Junge Aliens

Reportage
zuerst erschienen am 16. Mai 1998 in taz Magazin Nr. 5533, S. 1-3
Fassung des Autors

Hier müsste es klappen, dachte ich und ging ins Jugendzentrum am Herschelplatz. Drumrum sind alle Häuser drei- oder vierstöckig, kasernenförmig angelegt. Kleine Fenster zu Hunderten nebeneinander.

Alle Wände kackgelb gestrichen. Sieht richtig nach Durchfall aus, die Gegend. An der Grundschule Graffiti: Fuck the police und wiksa steht da. Ich denke mir, daß Grundschüler „wiksa“ schreiben, wenn sie Wichser meinen. Die Penisse an den Wänden sind teilweise gesprayt.

Die Schule, ein alter, großer Klotz, einige Fenster mit Plakafarben bemalt: bunte Ballons, Herbstdrachen, Kerzen. Was Lehrer halt so für kreativitätsfördernd halten. Aus den Abfalleimern neben den Holzbänken quillt Müll unter orangfarbenen Deckeln hervor.

Beim Spielplatz sitzt auf einer Bank ein alter Mann im Trainingsanzug, zwischen Hintern und Bank ein umgedrehter Pappkarton, dessen Aufschrift für spanische Mandarinen wirbt. Der Alte ist mager. Die Pappe trägt ihn, obwohl sie nur an den vier Ecken auf der Bank aufsetzt. Daneben eine Flasche Weißwein mit Drehverschluß. Etwa ein Promille ist raus, der Rest wartet.

Es ist zwölf Uhr dreißig. Doch, könnte klappen hier.

Mitten in der Anlage ein Spielfeld mit rotem Aschenboden. Vier Meter hoch der Metallzaun ums Spielfeld. Ein Gefängnishof. Fünfzehn Kinder, sechs bis vierzehn, kicken. Jacken und Sweatshirts liegen als Tore auf dem Boden.

Ein Mädchen spielt mit, zehn oder elf, mit langen braunen Haaren. Sie ist ziemlich gut, schneller als die anderen, mit Gefühl für den Ball. Sie gibt ihn ab, um das Spiel zu lenken.

Die Jungs, etwa die Hälfte ist zu dick, versuchen nur in letzter Sekunde einen Pass, dann, wenn klar ist, sie verlieren ohnehin gleich den Ball an einen Größeren. „Du blöde Fotze“, schreit sie einer an. „Her mit dem Ball, blöde Fotze!“ Sie kontert: „Halt’s Maul, Alter!“ Einer, fast zwei Köpfe größer, rempelt sie zur Seite. Ich habe das Gefühl, das ist eine Gegend, in der es arbeitslose Jugendliche gibt. Hier müsste es klappen.

Am Anfang war das die Idee: Es gibt fünf Millionen Arbeitslose in Deutschland, und ich will endlich ein paar davon kennenlernen. Hab‘ Freunde, Bekannte, Kollegen gefragt. Keiner kennt einen. Wo sind die alle? „Vera am Mittag“ auf Sat.1 schauen oder „Arabella“ am Nachmittag auf Pro7? Wie ist das, wenn man vor dem Wochenende mit fünf Mark in den Supermarkt geht? Gibt’s für Arbeitslose so was wie Luxus, den sie sich gerade noch leisten können? Glauben die noch ans Arbeitsamt?

Ein Fünfzigjähriger redet nicht so gerne darüber, kommt aus Zeiten der Vollbeschäftigung, empfindet Arbeitslosigkeit als Schande, trotz der anderen fünf Millionen. Jugendliche sind in anderen Zeiten aufgewachsen. Keinen Job zu haben müsste für sie eher normal sein. Die können da leichter drüber reden. Dachte ich. Fünfzehn oder sechzehn, Schule fertig und – bang! Keine Lehrstelle! Null Anspruch auf Arbeitslosengeld. Scheißlage. Hätte mich interessiert.

Bei Arbeitslosigkeit denke ich immer zuerst an Nürnberg, wegen der Bundesanstalt für Arbeit. War mal eine wohlhabende Stadt, mit viel Industrie. Jetzt ist es eine Krisenregion. Große Firmen nippeln ab, entlassen. Die offizielle Arbeitslosenquote ist für bayerische Verhältnisse richtig hoch, fast vierzehn Prozent. Hier müsste es klappen, dachte ich.

