in den Läden von körpernah geschnittenen blauen Overalls bedeckt sind, scheint sie die Domina in einem Orden. Klösterlich ist nicht nur die ausdruckslose Höflichkeit der Prada-Mädchen, sondern auch das Firmengebäude in der Via Andrea Maffei. In der Empfangshalle stellt Miuccia manchmal Kunstobjekte aus. Doch meist ist dieser Raum ein weißer Kubus, den ab und zu jemand gezielten Schritts durchhuscht. Dann wird er wieder von den Wänden aufgesogen. Einmal läßt sich ein Bück auf ein Büro voller Rechner erhaschen. Eine Treppe im Zentrum der Halle führt in den verglasten Konferenzsaal. Dorthin bestellt sie ihre Besucher.

Die kühle technische Umgebung entspricht Miuccias Lebensgefühl. An die Stelle der Religion ist für sie die Disziplin getreten. Sie achtet darauf, ihren beiden Söhnen ein Vorbild zu sein. Auch in der Tageseinteilung unterwirft sie sich einem rigorosen Ritual. Ihr Alltag ähnele der Schule, sagt sie. Von Natur aus sei sie ein eher fauler Mensch. Die unnachgiebige Präzisionsarbeit, die zum Abschluß einer Kollektion gehört, erscheint ihr als Hölle. Und doch folgt sie seufzend auf die Minute dem aufgestellten Zeitplan. Ihr straffes Selbstregiment ist kein sinnloser Automatismus, sondern die Bedingung für Freiheit und Kreativität.

Disziplin sichert Miuccia nicht nur ungestörte Abende und Wochenenden mit der Familie in ihrem Landhaus bei Arezzo. Sie bereitet auch den entscheidenden neuen Einfall vor. So wie in der funktionalen Halle der Via Andrea Maffei die Kleiderwunder der nächsten Saison sekundenlang durch offene Türen blitzen, so findet auch der aufgeräumte Kopf am schnellsten seine Schätze.

Man müsse sich zügig bewegen, fließen, auf die Zeit reagieren, sagt Frau Prada. Also kein schöpferisches Dahindämmern vor dem weißen Blatt Papier, sondern Umsichtigkeit, Spannkraft und Energieverschwendung sind das Rezept, auf das sie schwören möchte. Ihre Affinität zum Militär hat hier ihren Kern. Miuccia begreift sich als Avantgarde, als aufmerksames Zentrum eines konzertierten Vorgangs.

Eine zarte Linie führt von der Ästhetik des Futurismus zu Pradas energischen Kleideridealen. Hier wie dort schätzt man Bewegungsfreiheit und stromlinige Formen, Daß die Kunst sich den Erfindungen ihrer Zeit anzupassen hat, ist ein futuristischer Gedanke, den Prada auf die Modeindustrie überträgt. So läßt sie sich ohne die üblichen Vorurteile auf das Entwicklungspotential von Kunstfasern ein. Die werden dann zu etwas ganz Neuem. Wiegen Sie sich nicht in Illusionen, sagt sie, nach Prada-Art behandelter Polyester kostet mehr als Seide.

Sosehr es darum gehen mag, neuen Boden zu erkämpfen, so elementar ist für Miuccia Prada das Entkommen. Keinen anderen Bereich bedroht die Identität so wie die Mode. Es gilt, den Schauplatz zu verlassen, bevor alle Welt sich auf ihm tummelt. Um jede Einkesselung zu verhindern, baut Prada ein weites Netz von Verbindungslinien auf. In letzter Zeit hat sie viel über Zusammenhänge nachgedacht, darüber, wie sich das Leben in eine Totalität verwandeln läßt. Es kommt ihr auf eine innige Verbindung zwischen Arbeit, Leben und Kunst an. Den Firmensitz hat sie in der Nähe ihres Familienhauses eingerichtet. Doch das ist ihr noch zu weit. Wenn ich in einem Schrank hier leben könnte, würde ich es tun, erklärt sie übermütig.

