Keine Popstars!

Essay
zuerst erschienen im November 1997 im jetzt-Magazin, S. 34
Es gibt viele Gründe, die RAF aus heutiger Sicht cool zu finden, wenn man sich mit ihren Protagonisten beschäftigt. Aber Coolness ist kein Kriterium, wenn Menschen sterben.

Erste Bekanntschaften mit der RAF, der ersten Generation, dem Lederrocker Andreas Baader, der sexy Pfarrerstochter Gudrun Ensslin, der Pop-Intellektuellen Ulrike Meinhof macht niemand einfach so. Es ist immer gleich ein totales Erlebnis, aufregend, notwendig, total daneben – gleich den ersten Bekanntschaften mit dem Film „Die Brücke” von Bernhard Wicki, dem Rockalbum „The Wall” von Pink Floyd und dem Roman „Narziß und Goldmund” von Hermann Hesse, den drei Pubertätsklassikern. Darf ich töten? Muß ich – unter Umständen – töten? Wie sind Gut und Böse auszumachen in dieser Welt, und wo, bitte, ist der Sinn? Alles tolle Fragen. Da muß man durch. Es bleibt ein schales Gefühl.

Punkte, die dafür sprechen, daß die RAF ein cooles Pop-Unternehmen war: die Zeit. 1968 war „‘68”, also das Versprechen, daß wirklich alles besser werden sollte, schon gescheitert. In der Dritten Welt ging das Sterben weiter, in Vietnam das Morden, und in den Landtagen saß die NPD. Da breitete sich Ohnmacht aus, Resignation und Wut. Weil die Revolution so trostlos und beiläufig abhanden gekommen war, formierte sie sich in einer Minderheit neu – mit blutigem Ernst. Die ARD-Dokumentation „Im Fadenkreuz” zeigte kürzlich Zeitlupenbilder von Andreas Baader in einem Gerichtssaal. Sein Gesicht schwitzt, sein weißes Hemd ist bis zum Bauchnabel geöffnet – es wird nicht klar, ob Baader tanzt oder abgeführt wird. Es liegt soviel Glanz in diesen Bildern, Sex und Gewalt – als wäre das eine neben dem anderen möglich –-, ein historischer Moment, dieses eine Mal. Man sieht: Dieser Mann wird es nicht ohne Rockmusik versuchen, nicht ohne Drogen und ein Maschinengewehr.

Die RAF wußte, wie man sich anzieht: Baader stand auf Samthosen und maßgeschneiderte Hemden, bei der „Albertz abtreten!”-Demo hat man Ensslin mit Minirock und weißen Stiefeln gesehen, und als Meinhof noch im Fernsehen diskutieren durfte, trug sie dieselbe hippe Brille wie der Schriftsteller Uwe Johnson.

Die RAF hatte ihren eigenen toughen Sprachcode: „Knast”, „Karren” und „Knarren”. Ein idealer Fluchtwagen hatte sechs „Töpfe”; es wurden „Geldkisten” gemacht; Polizisten waren Schweine – nach Vorbild der Black-Panther-Bewegung aus den USA. Es wurde „gekackt”, „gefressen” und „gequatscht” – reden war nicht, diskutiert wurde auch bei der SPD und anderen bildungsbürgerlichen Konterrevolutionären. War Baader wütend, bekam er „Arschbluten”. Von der RAF und aus ihrem ideologischen Umfeld stammen jede Menge Popsätze, starke Sprüche – die könnten heute abwechselnd auf Plattencovern, in Poesiealben oder auf den Werbetafeln des Autovermieters Sixt stehen: „Ficken und schießen ist ein Ding” (Baader); „Entweder Teil der Lösung oder Teil des Problems sein” (Eldridge Cleaver); „Es ist die Pflicht jedes Revolutionärs, die Revolution zu machen” (Che Guevara). Logisch sollte der Alltag im Untergrund nicht in erster Linie romantisch sein, aber er war’s natürlich auch: nie ohne Waffe aus dem Haus gehen; Klingelcodes, Klopfzeichen, Decknamen; kein Alkohol, aber Kettenrauchen; in fremden Lokalitäten immer mit dem Rücken zur Wand sitzen.

Das zur Oberfläche – die ist im Kontext Pop, Glamour und Heldenverehrung ausschlaggebend, und ein anderer Rückblick als dieser zugegeben bequeme liegt erst mal nicht nah. Unsterblich macht die Protagonisten der RAF selbstverständlich, daß sie für ihre Ziele gestorben sind: Heinrich Böll sprach vom „Krieg der sechs gegen sechzig Millionen”. „Es können Typen dabei draufgehen”, so hat das Baader während eines Hungerstreiks in Stammheim seinen Mitgefangenen klargemacht. Er wollte es extra unpathetisch ausdrücken. Pathetischer kann man das, was die RAF an sich und anderen Menschenleben verbrochen hat, gar nicht sagen. Was gegen die RAF und den angeblichen Pop in einem Terror-Unternehmen spricht, ist ja ganz schnell gesagt. Es sollte trotzdem Anfang, Ende und einziger Inhalt jeder Diskussion über die RAF sein, gleichzeitig macht es jede Diskussion unmöglich, scheint zu offensichtlich, deswegen unaussprechlich, fast banal: Die RAF hat Menschen umgebracht. Auch einfache Arbeiter, Chauffeure, Sicherheitsleute, Polizisten. RAF-Mitglieder haben deren Tode einkalkuliert und so lange nicht mit dem Töten aufgehört, bis ihnen selbst eine Heckler&Koch-Maschinenpistole im Genick saß. Ein Schritt, der vorstellbare, ist es, die Menschen zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten zu unterteilen. Der unvorstellbare ist es, den einen Typ Mensch der Idee einer Revolution zu opfern. Aus einer Erklärung von Ulrike Meinhof, der ach-so-sensiblen und prominenten Journalistin: „Der Typ in Uniform ist ein Schwein, der ist kein Mensch, und natürlich kann geschossen werden.” Das ist nicht Pop. Das ist – vorsichtig ausgedrückt – unter allen Umständen der beschissenste Satz, den man sich vorstellen kann. Halten wir fest: Elvis, Jim Morrison, Sid Vicious haben sowas nie gesagt, und wenn sie es doch taten, dann trafen sie die Gesellschaft nur mit Gesten der Gewalt. Sich mit solchen Gesten als Pop-Phänomenen zu befassen, ist immer spannend und zwiespältig. Bei der RAF, die ernst machte mit der Gewalt, ist der Fall klarer. Bommi Baumann, Zeitzeuge, heute Immobilien-Makler – neben Fritz Teufel, Uschi Obermeier und Hans Rosenthal einer der wahren Popstars der 68er-Bewegung –, hat kürzlich im Fernsehen gesagt: „Die hätten sich gleich nach der Baader-Befreiung stellen sollen, sich auflösen. Das waren Idioten, ein Idiotenkonzept – von Anfang an.”