Das Jugendzentrum heißt offiziell Freizeitheim Herschelplatz und ist im gleichen Gebäude wie die Außenstellen der Stadtbibliothek, des Sozialamts und ein Kindertagesheim. In den Fenstern der Bücherei hängen Janosch-Plakate. Auch des Sozialamts Hinweise zur „Geltendmachung von Ansprüchen“ oder eine Einladung zum Elternabend in einem Kindertagesheim. Vorm Haus steht ein schräger Baustellenzaun aus Metallgittern, eine Wand ist mit einer Plastikplane abgedeckt. Die Wände des Treppenhauses sind voller Graffiti. Fratzen und Schädel an den Wänden, alle dunkelblau oder schwarz. „Ja“, sagt im ersten Stock der Sozialpädagoge „arbeitslose Jugendliche haben wir hier genug.“

Er schildert ihre Probleme, seine Probleme mit ihnen und jammert nach einer Viertelstunde nur noch. Sein Frust: „Sie sind so unzuverlässig, halten sich nicht an Abmachungen. Du sagst, wir gehen ins Kino. Morgen um sieben. Kommst du? Der sagt, ja, bin da. Aber er kommt nicht. Passiert ständig. Keine Verlässlichkeit.“ Hier bin ich richtig, denke ich und bitte den Mann, mir ein paar vorzustellen, am besten zuerst mal eine Clique. In der Gruppe sind sie mutiger, gesprächiger.

Es sind fünf: Rainer, Benjamin, Jasmin, Eric und noch ein Benjamin. Alle sechzehn. Zwei von den Jungs haben die für die Gegend typische Frisur: Haare glatt, an den Seiten mit einem Gummi nach hinten zu einem Zopf gebunden. Wir machen aus, dass wir uns am nächsten Tag auf dem Spielplatz treffen. Ich sammle ihre Telefonnummern ein. Einer hat ein Handy.

Um sich bei Fünfzehn-, Sechzehnjährigen einzuschmeicheln, gibt es zwei klassische Tricks. Erstens: Immer gnadenlos siezen, auch wenn die sagen: Sie können mich duzen. Weitersiezen! Es gefällt ihnen, fühlen sich ernst genommen.

Zweitens: Musik. Junge Menschen missionieren gerne. Gibt ihnen ein gutes Gefühl, Älteren zu sagen, was gut klingt. Ich kenne mich einigermaßen aus mit Pop, aber an den richtigen Stellen kann ich mich ein bisschen blöder stellen, als ich bin. Die erzählen dann was von irgendeinem Rapper, ich mach‘ große Augen und sag‘: Ach ja? Und denen geht es gut.

Mehrmals sag‘ ich Sachen wie: „Ich will wissen, wie Sie den Tag verbringen, worüber Sie reden, was Ihnen gefällt, was nicht.“ Alle sagen, klar, kein Problem. Sie gehen, und der Sozialpädagoge, der mitgehört hat, sagt, „morgen wird keiner da sein“. Ich denke mir, der Mann ist gefrustet, die werden kommen. Das spür‘ ich.

Keiner kommt. Ich rufe die Nummern durch. Auf der Mailbox ist eine weibliche Stimme mit anderem Nachnamen. Ich spreche drauf: „Bin auf der Suche nach Benjamin, wir waren verabredet.“ Nach fünf Versuchen ahne ich, dass der Arsch mir einfach eine Nummer gegeben hat, die nichts mit ihm zu tun hat. Wahrscheinlich belästige ich die Mailbox seiner Ex-Lehrerin. Zwischen elf und sechzehn Uhr bekomme ich unter keiner Nummer jemanden, der mir helfen kann. Um vierzehn Uhr sagt mir ein Vater, „mein Sohn schläft noch“. Die Mutter eines anderen brummt kurz darauf: „Keine Ahnung, wo er ist.“ Der Sozialpädagoge sagt: „Vor zwölf steht von denen keiner auf. Warum sollten sie auch? Du hättest zwei Uhr mit ihnen ausmachen sollen. Aber dann wären sie auch nicht gekommen.“

Abends treffe ich den mit dem Handy im Jugendzentrum. „Tut mir leid, ist was dazwischengekommen.“ Sagt er. Wir setzen uns in abgeschabte Sperrmüllsessel, und ich drängle höflich zum Gespräch. „Pass‘ nicht dazu“, sagt er, „bin gar nicht arbeitslos.“ Aber gestern waren Sie doch noch? „Ich habe ja im Sommer das berufsvorbereitende Jahr fertig gehabt und mach‘ ja jetzt…“ Ich kapier‘ nicht, was er sagt, lass‘ es mir noch mal erklären und noch mal.

