Nach dem Bilderbuch

Reportage
zuerst erschienen im September 2004 in brand eins
Tan Siekmann war ein Held der neuen Wirtschaft. Bis er scheiterte. Die alten Geschichten verfolgen ihn immer noch. Weil die Welt sie nicht vergessen kann. Und er auch nicht.

Beim Amtsgericht Marburg läuft seit Mitte September ein Insolvenzverfahren gegen die Biodata Systems GmbH. Das ist die Nachfolge-Firma der Biodata Information Technology AG, die Ende 2001 insolvent war und aus deren Konkursmasse Tan Siekmann Teile kaufte, um damit weiterzumachen. Das Ende einer langen Geschichte, die in einem Ufo begann.

Ein skandinavischer Architekt, den Namen hat Tan Siekmann vergessen, entwickelte in den siebziger Jahren ein Fertighauskonzept, um günstigen, standardisierten Wohnraum zu scharfen. Die Dinger sehen aus wie Ufos, haben keine Ecken, keine Kanten und Flugzeugtüren, die man hochklappt. Cool. Pop. Man sieht so was und denkt: Colani. Sie stehen auf einer Art Pfosten und können miteinander verbunden werden. Doch die Idee setzte sich nicht durch, nur ein paar Muster-Ufos tauchten im Land auf. Tan Siekmanns Eltern kauften so ein Reste-Ufo superbillig und stellten es in ihren Garten im Taunus. Später, als Siekmanns GmbH zur AG und zur Börsenrakete wurde, als jeder über ihn schrieb, als er nie genug Interviews geben konnte, schrieben alle, alle, alle: Biodata entstand in der Garage der Eltern des jungen Genies. Nirgends wurde das Ufo erwähnt, alle wollten den Milliardär aus der Garage. Das Ufo passte nicht ins Bild.

Siekmann war, als das Ufo im Garten seiner Eltern landete, ungefähr 15. Heute ist er 37. hl dem weißen Ufo schrieb er seine ersten Computer-Programme, die er unter anderem an Tochterfirmen von Daimler-Benz verkaufte. In diesem Ding entstand Biodata, wie man es heute kennt oder besser: in Erinnerung hat. Biodata gehörte zuvor zum Teil Siekmanns Eltern, den Besitzern von Biocon, einer erfolgreichen Firma in der Diagnostik-Branche, Hersteller von Schwangerschaftsteststreifen und Ähnlichem. Die Tochter-GmbH Biodata war irgendwann nicht mehr aktiv, existierte aber formell noch, Tan übernahm sie mit 19 Jahren. Es folgte seine große Geschichte, die Stichworte: IT Security, Firewalls, Verschlüsselung von Telefongesprächen. New Economy. Geld. Viel Geld. Eine Zeit lang war Tan Siekmann, zwar nur am Neuen Markt und damit auf dem Papier, aber trotzdem, Milliardär. In der Hitliste der reichsten Deutschen ganz weit vom. Und ein Medienwunderkind. Der Prototyp des flotten jungen Mannes von der schnellen Aktienpiste. Er kaufte zum Beispiel eine alte Ritterburg auf einem Berg. Supermedientauglich. Da standen die Investoren drauf.

Die Burg hat er noch, sie gehört ihm und seinen Eltern. Er ist auch Teilhaber an der Firma seiner Eltern. Und er hat mal einen zweistelligen Millionenbetrag im höheren, fast dreistelligen Bereich eingenommen, als er Biodata-Aktien verkauft hat. Das Wort, das einem beim Namen Siekmann in den Kopf springt, ist deshalb: Abzocker. Wobei das ein falsches Bild sein könnte, vor allem ist es ein deutsches Bild, neidvoll. Es geht in dieser Geschichte viel um Bilder, Siekmann spricht von Bildern, argumentiert mit Bildern, warnt vor falschen Bildern und malt selbst welche, die wahr oder falsch sein können. Er liegt auf der glatten blauen Ledercouch im Konferenzsaal von Biodata in Frankenberg an der Eder in Hessen, Ortsteil Scheufa, trägt ein blaues Poloshirt mit Biodata-Emblem, einem Ahornblatt, auf der Brust und um den Hals ein blaues Band, auf dem in Weiß Nokia steht. Wegen des Schlüsselbandes und des runden Gesichts sieht er aus wie ein Schüler, er macht allgemein einen jungen, verspielten Eindruck.

