Herbert Volkmann – Polytox

Protokoll
unveröffentlicht
7. Januar 2006. Eine Erdgeschosswohnung in Berlin Charlottenburg. An den Wänden Fotos, Zeitschriftenausschnitte und angefangene Bilder. Es sind noch genau drei Wochen bis zu Herbert Volkmanns Ausstellung in der Berliner Galerie Volker Diehl, die erste seit dreieinhalb Jahren. Er trägt einen beigen Wollpullover und eine Hose aus schwarzer Kunstseide. Das volle Gesicht ziert ein dichter Schnäuzer und ein separater Kinnbart. Das Fenster steht trotz Kälte offen, Volkmann serviert Schwarztee und Russisch Brot.

Mir ging es in den letzten Jahren nicht besonders gut, ich hatte gesundheitliche Probleme, Suchtprobleme. Das ist auch thematisiert in manchen Bildern. Eine ziemlich lange Zeit ging das nicht und wurde allgemein abgelehnt, das hat sich aber geändert, seit ich mit den Drogen aufgehört habe. Man kann es eigentlich erst dann thematisieren, wenn man es nicht mehr nimmt, weil dann ein gewisser Abstand da ist und es auch risikoloser ist. Es kann ja sein, dass irgendwelche Leute der Ansicht sind, dass ich es verherrliche, und mich auf dem Kieker haben.

Heroin, Kokain, Alkohol, Methadon, Ecstasy, alles – ich war schon immer jemand, der auf jeden Scheiß abfährt. Jetzt ist es vorbei, jedenfalls erstmal vorbei, denn ich hatte immer wieder längere Phasen, wo ich nüchtern gelebt hab.

Als 16-Jähriger habe ich die Berliner Tinke gespritzt, das war so ein Opium, das aufgekocht wurde – besonders unreiner Dreck. Ich hab dementsprechend auch Gelbsucht bekommen. Oder in den Apotheken hatten sie noch die Morphiumampullen, da gab es viel Apothekeneinbrüche, und man konnte die kaufen. Das ist so richtig hartes Zeug, du fliegst wirklich weg. Da kannst du das andere alles gegen vergessen.

Das war der übliche Gang damals: erst leichte Drogen, Halluzinogene, und dann gabs Opium zum Rauchen, dann zum Spritzen. Dann merkte man, dass ein Schuss viel besser ist als alles andere, ein tolles Körpergefühl, es ist sehr orgiastisch. Dann wurde nur noch gespritzt, ab und zu mal ein Trip geworfen. Wir haben LSD genommen, und nach ein paar Stunden, wenn wir die Schnauze voll hatten, haben wir uns runtergefixt. So ein Schuss auf einen Trip ist keine schlechte Sache. Nur du kannst es nicht selber machen.

Dann habe ich aber aufgehört und habe Kunst studiert. Dann war ein paar Jahre Ruhe, ich habe noch ein bisschen gekifft. Dann kam Alkohol dazu, das ist eigentlich auch eine Mischung, die gar nicht so schlecht war. Haben die meisten gemacht. Das ging eine ganze Zeit so.

Dann fing ich an, im Fruchtgroßhandel meines Vaters zu arbeiten, der Alkohol wurde stärker, und dann kam Kokain dazu. Dann viel Kokain, eigentlich täglich. Kokain in größeren Mengen gibt es in Deutschland ja erst seit den 80er Jahren, und es ist ein teures Vergnügen, das kostet ein paar Mark.

Alkohol und Kokain ist so eine Mischung, wo die Psychose programmiert ist. Viele Discjockeys, die sich das Zeug reinziehen – bei Ecstasy ist es ähnlich – und dazu Alkohol trinken, müssen dann auch mal in die Psychiatrie für ein, zwei Wochen. Das kann schon ziemlich komisch werden. Erstmal trinkst du viel mehr, weil du auch mehr verträgst, und die Nachwirkungen vom Alkohol und vom Kokain ergänzen sich wunderbar. Da hast du so ein richtig schönes Ding weg. Du traust dich kaum noch aus dem Zimmer raus – oder aus dem Bett. Und ich war dann noch Beruhigungstabletten-süchtig: Tavil, das ist ein ziemlich starkes Antidepressivum. Dann hatte ich so ein schönes rundes Paket, eine Kokainpsychose mit Alkoholdelirien gemischt, und das hat mich, als ich 35 war, in die Psychiatrie befördert. Da konnte ich gar nicht mehr laufen. Ich war monatelang in der Psychiatrie und habe dann sieben Jahre nüchtern gelebt.