Ich komm‘ zu dem Schluss: Der ist arbeitslos, er weiß es nur gerade nicht. Hofft, dass ihn die NOA zum „Anlagenelektroniker oder Anlagentechniker oder so was“ ausbilden wird. Wird sie nicht. NOA steht für Noris Arbeit GmbH, ein freier Träger, den die Stadt finanziert, um vor allem langzeitarbeitslose Erwachsene auf den zweiten oder dritten Start im ersten Arbeitsmarkt vorzubereiten. Ein Trick: Wer dort arbeitet, kriegt Lohn, keine Sozialhilfe. Wenn er es nicht packt, gibt’s Arbeitslosengeld. Sozialhilfe müsste die Stadt zahlen, Arbeitslosengeld nicht.

Die Auffanggesellschaft hat auch 45 Ausbildungsplätze: Bürokaufleute, Arzthelferinnen, Einzelhändler, Hauswirtschafterinnen, aber keine Anlagenirgendwas. Als ich ihn Wochen später wieder mal treffe, sagt er nicht mehr NOA, sondern BFZ. Das ist das Berufliche Fortbildungszentrum der bayerischen Arbeitgeberverbände. Da muss er was verwechselt haben: Das BFZ bildet nicht aus. Es hat ein Programm namens AON, Ausbildungsoffensive Nürnberg, finanziert vom Arbeitsmarktfonds der Bundesanstalt für Arbeit. Macht Arbeitslosenweiterbildung und Ausbildungsvorbereitung. Das heißt: Die BFZ bietet beispielsweise Mathekurse für Jungs und Mädchen, „um Defizite auszugleichen“. Danach versucht die BFZ, sie in Ausbildungen zu vermitteln. NOA, BFZ, AON – das glaubt mir doch keiner.

Die Leute von der BFZ hören sich an wie Sozialpädagogen: „Wir fühlen uns oft von den Jugendlichen verarscht. Die wollen alles, kommen aber selten bis nie. Keine Einschätzung der Realität. Wollen alle in Traumberufe. Als wir vor zwei Jahren hier angefangen haben, hat jeder gesagt: Tolle Sache! Klasse! Inzwischen haben wir kapiert, was geht und was nicht.“ Es gehe nichts. Na ja, die übertreiben vielleicht, denke ich.

Beim nächsten Treffen mit dem Traum-Anlagenirgendwas: Wir reden über alles mögliche, aber immer hab‘ ich das Gefühl, er will eigentlich kein Wort sagen. „Wenn Sie nicht wollen, lassen wir es, Sie müssen es mir nur sagen“, sage ich. Ne, ne, schon in Ordnung, antwortet er. Sein Handy hat er nicht dabei, die Nummer weiß er nicht mehr. Er verspricht, morgen mit den anderen am Treffpunkt zu sein und geht.

Spätabends kommen zwei andere der Clique. Sie können sich nicht erinnern, dass wir am Nachmittag verabredet waren und ich sage zu ihnen „Okay, wenn Sie nicht wollen, ich nehme Ihnen das nicht übel. Sie müssen entscheiden, ob oder ob nicht.“ Sie sagen: Doch. Schon. Ist in Ordnung. Warum nicht? „Wir wollen jetzt noch Kicker spielen, dann können wir reden.“

Wir gehen zum Tischfußballspiel. Ich werde nicht gefragt, ob ich mitspielen will. Also setze ich mich in den nächsten Sessel, schmolle heimlich und warte. Sie spielen, spielen, spielen. „Ich will auch mal“, sag‘ ich. „Noch vier Tore“, brummt einer. Ich geh‘ schnell aufs Klo. Als ich zurückkomme, sind sie weg. Der Fotograf spielt mit mir, ich verliere 2:10. Einige Tage später erreicht er das Mädchen am Telefon und macht mit ihr aus dass wir uns in der Stadt treffen. Sie bringt mich völlig aus dem Konzept, weil sie tatsächlich kommt. Höchstens zehn Minuten Verspätung.