Tan Siekmann kommt manchmal extrem schusselig rüber. Er sagt, dass insgesamt 60 Millionen Euro verdient wurden am ersten Börsentag der Biodata AG. Nicht von ihm, er durfte anfangs nicht verkaufen. Aber viele Anleger hätten mit Biodata-Aktien Geld verdient. „14 Monate war bei Biodata Zeit, die Aktien mit Gewinn zu verkaufen. Es gibt einige, die das gemacht haben.“ Dann fällt der Name Cobion, einige Zeit eine Tochter der Biodata AG, für 300 000 Euro von irgendwem aus der Konkursmasse gekauft und Anfang des Jahres für 26 Millionen Euro an Amerikaner verkauft. Davon hatte er nichts, aber er ist stolz darauf.

An diesem Tag, dem 6. September, sagt Tan Siekmann, er habe Biodata Systems GmbH verkauft. An einen Australier. Die Vorverträge seien unterschrieben. Am 15. September gebe es eine Pressekonferenz. Dann sei alles offiziell. Bis dahin bitte nichts schreiben! Er müsse sich darauf verlassen können, es sei ja nicht mehr so lange, zwei Tage oder so, der wievielte ist heute, der 7, der 6., na gut, es sind mehr als zwei Tage, aber nicht viel.

Macht er das absichtlich? Will er zeigen, was für ein Genie er ist, für das genaue Daten keine Rolle spielen? Das könnte durchaus eine Masche sein, die er gut beherrscht. Ob ich zur Pressekonferenz kommen wolle? Das müsse aber nicht sein, sagt er, das werde durch die Medien gehen. Noch so ein Punkt: Als Biodata-Wundermann am Neuen Markt mit 15 Tochterfirmen, vertreten in zehn Ländern und Büros in den Twin Towers in Kuala Lumpur und New York, so wie es in den epischen Bildern vom Neuen Markt sein musste, war er wichtig. Da gab es Pressewirbel, wenn er hustete. Nun ist er aber Teilhaber einer 35 Leute starken Firma im Hessischen, in einem Gewerbepark, direkt neben der Kickbox-Abteilung des TSV Frankenberg und eine Etage unter der Konflikt- und Mobbingberatung Mediation. Und trotzdem denkt er immer noch: Wenn ich, Tan Siekmann, eine Pressekonferenz mache, kommen alle.

Ich hatte schon mal einen Termin mit ihm, da kam er nicht, weil er in Hongkong war, sagte jedenfalls sein zweiter Mann Stefan Schraps. Siekmann nannte später einen anderen exotischen Ort. Klaus Stern, der für das kleine Fernsehspiel des ZDF den Dokumentarfilm “ Weltmarktführer“ über Siekmann gemacht hat, erzählte: „Tan sagte mir mal, am 30. Mai gebe es eine Pressekonferenz, die müsse ich drehen, da werde der Schweizer Investor bekannt gegeben, der einsteigen werde. Aber die Pressekonferenz gab es nie.“ Die andere, am 15. September, auch nicht. Ab dem 16. September wartete ich auf Meldungen. Die kamen auch, aber es waren die falschen: Ein Anwalt von Biodata gab zu, die Firma habe Quellcodes geklaut. Biodata hatte das wochenlang abgestritten. Dann die Meldung, dass Siekmann Insolvenz beantragt habe. Dabei hatte er mir den Verkauf als Fakt geschildert.