1999 hatte meine Mutter Krebs und bekam Morphium. Sie kriegte so Tabletten oder Kristalle, die habe ich gleich mitgenommen. Sie kam ins Krankenhaus, damit war mein Weg versperrt, und ich fing wieder an, mir Sachen zu holen. Das ist ja heutzutage absolut keine Schwierigkeit. Fast jeder U-Bahnhof in Berlin ist inzwischen mit Dealern besetzt, jedenfalls was Heroin betrifft. Und es koscht auch nüscht. Ein Schuss oder eine Kugel kostet einen Zehner, und das ist zum Teil ziemlich gutes Zeug.

Ich hab Kokain und Heroin geschnupft. Das Heroin ist stärker, aber das Highgefühl kommt schneller hoch und hält länger an, das Kokain zieht das in die Länge. Wenn schon, dann so. Mit den beiden einzeln kann ich nicht viel anfangen. Kokain macht mich zu hibbelig, da wirst du so nervös, und Heroin macht mich müde. Die Mischung ist eigentlich schon ganz gut. Bloß beim Spritzen, da wirds gefährlich, da bist du ganz schnell weg vom Fenster oder hast zumindest einen Kreislaufkollaps. Ich habs auch gespritzt, aber nicht sehr lang, ein halbes Jahr vielleicht, weil ich ganz schlechte Venen habe, von früher noch. Es ging viel zu viel daneben, dann hast du Schmerzen und Abszesse, das bringts nicht. Ich krieg auch überhaupt nur einen Flash, wenn ich in die Arme drücke. Wenn ich in die Beine schieße, das dauert viel zu lange, bis das ankommt, und ich brauch wahnsinnig viel.

Teilweise hab ich noch dazu getrunken. Die Zeiten gab es auch, wo ich alles durcheinander hatte. Das hat sich irgendwann natürlich auch aufgrund der gesundheitlichen Problematik – es ging mir manchmal sehr schlecht – und weil es auch arbeitsmäßig nicht weiterging, reduziert. Und irgendwann hat es sich dann voll reduziert, nur Methadon krieg ich noch.

Ich bin schon lange im Programm, seit sechs, sieben Jahren. Aber selbst wenn du das Methadon nicht mehr brauchst, sollst du noch eine Minimenge nehmen, weil es sehr schwer ist, in das Programm wieder reinzukommen. Ich nehm so um die fünf, sechs Milligramm, mit der Menge komme ich ganz gut klar – ich merke davon nichts. Ich merke höchstens, wenn ich es nicht nehme. Du kriegst von dem Zeug keinen Rausch, aber es drückt das Verlangen runter und vor allem, wenn du etwas nimmst, dann wirkt es nicht mehr so und du kriegst auch keinen Entzug.

Der Arzt ist nicht weit von hier, zwanzig Minuten brauch ich zu Fuß. Ich gehe manchmal jeden Tag, manchmal dreimal die Woche – so wie ich Zeit habe. Meist geh ich vormittags hin, hols mir und quatsch mit dem ein bisschen. Mit dem Arzt bin ich ziemlich befreundet, der kommt hier auch immer und guckt sich meine Kunst an. Ich meine, mir gehts auch manchmal nicht so gut, du hast dies und jenes.

Ich war in den letzten sechs, sieben Jahren fast jedes Jahr ein- bis zweimal im Krankenhaus, hab auch fast jedes Jahr eine Entziehungskur gemacht, entweder von Alk oder von Drogen oder von beidem. Ich habe viele Therapien gemacht, viele. Ich hab alles, was es gibt, durch. Es ist schwer rauszukriegen, warum und weshalb. Gut, ich bin familiär sehr vorbelastet. In der Familie meines Vaters haben alle gesoffen. Das waren mehr Gesellschaftstrinker, aber die finden immer einen Anlass. Gesangsverein und diese ganze Spielerchen. Mein Großvater hat ganz schön getankt, hat aber immer gut gegessen und ist 82 geworden. Mein Onkel mütterlichseits hat hundert Lucky Strike am Tag geraucht. Der hat beim Mittagessen geraucht. Ich kann mich nicht erinnern, den Mann jemals in meinem Leben ohne Zigarette gesehen zu haben. Wenn der mit dem Auto von Berlin nach München gefahren ist, musste jede Stunde der Aschenbecher ausgeleert werden.

