Punkerkongress

Kongresskritik
zuerst erschienen 2004 in der Welt am Sonntag

Die Fragen waren doch: Wozu brauchen Punker einen Kongress? War Punk nicht ein modischer, ein musikalischer Stil, der einfach bloß hässlich sein mußte? Müssen sich Punker auf einem Kongress über neue Formen von Häßlichkeit beraten? Findet ihr Kongress in Kassel statt, weil es in Kassel häßlich ist? Und: Wer interessiert sich überhaupt noch für Punk?

Das Gerücht, dieser Kongress fände vor allem deshalb statt, weil auf diesem Wege „ein Topf“ mit Fördermitteln der Bundeskulturstiftung „angezapft“ werden konnte, erweist sich bereits bei der Ankunft auf dem Parkplatz des Kulturbahnhofs als feinster Punker-Ulk. In direkter Nachbarschaft zu dem Veranstaltungsort befindet sich eine Polizeizentrale, auf der anderen Seite „Burger King“. Eingezwängt vom Bullenstaat (rechts) und dem Gobalisierungsterror (links) treffen sich die Punker in den hinteren Räumen eines sehr großen Cafés. Eine gute Stunde vor dem Beginn der ersten Veranstaltung ist das Café schlecht besucht, an einem Tisch sortieren zwei eher unauffällig gekleidete Menschen einen Stapel aus verschiedenen Broschüren. Der Wirt schwitzt, seine Aushilfen haben ihn im Stich gelassen, die Debreciner-Würste sind aus. Der Espresso schmeckt sehr gut.

Auf einer Porno-Messe kann es nicht schlimmer sein: Keiner der Hereinkommenden sieht auch nur annähernd aus wie ein Punker und dennoch ist klar, daß sie Punker sind! Bald ist es kurz vor Mittag und noch immer nicht trinkt auch nur einer von ihnen Bier. Nicht einmal mitgebrachtes, aus Dosen. Einer fragt aber den Wirt, ob er sich hier ein Frühstück beschaffen könnte, woraufhin der Wirt gleich wieder anfängt zu schwitzen, dabei hatte er sich gerade etwas beruhigen können. Aber wie diese Frage formuliert war, das mit dem „beschaffen“, weist den ansonsten unauffälligen Gast als Punker aus. Frühstücksbeschaffe: Das ist Punker-Latein.

Der Vortragsraum ist dicht bestuhlt, an den Stellwänden ist aus Pressespiegeln eine Wandzeitung collagiert: „Punk im Spiegel der Presse 1975-82“. Stylingtips aus den damaligen Ausgaben der Bravo („Schreiben Sie mit Filzstift auf das T-Shirt Worte wie SEX und NOW“), Reportagen aus Tagesspiegel, Bild und Stern. Schlagworte aus der Hochphase des Punk sind farbig herausgearbeitet: „Punk’s Not Dead“ und „No Future“ - der Zwiespalt des Punk-Gefühls, bestehend aus Endzeitdämmer und Nicht-Sterben-Wollen, um den es dann auch an diesem Tag, drei Jahrzehnte später, in Kassel noch gehen soll.