Als Sterns Dokumentarfilm am 18. Juni beim Filmfest in Köln erstmals gezeigt wurde, war Siekmann da, mit Teilen der Belegschaft der Biodata Systems GmbH. Er hatte einen Bus gemietet, kam im Anzug ins Kino, war groß, mit Wampe, wirkte extrem jung, eine hübsche Blondine an der Seite. Er schien selbstsicher und unsicher zugleich. Er klatschte am Ende des Films und sagte Sätze, die andeuteten, dass er damals der Zeit voraus gewesen sei und es immer noch ist. „Was in meinem Kopf ist, hat die Wirklichkeit noch nicht bewiesen.“ Das wirkt arrogant, könnte aber auch Schusseligkeit sein. Selbst in dem Film, der seine Geschichte fair und unterhaltend erzählt, taucht Tan manchmal als Riesenbaby auf: Wenn es um Autos geht, um Flugzeuge, die er gekauft hat, um Zeichen des Reichtums. Wie ein begeistertes Kind. Wobei es gut sein kann, dass dieses „Ich bin nicht von dieser Welt“, ein Genie eben, von ihm bewusst benutzt wird. Dass er ein Bild vorfühlt. Denn wenn im Film den Mitarbeitern gesagt wird, dass es diesen Monat wieder kein Gehalt gibt, sitzt Siekmann am Tisch, und Stefan Schraps, der Vize, macht die Drecksarbeit. Wie immer. Siekmann das Genie. Schraps der Arbeiter.

Als Siekmann mich versetzt hat, wegen Hongkong, sitzt Schraps auf der Couch und erzählt, warum Biodata dem Film zugestimmt hat: „Das Porzellan war sowieso zerschlagen. Wir dachten, der Film kann uns helfen zu zeigen, dass es uns noch gibt.“ Er findet den Film gut, denn „er zeigt, dass die Wahrheit komplexer ist als eins und null. Er sorgt für Grautöne. Man kann zu verschiedenen Meinung kommen“. Schraps erzählt, wie hart es ist, wenn alle auf einen einprügeln, wenn man als symbolischer Watschenmann für das Scheitern des Neuen Marktes herhalten muss. Und natürlich sagt er auch, dass es der Firma damals gar nicht so schlecht ging: „Insolvenz, obwohl fünf Millionen auf dem Konto waren. Wir hatten Probleme wie viele andere auch, aber wir waren nicht überschuldet.“ Die Zeit, in der Biodata eine Aktiengesellschaft war, sei hart gewesen: „Es ging nur noch um Controlling. Dadurch sind wir kaputtgemacht worden, so wie viele andere in dieser Zeit. Wir mussten wachsen und wachsen, konnten aber keinen Euro selber ausgeben. Am Controlling, daran sind viele Unternehmen gescheitert.“ Als Regisseur Stern zu ihnen kam, seien sie misstrauisch gewesen und hätten trotzdem vertraut. Darauf ist Schraps stolz. Stern sagt dazu: „Tan will was richtig stellen, das ist sein Antrieb.“ Siekmann und Schraps haben sich also gestellt. „Natürlich wollten wir Kontrolle, beim Filmschnitt dabei sein, aber Stern hat das abgelehnt.“ Schraps bewundert Tan, obwohl der ihm schon übel mitgespielt hat. „Tan ist ein Visionär. Aber er braucht Leute, die ihn in den Tag zurückholen, die nacharbeiten, strukturieren, an denen er sich reiben kann. Er kann Leute binden. An die Visionen glaubt hier keiner mehr, doch die Leute sind geblieben.“ Biodata bekommt natürlich keinen Kredit mehr, braucht aber Geld. Deshalb fehlen den Mitarbeitern fünf Monatsgehälter und das letzte Weihnachtsgeld. Die Leute finanzieren ihren Arbeitsplatz selbst. Schraps sagt: „Ich habe seit einem Jahr nichts mehr gekriegt. Und Tan hat die ganze Zeit kein Gehalt bekommen.“ Auf Nachfrage: ,Ja, stimmt, ich habe mal Aktien verkauft, es kam ein sechsstelliger Betrag in Euro rein, den habe ich in ein Haus investiert. Ich habe im Prinzip von Reserven gelebt, die sind jetzt erschöpft.“ Er habe sein Auto verkauft und bis vor kurzem davon gelebt. Kein Urlaub. Dann erzählt er von potenziellen Investoren, klingt handfest, überzeugt, optimistisch. Vom Break-even, der Ende des Jahres erreicht wird, von „dieses Jahr 3,5 Millionen Umsatz bei 35 Mitarbeitern, vergangenes Jahr hatten wir knapp zwei Millionen bei 43 Mitarbeitern. Es geht aufwärts.“ Lustig war es in der neuen Wirtschaft. Aber als die Stars zu Verlierern wurden, traten ihre einstigen Fans gnadenlos zu.