Meine Eltern beide nicht. Meine Mutter ein bisschen vielleicht, aber so nicht. Mein Vater überhaupt nicht. Der trinkt gerne mal einen, aber völlig in Maßen. Es ist ja oft so, dass eine Generation übersprungen wird. Der hat das ja bei seinem Vater mitgekriegt, was läuft oder vielmehr nicht läuft.

Bei mir ist es so, dass ich voll in diese Hippie-Drogen-Geschichte reingewachsen bin. Ich war in der ersten Berliner Therapiegruppe für Suchtkranke in der Nussbaumallee. Das übliche Pop-Programm. Konzerte – Stones, Beatles, Jimi Hendrix. Ich hab einen Partyraum im Keller komplett mit Styropor ausgeklebt und das alles bemalt mit fluoreszierenden Farben, da war ich 14.

Ich bin sehr halluzinativ veranlagt. Ich hatte schon im Alter von vier bis sechs Jahren diese Kinderhalluzinationen. Morgens im abgedunkelten Zimmer flogen Massen von Kleinlebewesen und Blumen um mich rum. Das war überhaupt nicht beunruhigend, das war toll, ich konnte das so richtig erzeugen. Ich habe es teilweise auch sehr bewusst gemacht, dass ich, nicht unbedingt im Rausch, aber danach, wenn es wieder runtergeht, – zwar angstgefüllt und horrormäßig – schon recht merkwürdige Dinge erlebe oder sehe. Als junger Mensch habe ich sehr viel LSD genommen und kann ein bisschen damit umgehen, kann zumindest unterscheiden zwischen real und irreal. Das ist nicht immer so, es gibt auch Leute, die reden dann mit imaginären Wesen und merken es nicht. Beispiel Harald Juhnke. Da wird es dann ganz herb.

Es fängt ganz langsam an, meist mit Träumen. Ich steh am Strand, dann kommt irgendwas aus dem Wasser hoch, steigt hoch, riesig groß, extrem künstlich farbig. Und dann knallts auch schon, ich werd wach, schweißgebadet. Wenn man dann nicht aufhört, gehts weiter, das entwickelt sich, und die Realität fängt an sich zu verwandeln.

Meist sind es so kleinere Geschichten. Man hat das Gefühl, da kriecht etwas lang, da ist aber nichts. Bei Kokain gibt es die Spinnenhalluzinationen, überall sind Spinnen. Bei allen Aufputschdrogen gibt es diese Punktsachen, dass du das Gefühl hast, irgendwelche Tiere kriechen auf deiner Haut rum. Beim Alkohol waren es manchmal so ganz kurze Sachen, dass man das Gefühl hat, da läuft ein Hund lang. Wenn ich Auto gefahren bin, habe ich immer Unfälle gesehen – meist in einer gewissen Entfernung. Es kann sich aber steigern. Es kriegt alles so eine merkwürdige eigene Identität und wird viel intensiver. Alles wird wesenhaft, eine Tasse ist wie ein Wesen. Alle Menschen sehen aus wie Tiere. Du versuchst dich dann möglichst bei Leuten aufzuhalten, die du sehr gut kennst. Da sind die Veränderungen am geringsten. Je entfernter sie dir sind, desto stärker wirds. Das ist etwas, wenn ich das jetzt will, krieg ich das auch noch hin. Ich kriege einen anderen Blick, aber der ist nicht beängstigend.