Brücken und Netze

Ihre an Accessoires ohnehin schon verwirrend reiche Produktion soll in weitere Lebensbereiche übertragen werden. Geplant sind eine Dessous-Linie, ein Parfüm und ein Inneneinrichtungskonzept. Auch die der Unterstützung von Gegenwartskunst gewidmete Fondazione Prada ist kein Mäzenatentum aus schlechtem Gewissen, sondern ein Mosaik in ihrer Selbst- und Weiterforschung. Die Künstler, die sie gefördert hat, sind aus den Kunsttempeln des neunzehnten Jahrhunderts ausgewandert. Sie brechen Institutionen auf und versuchen, wie Miuccia selbst, die Wahrnehmung ins Fließen zu versetzen. Es war sicher keine leichte Entscheidung, als die Chefin den Wunsch eines von ihr geförderten Land-art-Künstlers zurückwies, ein großes Loch in die Empfangshalle zu graben.

Gegenwärtig stellt die Fondazione neue Assemblagen von Louise Bourgeois aus, die sich mit Kleidern, Nadeln und Garn beschäftigen. Den Fluchtpunkt der Schau bildet eine gigantische Spinne. Hochbeinig steht sie über einem runden Käfig, der wie ein Zimmer eingerichtet ist. Bei Louise Bourgeois ist die Spinne kein bedrohliches, sondern ein schützendes Tier. Es hütet die Kindheitswohnung der Künstlerin, ein Zuhause, das böse Erinnerungen umlagern.

Zwischen Louise Bourgeois und Miuccia Prada besteht eine untergründige Beziehung. Doch während Bourgeois die eigene Kindheit ins Zentrum der Arbeit stellt, läßt ihre Mailänder Mäzenin die Vergangenheit auf sich beruhen und strebt zügig nach vorne. Als Triebfedern ihrer Schaffenskraft nennt sie Neugier und Verlangen. Sie berichtet von einer Freundin, die die Männer aufgab und bald darauf ihre Figur verlor. Prada widerstrebt es, Brücken abzubrechen. Sie möchte auf ihnen hin- und hergehen. Jede gelungene Kleiderschöpfung ist ein Begehren, das sich materialisiert hat, ein Wunsch, der Gestalt annimmt, eine Urbarmachung der Phantasie. In ihrer Kindheit ist sie oft allein gewesen, verrät Miuccia.

Deshalb sei sie zur Träumerin geworden. Das Träumen ist ein Erproben möglicher Verbindungen, das Spinnen eines Garns, das vielleicht zu einer Textur wird. Auf die Frage, was sie gerne lese, erwidert Frau Prada, sie brauche eine Anregung, einen Faden, um zu einem Buch zu kommen. Diese Fäden spannt sie in alle Richtungen. Die Mode ist für sie ein Medium weltweiter Kontakte. Die Tatsache, sagt sie, daß es Leute in Japan, Deutschland oder England gibt, die Prada schätzen, zeigt, daß wir wissen, was vor sich geht.

Man lasse sich nicht davon täuschen, daß Miuccia ihre eigene Arbeit abwertend als frivol bezeichnet. Tatsächlich ist ihr die enorme Anschlußfähigkeit des Kleiderdesigns bewußt. Das zeigt sich schon darin, daß sie eine Rückkehr in die Politik nicht ausschließt, sollte ihr die richtige Partei begegnen. Ob ihre Mode, wie Miuccia durchblicken läßt, die subversiven Ideen aus den Jugendjahren weiterführt, muß nicht entschieden werden. Aber eins ist sicher. Ihr Ehrgeiz gilt der Prada-Polis, dem World Wide Web der produktiven Intuitionen. Die Stränge dieses Unternehmens treffen sich in einem zarten Wesen, dessen Augen Feuer sprühen, Miuccia heißt die hehre Spinne. Ihr Netz ist widerstandsfähig, weit verzweigt und elastisch, um etwas sehr Zerbrechliches zu schützen, das kleine Mädchen mit der Puppe, die die Welt bedeuten soll.