Warum heißt die Firma noch Biodata? Wäre nicht ein neuer Name geschickter gewesen? „Ich verfluche es, dass wir mit der Vergangenheit verbunden werden. Aber ich war bei der Namensgebung nicht dabei.“ Die Antwort sagt viel über Schraps: Siekmann hat ihn, als die Krise kam, auf irgendeine kleine, unwichtige Tochterfirma abgeschoben. Als Bauernopfer, denn die Investoren wollten Action sehen. „Das tat weh, alle haben die Schuld auf mir abgeladen.“ Siekmann hat ihn wohl enttäuscht, aber dann zurückgeholt. „Wir hatten eine lange Altlastenbewältigung.“ Schraps ist bei unserem Treffen an der noch nicht insolventen Biodata Systems GmbH mit zehn Prozent beteiligt.

Über den Film oder besser darüber, wie er und Siekmann im Film rüberkommen, meint er: „Was mir erst durch den Film bewusst wurde, waren diese Schleifen, dieses Wiederholen von: Alles wird gut. Das habe ich nicht mitbekommen. Das ist ein Punkt, an dem ich mich fragen muss: Haben wir das geglaubt? Oder logen wir uns in die eigene Tasche?“ Er meint die AG-Zeit. Nicht, dass während dieses Gesprächs, wie wir heute wissen, die GmbH ein paar Wochen vor dem Insolvenzantrag steht, während er von möglichen Investoren spricht und von der Zukunft.

Im Film kommen lustige Szenen vor, bei denen man heute denkt: typisch Neuer Markt. Tan ließ einer Mitarbeiterin eine Visitenkarte drucken, auf der ihr Name stand und darunter VIA. VIA stand für Very Important Azubine. Wenn Leute von großen Banken kamen oder Berater, sorgte Tan dafür, dass die eine Visitenkarte der VIA mitnahmen. Natürlich kommt im Film auch vor, wie Tan den Börsengang verpennte. Ein tolles Bild, so cool: Seine Firma geht an den Neuen Markt, die Kurse schießen hoch wie, na ja, Biodata startete mit einem Kurs von 45 Euro und sprang, schwupp, sofort auf 240 Euro. Das hat er verschlafen. Irgendwann kommt Tan in die Börse, desorientiert, ohne Bescheid zu wissen. An seiner Seite seine nicht ganz so blonde damalige Frau. Sie sind inzwischen geschieden, sie ist mit den beiden Kindern ausgezogen und gilt als die reichste Medizinstudentin Deutschlands.

Was der Film auch sehr lustig erzählt, ist die Malaysia-Sache: Sie hatten da mal einen fetten Auftrag, also fast jedenfalls. Darauf warteten sie zwei Jahre, immer wieder gab es Hoffnung. Siekmann sagte mal am Telefon: „Wenn der Malaysia-Auftrag noch kommen sollte, gut. Wenn nicht, auch gut. Aber wir reden darüber nicht.“ Im Film ist Malaysia allein durch die ständige Wiederholung deutlich als potemkinsches Dorf zu erkennen. Aber Tan und Schraps glaubten bis zum Schluss daran.

Zurück nach Frankenberg. Siekmann hat stundenlang auf der Couch lümmelnd darüber geklagt, dass er ein Opfer der Medien ist. Nachdem die Biodata AG insolvent war und er mit der Biodata GmbH neu anfangen wollte, haben sie ihn getreten. Alle. Als Symbol für alles, was am Neuen Markt schief gegangen war. Oft sei zu lesen, klagt er, dass die 800 000 Euro, mit denen er die Biodata Systems GmbH aus der Insolvenzmasse der AG kaufte, noch nicht vollständig bezahlt sind. „Verrückt. Wir haben 500 000 Euro sofort bezahlt und für den Rest eine Grundschuld unterschrieben auf das Gebäude hier, das der GmbH gehört. Aber alle schreiben was anderes, weil sie was anderes schreiben wollen.“ Das Beispiel mit dem verpennten Börsengang ist gut. Es belegt, was er sagt, aber auch, dass er die Bilder zum Teil selbst gebastelt hat. Er hat den Börsengang nicht verschlafen. Das war zwar überall zu lesen, denn es war ein tolles Bild. Aber nicht die Wahrheit. „Ich bin spät losgekommen, stand im Stau, deshalb kam ich eine knappe Stunde zu spät.“ Das Bild vom coolen Typen war das Bild, das alle wollten. Er auch. Vom Stau auf der A 5 zwischen Alsfeld und Bad Nauheim erfuhr niemand etwas.