Das Wort dafür ist Entfremdungssehen. Das war auch schon früher ein Problem beim Malen. Wenn ich Menschen gemalt habe, sind immer Tiergesichter dabei herausgekommen, das hat mich irrsinnig geärgert. Bei Rembrandt kannst du es auch teilweise feststellen. Das ist der Saharablick – im Deleuzebuch über Francis Bacon gibt es ein ganzes Kapitel zu dem Thema: Wenn du etwas sehr lange anguckst, verschieben sich die Dimensionen. Dann sehe ich dein Gesicht wie ein Landschaft. Ich habe das Gefühl, ich bin viel kleiner und du bist viel größer. Das kann man beim Malen umsetzen, aber das passiert auch mal. Dann wird es so punktuell. Da werden alle möglichen Punkte gesucht und in eine Beziehung gesetzt, und das Ganze kriegt so eine Tiefe. Die Gesichter wirken überräumlich, und wegen der räumlichen Verschiebungen kommt auch dieser tierische Aspekt.

Man hat ein bisschen das Gefühl, man könnte bei jedem sehen, wo er herkommt. Es gibt ja Menschen, die sehen aus wie Hunde, ich habe auch ein Hundegesicht. Aber das ist noch anders. Manchmal ist das ein Tier, das es tatsächlich gibt, aber an sich ist es noch was völlig anderes, man kann es nicht beschreiben. Du kannst auch nicht beschreiben, wie du ein Tasse als ein Wesen siehst, das lebt. Gut, wir können den Comicaspekt nehmen: verzerrt, verbogen oder irgendwo ein komisches Auge. Aber es ist anders.

Es wurde dann immer schlimmer und auch bei geringen Mengen ging es schon los: Alles schwirrt um mich rum, und ich hab vor allem sehr starke Krämpfe, Entzugskrämpfe. Und bei jemanden, der so viel Scheiß durcheinandernimmt und das auch über lange Zeit gemacht hat, vermischt sich alles. Ich konnte manchmal gar nicht unterscheiden, ob ich nun betrunken war oder was anderes, das war immer das gleiche.

Die Hände verziehen sich, die Beine, das ist ziemlich unangenehm. Ich glaube, dass es sehr stark mit dem Körper zusammenhängt, durch die ständige Zitterei und die Krämpfe fängt die Realität an sich zu verzerren. Man ist emotional total durch den Wind: Ich steh nachts auf der Straße, guck in den Himmel und fang an zu heulen, weil das alles so merkwürdig nah wird. Sehr trippig. Die Abwehr ist dann nachher, dass man davon emotional nicht mehr beeindruckt ist. Man sagt: Das ist halt so, na und? Ist ja nur dein Bewusstsein. – In dem Moment verlieren die Sachen sich auch.

Das ging über anderthalb Jahre. Sie haben mich mit Haldol – das ist ein bekanntes Mittel dagegen – vollgestopft. Aber ich habe immer wieder weitergemacht. Bis ich dann auch nicht mehr arbeiten konnte. Ich konnte auch nicht mehr schlafen. Ich hatte nur noch diesen Kurzschlaf: Du schläfst fünf Minuten und wirst wieder wach. Schläft fünf Minuten und wirst wieder wach. Hast ständig solche Träume, und die werden noch verzerrter. Fallträume, Angriffsträume, vom Hai gefressen. Ich musste nicht ins Kino gehen, ich hatte volles Programm.

Irgendwann ging es halt nicht mehr, dann musste ich in die Psychiatrie. Die haben das erstmal so gut wie gar nicht behandelt, eigentlich nur mit ein bisschen Beruhigungsmitteln, und nach sechs Wochen wurde es langsam weniger und nach drei Monaten war ich wieder einigermaßen okay. Dann war ich sieben Jahre nüchtern.

Als ich Mitte der 90er wieder anfing zu malen, habe ich noch keine Drogen genommen. Aber nach dem Tod meiner Mutter war ich voll drauf. Ich konnte wunderbar arbeiten, nächtelang, manchmal 12, 15 Stunden, kein Problem. Das blieb natürlich nicht lange so, weil ein gewisser körperlicher Verfall eintritt. Die Kondition lässt nach, und dann kam auch Alkohol in größeren Mengen dazu.