Wir gehen in ein Café, und sie genießt es, vor vielen Leuten fotografiert zu werden. Sie ist nicht arbeitslos, sie ist krankgeschrieben. Warum? Will sie nicht sagen. Sie ist zu stark geschminkt, zu eitel, zu schlank, sie wirkt künstlich. Ich frage: „Magersucht?“ Um Gottes Willen, nein. Nicht magersüchtig, was ganz anderes, sie wolle es nun mal nicht sagen.

Das Mädchen schimpft nonstop auf alle anderen der Clique. Faule Schweine, Lügner, keinen Mumm, keinen Biss, alle arbeitslos. Sie nicht. „Ne, ne, ne, ich bin krankgeschrieben.“ Seit November. Sie hat einen Quali, das ist der qualifizierte Hauptschulabschluss, und wollte in die „besondere Zehnte“. Hat sie aber nicht gemacht. Sie ging auf eine Fremdsprachenschule, drei Tage lang, dann wurde sie krankgeschrieben. „Fremdsprachen liegen mir nicht.“ Jetzt denkt sie an eine Lehrstelle als Bürokauffrau… Obwohl das ja eigentlich nicht das ist, was sie wolle.

Was liegt Ihnen dann? Sie sagt: „Ballettänzerin oder Psychologin.“ Für Ballettänzerin ist es wohl zu spät, oder? „Ich hatte mal Stunden, hat mir Spaß gemacht.“ Bestehen noch Chancen? „Na, macht mir wirklich Spaß.“ Für Psychologin brauchen Sie doch Abitur und Studium? „Ja schon, aber es würde mir gefallen.“ Also noch mal Schule? „Warum nicht, ich weiß es noch nicht.“ Keine Lehre? „Mit Mittlerer Reife kriegst du doch heute keine Lehrstelle.“ Wieso nicht? „Quatsch, kriegste nichts.“ Wollen Sie doch die Mittlere Reife machen? „Nein, mit Quali kriegst du doch auch nichts.“ Wie viele Bewerbungen haben Sie verschickt? „Na keine, bin ja auf der Fremdsprachenschule, aber jetzt werde ich mich wohl doch bewerben, nach der Mittleren Reife.“

Äh, also doch Mittlere Reife? „Wie? Vielleicht. Nein.“ So geht das Gespräch fast eine Stunde. Mehrmals sagt sie: „Also arbeitslos bin ich nicht. Nur krankgeschrieben.“ Sie hatte zuvor gesagt, dass die Fremdsprachenschule, auf der sie drei Tage war, Geld koste, dass ihre Mutter aber seit Monaten nichts mehr überweist, weil: „Ich bin ja krankgeschrieben.“ Wollen Sie da doch wieder hin? „Ne, eigentlich nicht.“ Zehn Minuten später antwortet sie auf dieselbe Frage: „Ja, warum nicht?“ Und fügt hinzu: „So mit achtzehn wäre ich gerne beruflich selbständig.“

Einige Tage später kommen der Fotograf und ich aus dem Jugendzentrum, und sie geht im Halbdunklen auf der anderen Straßenseite. Hat einen weißen Daunenanorak an, läuft nach vorne gebeugt. Sie sieht uns, tut so, als kenne sie uns nicht, und geht weiter. Im Jugendzentrum hieß es, sie sei magersüchtig, zumindest habe sie mal darüber gesprochen.