An dem Band um seinen Hals hängt sein Hausschlüssel. Den habe ihm seine Freundin am Morgen umgehängt. Siekmann, der über falsche Bilder klagt, arbeitet selbst damit. Schlüssel um den Hals: putzig, verwirrtes Genie. Doch als die Kurse stürzten, wurde aus dem drolligen Genie ein Abzocker. Wer ihn vorher liebte, trat ihn jetzt ganz hart. Die haben ihm übel mitgespielt, sagt er. „Bilder werden von Journalisten so hergerichtet, wie sie meinen, dass der Leser sie sehen will. Alle wollen sehen, wie der Gauner scheitert. Diese Vorfreude auf das Scheitern…“ Er bricht ab.

Und erzählt Beispiele, die zeigen sollen, wie Medien funktionieren, gesteuert von den Erwartungen der Macher, was Leser und Zuschauer gern hätten. Autoren, die ihn früher hofierten, deuteten später an, dass er ein Betrüger oder Trottel sei. Er weiß nicht, wie er auf andere Leute wirkt. Sonst würde er nicht Sachen sagen wie: „Man kann nur ein Steak essen, braucht nur ein Bett, braucht kein Penthouse in New York.“ Das habe er gelernt. „Mein kleiner Boxster reicht mir, das ist der kleinste Porsche, der Volksporsche.“ Er sei nicht so reich, wie viele denken: „Ich habe eine teure Scheidung hinter mir und kein Geld in Rentenpapiere angelegt, sondern alles in den Neuen Markt gepumpt.“ An den habe er geglaubt.

Über die Frage nach dem Ufo freut er sich, dass es von den Medien nicht erwähnt wird, belegt seine These. Man sieht es kurz in „Weltmarktführer“. Der erste Film über die neue Wirtschaft in Deutschland. Regisseur Klaus Stern, der für „Andreas Baader, der Staatsfeind“ den Deutschen Fernsehpreis 2003 erhielt, hält einfach die Kamera drauf. Zum Beispiel bei einem Prozess in Kassel: Ein Ehepaar, Kleinanleger, klagt gegen Siekmann, der den Prozess, wie bisher alle, gewinnt. Bevor die Beteiligten in den Gerichtssaal gerufen werden, sitzen die beiden auf einer Bank und reden über Siekmann. Was für ein Schwein, Betrüger, Räuber! Die Kamera ist dabei, dreht dann weg und zeigt Schraps und Siekmann im Gang, in Hörnähe. Siekmann verdreht gequält die Augen. Eine andere Szene: Auf einer Messe steht Siekmann mit einigen seiner Marketingleute herum und sagt, dass jetzt jeder wieder stolz sein könne, der ein Biodata-Schild an der Brust habe. Die Kamera wandert die Marketingleute ab - keiner hat ein Schild.