Schon als ich 15, 16 war, hab ich, wenn ich unter Einfluss von irgendwelchen Halluzigenen stand, meistens nur gezeichnet. Erst durch Dali beeinflusst und dann kam relativ früh Francis Bacon. Für halluzinogene Drogen gibt es in der Malerei wenig Beispiele, das ist einfach auch zu stark. In 95 Prozent der Fälle geht es nicht gut aus. Pollock, De Kooning, Wols sind alles reine Alkohol-Leute. Aber Wols, wenn du die Interviews liest, wie der aus ner Mauerspalte die Weltvision rausholt, die Interviews sind irre gut. Nun ist es so, dass vieles auch nicht ausgesprochen wird. Bacon haben sie mal wegen Haschischbesitz rangekriegt, das wurde ja früher ganz anders geahndet als heute, und Max Ernst hat wahrscheinlich auch so seine Erfahrungen gemacht.

Mit Beginn meines Studiums kam Aktzeichnen, es wurde alles in eine professionellere Bahn gelenkt, und ich war dann sehr am Gegenstand orientiert. Ich hab in meiner Studienzeit nur realiter gemalt. Später, bei meinen Performances, bin ich von Bildern ausgehend in die Realität gegangen. Leute liegen auf der Straße in Metallgestellen – die Gestelle kommen aus den Bildern von Bacon. Die Engländer haben das nachher in den 90ern auch gemacht, zum Beispiel Damien Hirsts zerschnittene Kühe kommen von den zerschnittenen Stieren in Bacons Bildern, oder das Setzei an der Schnur bei Sarah Lucas kommt aus dem Dali-Bild. Davon bin ich dann wieder zurück in die Malerei. In dem Bild Die Zahnfee bin ich vom Kubismus zum Kannibalismus gegangen, so ein bisschen splattermäßig. Habe also versucht, bestimmte Dinge der Bildschnittechnik realiter mir vorzustellen und dann zu malen.

Nach 2001 habe ich nur noch sporadisch auf Heroin gemalt. Ich hab dann noch Wodka mit Red Bull getrunken, da kriegste einen ziemlichen Kick, weil das Zeug schneller ins Blut kommt und gleichzeitig wirst du nicht so schnell voll. Aber irgendwann ging es auch nicht mehr. Du brauchst nach dem Aufwachen schon eine halbe Flasche Wodka, um erstmal ruhig zu werden. Und dann wird praktisch nur gesoffen: eine Flasche Wodka vormittags, eine zweite nachmittags, die dritte abends. Die Kontrollmöglichkeiten sind äußerst eingeschränkt. Kannst ja kaum noch den Pinsel halten. Außerdem kotzt du ständig, du hast ständig Magenkrämpfe. Du isst nur noch sehr wenig, da kommt in erster Linie nur Magenschleim raus, manchmal kommt gar nichts raus, das ist besonders unangenehm. Es riecht alles nach Alkohol, dein Urin riecht nach Alkohol. So richtig besoffen bist du nicht mehr, es ist irgendwie anders.

Es gibt ja so Alkis, die auf Tempo gehen. Die können nicht mehr aufhören, hauen sich auf Ex ne Pulle rein und kippen natürlich auch um. Meine Tante ist so jemand, inzwischen ist sie auch clean. Ich bin eigentlich bemüht, langsam zu trinken. Aber dann verschätzt du dich natürlich manchmal in den Mengen. Dann knall ich irgendwo gegen oder kippe um, passiert auch immer wieder mal. Es ist schon scheiße. Die Psychose hab ich jetzt nicht so gehabt, jetzt war es nur ein Beginn von Alkoholdelirien, die ich irgendwann gestoppt habe. Der Maximilian Selg, ein ganz junger Künstler, 21, der öfters mal vorbeikommt und mir hilft, der hat mich mal auf der Kantstraße getroffen, da habe ich mich verfolgt gefühlt von irgendwelchen Leuten, bin immer die Kantstraße rauf- und runtergerannt. Oder wir waren zusammen irgendwo, und ich habe mich eine halbe Stunde mit jemandem unterhalten, der gar nicht da war.

Schon vor anderthalb Jahren war klar, dass das so nicht mehr geht. Dann ging das immer so hin und her, hin und her. Ich habe in der Beziehung immer Glück gehabt, dass es zwar bis zu einer gewissen Grenze ging, aber dass ich, bevor es extrem körperschädigend wurde, noch den Absprung gekriegt habe. Ich hab eh einen Leberschaden und war so fertig, es war klar: entweder aufhören oder Krankenhaus. Nicht die Leber, das Gefährlichste ist die Bauchspeicheldrüse. Wenn die explodiert, darfst du nicht einen Schluck mehr trinken. Das ist ähnlich wie beim Bauchspeicheldrüsenkrebs, daran ist ja meine Mutter auch gestorben.