Nach einem schwer verständlichen Vortrag des slowenischen Kulturwissenschaftlers Sezgyn Boynik über die kunsthistorische Dimension des Punk füllt sich der Raum recht rasch und einige dieser Teilnehmer tragen zumindest T-Shirts, die mit Totenköpfen bedruckt sind. Der Wirt beginnt mit dem Ausschank erster Biere, einige zünden sich Zigaretten an. Dick Hebdige, in den Siebzigern bekannt geworden als Autor eines Buches über Subkulturen, beginnt seinen Vortrag mit seiner Analyse des Produktdesigns eines Deodorants der Marke „French Connection United Kingdom“: Bei dem Aufdruck FCUK handele es sich offensichtlich um ein Anagramm des Punk-Wortes „Fuck“. Außerdem verwende der Hersteller des Deodorants hierfür eine Schrift, die sich deutlich anlehne an die Covergestaltung der ersten Schallplatte der „Sex Pistols“. Zu den Errungenschaften des Punk rechnet Dick Hebdige übrigens die Befreundung mit dem Unreinen, dem Müll und dem Schmutz. Sich auch einmal länger nicht zu waschen, keine Angst vor Speichel et cetera haben zu wollen, sei sinnvoll, da es die Abwehrfunktionen des Menschen stärke. Dabei war es eine solche Befreundung mit Speichel, die für einen schlimmen Unfall in der Geschichte des Punk sorgen sollte: Auf einem Konzert der Gruppe „The Clash“ spuckte ein Zuhörer deren Sänger „Joe Strummer“ in den Mund. Strummer wurde dadurch mit Hepatitis B infiziert, erkrankte schwer und das Erscheinungsdatum des legendären Albums „London Calling“ verzögerte sich um beinahe ein Jahr. Hebdige, heute Professor für Kulturwissenschaften in Florida, erzählt dann noch von einem denkwürdigen Erlebnis, neulich in Spanien: Auf dem dortigen Punk-Kongress seien ihm jüngere Zuhörer aufgefallen, die sich mit Schlächterskapuzen und den Attrappen von Sprengstoffgürteln ausstaffiert hätten. Währendessen wird in einer Nische des Kasseler Cafés bereits ein slowenischer Merchandising-Stand aufgebaut, der T-Shirts verkauft mit den Aufschriften „Allah save the USA“, „Djihad“ aber auch „Animals are my friends and I do not eat my friends“.

Mittlerweile ist jeder Stuhl des Tagungsraumes besetzt. Eine junge Frau mit Irokesenfrisur nutzt die Pause, um sich auf die Prüfung zur staatlich anerkannten Erzieherin vorzubereiten. Der Disc-Jockey legt aus seinem Vorrat seltener Punkrock-Singles auf, das Mikrophon des Moderators sorgt für Rückkopplungen, dann endlich kommt Malcolm Mc Laren. 

Er, der wahrscheinlich einzige Punker der ersten Stunde, der mit Punk richtig reich geworden ist, sieht geradezu verhuscht aus. Er rägt einen langen Regenmantel und eine seltsame Handtasche aus ähnlichem Stoff. Sein als „multimedial“ angekündigter Vortrag besteht en détails aus einem TV-Portrait eines französischen Senders und den Hörbeispielen seiner nächsten CD. Mc Laren erklärt sehr genau, wie es bei der Erfindung von Punk zugegangen war: Er, Sohn eines Textilfabrikanten, habe in London einen Laden für Sex-Kleidung eröffnet, er wollte T-Shirts verkaufen und sei auf der Suche gewesen nach einer Band, die ihm dabei helfen sollte, noch mehr T-Shirts zu verkaufen. Die schnöde Geschichte von dem reinen Marketing-Gag „Punk“ federt Mc Laren aber geschickt ab, indem er zugleich seine Theorie des Scheiterns entwirft, in die sich sein eigener Werdegang bis heute, das Ende von Punk (damals) sowie eigentlich alles integrieren läßt, was bis dahin noch als Frage offen geblieben war. Und das war immerhin eine ganze Menge. Sogar Kassel, als Stadt und Austragungsort des Kongresses, plötzlich sogar der gesamte Kongress mitsamt allen Teilnehmern, T-Shirt-Stand und dem eifrig zapfenden Wirt - alles geht auf in dieser höllisch guten Schöpfungsgeschichte, die Malcolm Mc Laren entwickelt. Nach zwanzig Minuten gibt der Redner vor, er wisse nun nichts weiter zu erzählen. Stattdessen läßt er die Stücke seiner CD abspielen - eines so grausam auf der Höhe unserer Zeit wie das andere. Keiner schreit, niemand stürmt das Podium, keine Bierdose fliegt und es wird auch nicht gespuckt.