Die Hoffnung eint den einstigen Chef und seine Mitarbeiter. Allerdings gab es auch keine Alternative Es ist also der 6. September, am 15. soll der Verkauf der GmbH bekannt gegeben werden. Siekmann will dann nur noch als Berater 20 Wochenstunden dabei sein. Er will was Neues aufmachen. „Nichts tun? Ist kein Lebensinhalt.“ Und er versichert glaubwürdig: Es ist ihm superwichtig, dass Biodata noch lebt, dass die Firma nicht untergegangen ist. Sie hat eine Zukunft, obwohl alle ein anderes Bild transportierten. Ich hab‘ es euch allen gezeigt, sagt er immer wieder, auch wenn er es nie so formuliert. Er wirkt beleidigt, kindlich beleidigt. Er will nicht als Verlierer dastehen. Klaus Stern, der zwei Jahre mit Siekmann verbracht hat, hält ihn allerdings nicht für eitel. „Das macht ihn so sympathisch. Als Filmemacher sucht man immer Privatfotos, Videos. Er hat nichts, das geht an ihm vorbei.“ Und er sei wohl auch nicht gierig: „Tan ist ein gutmütiger Typ. Wenn Geld da war, hat er es geteilt. Es gab 60 Firmenwagen bei 80 Mitarbeitern.“ Okay, jetzt bitte Ihre Story, Herr Siekmann, wie sehen Sie sich? „Die Story ist einfach; Ein visionärer Unternehmer geht an die Börse, von da an ist er nicht mehr allein. Das ist typisch für den Neuen Markt.“ Ab da zählt nur der Kurs. Viele reden rein, die Medien, die Analysten, die Anleger. „Es gab tausende von Einflussfaktoren. Und wir haben Fehler gemacht.“ Gut, dass er das sagt, sonst wäre das Bild zu selbstgefällig. „Wir hätten den Sirenen nicht folgen müssen.“ Das klingt vernünftig. Er sagt, heute wisse man mehr als damals, als man mittendrin war. Es war ein Sog, dem sich kaum jemand entziehen konnte. Bis der Neue Markt zusammenbrach. Dann kam die Insolvenz. Und weiter: “ Der Unternehmer besinnt sich auf alte Tugenden, fängt von vorne an, gegen alle Widerstände, setzt Steinchen auf Steinchen.“ Siekmann betont: „Am ersten Handelstag war Biodata eine Milliarde wert. Die Bewertung habe ich nicht erfunden. Die hat der Markt gemacht.“ Jetzt verkauft er die Firma. „Mein Job hier ist getan. Die 35 Arbeitsplätze werden erhalten. Gerade haben ein paar neue Azubis angefangen.“ Die drei Geschäftsfelder werden bestehen bleiben: Verschlüsselung für Handygespräche, Verschlüsselung von Datentransfers auf ISDN-Leitungen und Firewalls. „Ich dachte immer, das Thema Biodata muss vernünftig abgeschlossen werden, der Standard, die Mitarbeiter, das muss alles erhalten werden.“ Na gut, der Name werde verschwinden. Der Antrieb für seinen Willen, sagt er, ist der Film. Er wolle, dass am Ende des Films eine Tafel zu sehen sein wird, auf der steht: Biodata verkauft, Mitarbeiter haben ihre ausstehenden Gehälter bekommen. Jetzt steht da nämlich noch, dass fünf Gehälter fehlen.

Die Firma wurde nicht verkauft, sie ist im Insolvenzverfahren. Noch ein Telefonat mit einem ehemaligen Mitarbeiter: Das letzte Gehalt gab es im Februar. Es fehlen also sieben Gehälter und das Weihnachtsgeld des vergangenen Jahres. Vom Arbeitsamt gibt es drei Gehälter. Den Rest kann man im Insolvenzverfahren anmelden, aber da seien die Chancen gering. Die Firmengebäude sind mit Hypotheken belastet. Es seien gute Jobs bei Biodata gewesen, auch gut bezahlt, wenn mal bezahlt wurde. Und es sei nichts los gewesen auf dem Arbeitsmarkt. Die Hoffnung auf einen Erfolg sei die einzige Chance gewesen.

Am Freitagabend, etwa eine Woche nach dem Insolvenzantrag, klingelt das Telefon. „Hallo, ich bin es. Tan Siekmann, ich wollte Sie auf den neuesten Stand bringen. Vielleicht haben Sie es schon gehört?“ Ja, habe ich. „Ich habe Ihnen nichts vorgespielt.“ Der Australier habe Ja gesagt und dann nicht gewollt. Gab es den Vorvertrag? „Ja.“ Sind Sie naiv? „Es gab ein klares Ja.“ Und die fehlenden Gehälter der Mitarbeiter? Die bekommen Insolvenzausfallgeld, das heißt, das Arbeitsamt zahlt ihnen drei Monatsgehälter. „Einiges an Geld fällt da schon weg.“ Bei Ihnen auch? Sein Anteil an dem, was der Australier bezahlt hätte, wäre das Stammkapital seiner neuen Firma gewesen. „Dieses Geld fällt weg.“ Mehrmals sagt er „schade“, und ich sage es schließlich auch. Dann sagt er noch, dass er stolz darauf ist, drei Jahre mit Biodata überlebt zu haben. Und mit der Schlussklappe des Films, auf der Insolvenz stehen wird, müsse er wohl leben.