Verwandlung der Diana

Feuilleton
zuerst erschienen 1933 in Frankfurter Zeitung
zitiert nach: Hans Bender [Hrsg]: Klassiker des Feuilletons, Stuttgart 1967. S. 167-170.
Der Internationale der literarischen Luxusreisenden neidvoll gewidmet

I

Wir Christkatholischen haben auf der Schule viel Mythologie gelernt. Hinter den neuen Heiligen thronten und galoppierten die alten, keiner von uns hat darum an seiner Seele Schaden gelitten. Was mich anlangt, so sehe ich, zumal bei gutem Wetter, noch immer Halbgötter über die Erde wimmeln, während die Götter selbst nur selten am Rand der Gletscher und großen Meere erscheinen.

Die einzige Ausnahme bildet Diana. Ich mache selten eine kurze Reise, ohne ihr zu begegnen, auf weiten Fahrten aber taucht sie regelmäßig auf. Schlank, in knappem Kleid, den Schmuckkoffer in der Hand, einen Hut in Form eines luftigen Sturmhelms auf dem Haar, den Blick geradeaus, so eilt sie auf ihren langen Beinen durch die Welt.

Diana jagt nicht mehr mit Pfeil und Köcher.

Sie reist.

Sie spricht alle Sprachen der Welt, hauptsächlich Englisch. Und sicher hat sie auch dies mit der antiken Diana gemein, daß sie an der Jagd (wenn es eine Jagd ist) weniger die Beute liebt, als das auf der Lauer Liegen, Spähen und Wittern und Schweifen, den plötzlichen Lauf liebt sie und die Aufregung, in die sie mit ihrer auftanzenden Wildheit alle Geschöpfe und die Natur selbst versetzt. Vor allem liebt sie die Palace-Hotels. Abends hängt sie in einer Ecke der Halle in einem Klubsessel und raucht viele Zigaretten. Sie scheint in Erinnerungen versunken. Wenn sie den Lift betritt, bleibt sie nie allein. Immer eilt jemand herbei, die einzige Gelegenheit zu nützen, wo man, das entblößte Haupt gesenkt, eine Weile ein- und ausatmen darf, was an ihr unsterblich ist: ihr Parfüm Chasse de Diane.

Der Mond in einer Winternacht ist nicht kühler als sie, immer bleibt sie allein wie ein Bild in seinem Rahmen - die Farben des Bildes haben etwas vom Porzellan. Nur wenn sie sich im Winter vom Boy die Skier abschnallen läßt, dampft sie wie eine Säule. Eine Stunde später tritt sie im Abendkleid an den Tisch. Das Kleid ist tief ausgeschnitten und reicht das eine Mal knapp über das Knie, das andre Mal bis zu den Sohlen. In jedem Fall scheint sie schnurstracks von einem Bad im vereisten See zu kommen. Sie tanzt herrlich. Wer den Tanz um seinetwillen liebt, ist beglückt. Neugierige, die tiefer forschen, stoßen auf eine unaufgeschnittene Kinderfibel.

Über keine Frau wird soviel, so gründlich, so geheimnisvoll gesprochen wie über sie. Tiger und Hyänen werden zu Philosophen und Professoren der vergleichenden Gotteskunde. Zum Beispiel: mißversteht sie Anzüglichkeiten, oder hat sie die Unschuld eines Kalbes? Darüber kommt es zu Religionskriegen… Jedenfalls findet sie die Liebe nicht interessant. Der Kenner begnügt sich, mit ihr im Lift zu fahren.

II

Zwei junge Dichter, zwei Temperamente behaupten, mehr von ihr zu wissen. Der eine will sie überrascht haben, wie sie die Huldigungen eines Boxers entgegennahm. (In einem Palace, versteht sich.) Der Boxer kniete auf der obersten Stufe der Treppe und hob flehentliche Hände. Die Hände hatte er verdreht, so daß Diana das Innere sehn konnte. Offenbar zeigte er ihr ein Geheimnis, die Lebenslinie, den Venusberg, die Linie, die zeigt, daß man an der Börse gewinnt, oder sonst ein Schicksalszeichen – vielleicht auch das Runenrezept eines Elixiers, das die Schönheit gegen das Leben feit. (Aber sie ist ja ohnehin unsterblich!) Die gehobenen Hände des Halbgottes von 193. streiften ihren Rock. Sie schüttelte angeekelt den Kopf, als ob er ihr Kautabak anböte.

Als er aufsprang und nach ihr griff, stieß sie mit dem Knöchel des linken Zeigefingers gegen seine Stirn, und er rasselte kopfüber die Treppe hinab. Der Portier fing ihn auf. Er schwor, er werde sie am Abend windelweich hauen. Gleich darauf reiste er ab. Der andere junge Dichter erzählte, wie er einmal, freilich nur ein einziges Mal, Diana entwaffnet habe. Es war eine Stunde vor Frisco, die Sonne ging, das Sternenbanner im Knopfloch, über der Prärie auf, zwei Pullmanzüge liefen mit genau derselben Geschwindigkeit nebeneinander her. Da erkannte der Dichter, als er zufällig aus dem Fenster seiner Schlafkabine sah, in einer Schlafkabine des anderen Zuges Diana.

Sie putzte sich die Zähne, das Fenster stand offen. Schnell riß der junge Dichter das seine herunter, da spie sie ihm einladend das Gurgelwasser ins Gesicht. Im nächsten Augenblick lag er in ihrer Kabine, zwei Pyjamas verwühlten sich, donnernd schrie der Zug aus der Prärie zur Sonne, und während sie noch ermattet stöhnte, die Zahnbürste in der einen Hand, die andre am Herzen, sprang der Beglückte durch das Fenster in seinen Zug zurück. Eine Sekunde später verschoben sich die Wagen, der Zug mit Diana blieb zurück. Der junge Dichter sah sie nicht wieder.

Ich weiß nicht, welchen der beiden Dichter ich mehr beneiden soll. Denn wenn das Erlebnis des zweiten überwältigend war, so scheint mir das des ersten immerhin glaubhafter.