Ich hab glücklicherweise eine ziemlich gute Konstitution, erhol mich relativ schnell. Auch jetzt durch den Galeristen, der hinterher ist. Die Sache mit dem Volker Diehl ist für mich ein Glücksfall, weil der Mann sehr ausgeglichen und ruhig ist, verstandesorientiert – chaotisch bin ich alleine. Der kommt jeden zweiten Tag vorbei, ist gut drauf und kennt sich – nicht aus eigener Erfahrung – auch aus mit solchen Problemen. Daraufhin hat sich das alles besser entwickelt. Ich bin in die Nüchternheit zurückgekehrt und da auch geblieben.

Ich möchte noch ein bisschen was in die Welt setzen, und das geht halt nur so. Ich fang auch an, aufgrund meines Alters manchmal eine gewisse Ruhe zu schätzen. Das ist normal, wenn du 30, 35 Jahre so gelebt hast wie ich, mit allen Aufs und Abs, viel Geld gehabt, kein Geld gehabt, viel Geld gehabt, kein Geld gehabt – ich hab ja nicht nur gesammelt, sondern davor und währenddessen auch an der Börse spekuliert, Roulette rumgezockt. Ich hab mich immer für son Scheiß begeistert, alles, was einen irgendwie angetickt hat. Ist wie ein Hunger.

Es gab immer einen gewissen Kreis von Bekannten, die das mitkriegten, und es waren eine Menge Leute heilfroh, als ich in der Klinik war. Ich war von 27 bis 34, 35 mit einer Italienerin liiert. Sie studierte hier, und ich bin im Urlaub immer nach Italien gefahren, das ging aber, auch aufgrund von meinen Drogengeschichten, kurz vor der Psychose auseinander. Das war mein engstes, festestes Verhältnis. Da und dort mal ein bisschen, aber richtig lange, feste Sachen und Zusammenleben habe ich auch nie gewollt. So schon mit Leuten mal ein bisschen dieses und jenes, aber so permanent, weiß ich nicht, ob das geht. Ist auch nicht so einfach mit mir.

Ich bin auch eher jemand, der das Zeug alleine nimmt. Diese Gemeinschaftsdinger habe ich schon seit 20, 25 nicht mehr so gemacht. Wenn ich jetzt mit jemandem am Tisch sitze und es wird getrunken, das stört mich überhaupt nicht.

Inzwischen kann ich nüchtern auch besser arbeiten. Es hat auch mit Training zu tun – wenn du es jeden Tag machst. Das Problem ist ja weniger, dass ich was nicht hinkriege, das Problem ist mehr, dass ich an der Komposition so lange rumfummele. Das heisst, ich mach was und komme immer näher an die Sache ran, indem ich Figuren ersetze. Und dann weiß ich nicht mehr so richtig, war vielleicht auch schon zu lange dran. Was jedoch anders ist als früher: dass ich dann das Thema nicht mehr komplett wechsle.

Je länger ich nüchtern bin, desto besser wirds, und damit sind die Parameter gesetzt. Ich versuche, besser zu werden, aber gleich voll in die Produktion. Ich habe mir oben im Haus noch eine Wohnung dazu genommen, damit ich an zwei oder drei großen Bildern gleichzeitig arbeiten kann.

Der Markt will ja immer große Bilder haben, obwohl das natürlich Grenzen hat. Wenn es Sinn macht, ist es ja okay. Ich will zum Beispiel ein Schwanenfest malen, wo Schwäne gegessen werden – Schwäne isst man nicht –, und gleichzeitig gibt es Sex mit Schwänen. Es gibt ja in der Kunstgeschichte sehr viele Beispiele dafür. Alles an einem großen Tisch. Da kann man viel mit machen, die Viecher können rumfliegen. Oder unten die gebratene Gans und oben lässt du den Hals noch dran.