Das war der Abend, an dem wir einen der Jungs im Treppenhaus des Jugendzentrums trafen. Er saß auf der Fensterbank, rauchte und sagte, er habe beim letzten Mal keine Zeit gehabt. Ja, doch, jetzt ginge, er rauche noch fertig, dann komme er hoch. Er kommt tatsächlich, zusammen mit einem anderen und sagt: „Wir spielen noch Billard, dann, okay?“ Nebenan unterhalte ich mich mit zwei Jungen. Auch arbeitslos. Wir reden über Musik, über Handys, über… Da sehe ich, wie der andere aus dem Billardraum kommt und Richtung Ausgang flitzt. Ich hinterher. Erwische ihn unten an der Treppe. Er erklärt, ehe ich ein Wort gesagt habe: „Bin nicht arbeitslos, krieg‘ im November ‚nen Job in der Firma meines Bruders. Das ist sicher. Bin nicht arbeitslos.“

Ich sage: Lass uns doch einfach mal reden. „Nein, bin nicht arbeitslos.“ Oben von der Brüstung singt einer runter: „Arbeitslos, arbeitslos, arbeitslos.“

Frau Sozialpädagogin erklärt mir, dass „Firma meines Bruders“ nicht heißt, dass dem die Firma gehört. „Dem sein Bruder ist in einer Brotfabrik im zweiten Lehrjahr. Ich glaube nicht, dass das hilft. Unserer hier ist ständig zugekifft, steht nicht vor zwei auf. Schwer, den in ‚nen Job zu bringen.“ Der Fotograf führt mit den beiden, die wir heute erwischt haben, ein Fachgespräch über die Zillertaler Schürzenjäger.

Ich setze mich dazu und höre: „Ja, wir haben Zeit. Ja, doch, den ganzen Abend.“ Zehn Minuten später sagt der andere, „wir müssen jetzt los, sind verabredet“. Wir haben gerade über Fußball gesprochen. Der andere nickt, sie stehen auf und gehen. Wir machen noch schnell einen Termin für Morgen Nachmittag am Spielplatz aus.

Ich lasse mir von einem Sozialpädagogen die Fachausdrücke erklären, die ich in den vergangenen Tagen gehört habe. F 10 ist eine Förderklasse nach der Hauptschule, bedeutet ein Jahr weniger arbeitslos. Besondere Zehnte ist in etwa das gleiche. Quali heißt qualifizierter Hauptschulabschluss und bedeutet, die Noten waren gut. Berufsvorbereitendes Jahr heißt ein Jahr auf eine Berufsschule gehen und deshalb ein Jahr nicht arbeitslos sein. Freiwilliges Soziales Jahr können auch Jungs machen, bringt auch ein Jahr, ist trotzdem nicht sehr beliebt. FOS heißt Fachoberschule, für sie braucht man Mittlere Reife. FOS sei für die hier so weit weg wie Wladiwostok.

Am nächsten Tag kommt keiner. Am Telefon sagt mir ein Freund: „Du musst näher an sie ran, mehr Zeit investieren, dich mehr auf sie einlassen.“ Das nehme ich ihm übel. Abends im Jugendzentrum jammere ich mich bei Frau Sozialpädagogin aus. Die sagt: „Keine Verlässlichkeit.“ Und: „Die lernen das so, den Eltern ist es egal.“ Warum tun die manchmal so, als hätten sie Jobs? „Ist ihnen peinlich, obwohl die Hälfte keinen Ausbildungsplatz hat. Das ist eine Schätzung. Bei vielen ahne ich es nur, weil sie nicht darüber sprechen.“

Warum sagen sie, da können wir drüber reden, und dann hauen sie ab? „So kommunizieren die halt“, antwortet sie, „die wollen ihr Gesicht wahren, tun so, als sei das kein Problem.“ Die sind von einem anderen Planeten, sag‘ ich. „Ja, Aliens. Wir kommen kaum noch an die ran.“ Früher sei das anders gewesen. „Besser.“

In einem anderen Jugendzentrum macht ein Sozialpädagoge am nächsten Tag folgenden Vorschlag: „Nimm unseren Zivi!“ Wie bitte? „Jetzt ist er noch Zivi, aber danach ist der arbeitslos, und er ist eloquent.“ Der Zivi sagt: „Frag doch hier ein paar, die meisten sind arbeitslos. Oder am Herschelplatz, da findest du Massen.“

Später am Herschelplatz. Auf der Fensterbank im Treppenhaus sitzt einer der Jungs. Ich mach‘ einen Witz: Morgen, zwei Uhr am Spielplatz, okay? Er antwortet ernst: „Klar, morgen um zwei. Bin da.“ Gut, man sieht sich. Draußen sagt der Fotograf: „Wir haben ein Fotoproblem.“ Ja? Soll er doch einen Termin machen.