Im Bild Queensharking geht es um eine Fischmaschine, die Fische oder Fischmutationen erzeugt. Das hab ich mal geträumt: Ich war im Zoo, hab komische Sachen gesehen, und dann kam ein Wärter und sagte, ich müsste um die Ecke gehen, da sei erst richtig was los. Da war ein großes Aquarium, und in der Mitte war so ein komisches Ding, halb Tier, halb Maschine, das sich irrsinnig schnell drehte. So eine gewisse Perfektion, etwas pervertiert Wissenschaftliches kann ruhig reinkommen. Für eine Figur benutze ich das Foto eines Perlentauchers. Weil das Wasser so kalt ist, hat er sich eine Maske aufgesetzt und einen Bademantel an. Den Hammerhai baue ich mit dem Pietà-Teil von Michelangelo zusammen. Die ausgefahrenen Geschlechtsteile von einem Hai – der hat einen Doppelpenis, den kann er zusammenklappen – kommen auch wahrscheinlich noch rein. Dann, wenn das weiter ausgemalt ist, muss das Glas davor definiert werden, es soll ein Aquarium sein. Dann sollen noch viele kleine Viecher rumschwimmen, die werfen auch noch Schatten, und dadurch wird das Ganze viel räumlicher.

Ich habe mich viel mit Meeresdingen beschäftigt. Es ist auch malerisch sehr interessant, weil du eine Menge machen kannst, du malst ja schon mit was Flüssigem. Ein anderes Wasserbild: Eine Frau kommt mit einem Delphin aus dem Wasser hoch, es spritzt ziemlich. Davor liegt eine Frau auf einer Luftmatratze, die runtersinkt. Dahinter ist ein Wagen, der ins Wasser gefallen ist, und auf den Delphin wird geschossen. Man sieht den Schützen von hinten.

In The Flying Buffalo Bill Guitar lasse ich Mensch und Gitarre zu etwas Größerem zusammenwachsen, auch mit Tieren drin. Es gibt von Dali diese Harfen, die an den Körpern der Spieler angewachsen sind, aus deren Knochen kommen, das hat mich auf die Idee gebracht, eine Körpergitarre zu malen. Eine andere Gitarre steht schräg dazu wie eine eigene biologische Existenz.

In Hunter in the Miniatüre, ein Drogenbild, sieht man das Pulver auf einem Spiegel liegen und viele Geldscheine, alte D-Mark. Ich war damals voll drauf, hab das als Stillleben arrangiert, so Spielerchen gemacht und die fotografiert. Und dann sind da Spinnen. Eine schwarze Spinne, leicht vermenschlicht im Gesicht, und eine zweite dahinter, die fast sowas wie einen Totenkopfschädel hat. Und dann gibt es noch eine menschliche Figur, aber stark verkleinert. Das ist ein Spinnenjäger, der da hinterher ballert. Und ganz links aussen ist noch ein Kopf, eine Mutation zwischen allem Möglichen, der guckt da so hin. Es ist schon ziemlich verrückt. Dazu gibt es eine Erklärung: Die erste Spinne ist meine Mutter, die zweite ist mein Vater, der Jäger bin ich und links außen ist Gott. Das hat den Leuten immer gut gefallen.

Die Insekten haben viel mit den Drogen zu tun. Es gibt erst einmal die Verbindung, dass Insekten auf Opiate reagieren. Die nehmen die auch. Es gibt so verrückte Geschichten, wo die im Kreis rumsitzen, wenn Mohnernten sind. Vor meiner alten Wohnung in der Württemberger Allee standen Bäume und in denen waren jede Menge Viecher. Ich war nachts meist wach, hab gemalt und hab das Zeug immer im Badezimmer genommen. Das lag da auf einem Spiegel, und dann sind die in das Badezimmer gekommen und fingen an, sich an dem Zeug zu vergreifen. Die verfallen meist in eine Starre, manchmal 24 Stunden, man denkt, sie sind tot, und dann sind sie auf einmal wieder weg. Ich hab das auch fotografiert, die süchtigen Motten, aber das Material ist äußerst schwierig.

Dann gibt es auch diese Kokainphobie, dass man immer denkt, hier laufen irgendwelche kleinen Viecher auf dem Körper. Oder man sieht auch welche. Man sieht beim Kokainentzug viel Spinnen. Zu Insekten und Opiaten gibt es auch einen Text von Polke. Bei Burroughs in Junk und Naked Lunch diese merkwürdigen Insektenphantasien.

Wenn da auf einmal Miniaturwesen auftauchen, das gibt es auch bei Hieronymous Bosch sehr stark und ist teilweise sehr gut gemacht. Das ist die Sache, die mich in letzter Zeit beeinflusst, dass ich anfange, im deutschen oder holländischen Mittelalter, vorwiegend Cranach und Bosch, ein bisschen rumzusuchen und die Dinge dann zu übersetzen.

Bei Bosch ist ganz interessant, dass er Mensch, Maschine und Tier zu einem Ding zusammenbaut. Er hat solche merkwürdigen Wesen in seinen Bildern, das sind eigentlich Tiere in Panzerrüstungen, richtige Maschinen sinds nicht, nur manchmal haben sie Räder. Ich habe ein Meeresbild gemalt mit einem Auto unter Wasser und darüber schwimmt ne Qualle, das hat den Titel Die Tiere haben sich die Menschen erträumt und die Menschen haben die Tiere vergessen, und die Menschen haben sich die Maschinen erträumt, und die Maschinen werden die Menschen vergessen. Zumindest als modernes Märchen wird das im Science Fiction, Comic Strip, Film ja permanent erzählt.

Bosch ist auch der einzige Maler seiner Zeit, der den Antichristen gemalt hat. Bei Jesaja gibt es ja die Prophezeiung, es werden zwei Kinder geboren – eins von einer Hure. Bei der Anbetung der Heiligen Drei Könige steht der im Hintergrund. Der hat so eine merkwürdige Haube mit Dornen aussenrum. Die gleiche Haube gibt es für eine Figur aus dem mohammedanischen Glauben. Obenauf ist ein Glas, da ist nochmal eine Pflanze drin. Meine Ausstellung heißt jetzt auch nach dem Lutherwort für den Antichristen – was nicht ausgesprochen wird in der Kirche: Raubebald und Eilebeute.

In einer Vorlesung wurde gesagt – ich war nicht dabei, mir hat es jemand erzählt, und das hat mich mächtig angeheizt –, dass das, was in Boschs Bildern zu sehen ist, zum Teil wirklich passiert ist. Das heißt, die haben früher lebende oder tote Menschen mit lebenden oder toten Tieren zusammengenäht. Die haben auch lebende Menschen in Schweine reingenäht. Es gab die Inquisition, es gab aber auch jede Menge Sekten, die außerhalb der Städte im Wald gelebt haben. Es gab schon ziemlich ausgeflippte Sachen. Und Bosch hat da einiges bedient.

Auch diese merkwürdig direkten Übersetzungen, die im Grunde ein Sprachersatz sind, die meisten Leute konnten ja zu der Zeit gar nicht lesen. Was mich interessiert: ob man darstellen kann, was die Figuren im Bild denken. Bei Bosch gibt es so optische Meditationstafeln. Da gibt es den Heiligen Antonius und Jesus, der aus dem Baum wächst, und dann auf einer leicht transparenten Tafel irgendwas Dionysisches, irgendeine archaische Figur mit einem Einhorn. Wies gemacht ist, wies im Raum steht, das finde ich ganz gut.

Ich versuche, die naturalistische Malerei einerseits gegen andererseits etwas nicht Abstraktes, aber Assoziations-Offenes zu stellen. Ich bin der Meinung, dass wenn man gegenständlich malt, man auf ein Level kommen muss, wo man mit den elektronischen Medien mithalten kann. Bacon konnte zu seiner Zeit locker mit den vorhandenen Science Fictions oder Horrorfilmen mithalten. Das heißt nicht, dass man das alles übernimmt oder versucht nachzumachen, sondern nur, dass man versucht, zu dem, was da passiert, eine Stellung zu beziehen.

Ich benutze Fotos, aber mal sie ab, ich versuch das nicht fototechnisch draufzubringen oder mit einem Projektor raufzuwerfen. Das ist für mich das Problem vieler Sachen, die heute gemalt werden, dass sie aussehen wie Kollagen, es wird nur zusammengesetzt. Das ist die Sache mit dem biologischen Film: Der direkteste Kontakt zu deinen inneren Bildern geht über deine Hände.