Feiern mit Hinz und Kunz

von 
Essay
zuerst erschienen im November 1997 im jetzt-Magazin

Neuerdings scheint es immer mehr richtige Frauen zu geben. Sie heißen Sonja oder Claudia und studieren fast immer Biologie. Richtige Frauen machen auch unglaublich viel Sport, lesen gute Bücher und gehen nur selten aus. Dafür schmeißen sie regelmäßig sogenannte Partys, auf denen man dann aber nicht einfach nur zusammenkommt und trinkt und lacht, sondern vor allem kommuniziert. Richtige Frauen sind nämlich der Meinung, daß wir zu alt sind, um einfach nur zu trinken und zu lachen. Nein, auf ihren Parties muß etwas passieren.

Zuerst gibt es immer reichlich zu essen, denn Sonjas oder Claudias besitzen alle Kochbücher dieser Welt. Dann drehen sie ihren Küchenkassettenrekorder lauter, und jeder Gast bekommt einen Zettel auf den Rücken gesteckt. Das ist eher unangenehm. Aber niemand darf sich ausschließen. Auf dem Zettel ist ein Name geschrieben, und man soll jetzt diese Person darstellen, muß aber erst mal durch Fragen an die Mitstreiter erfahren, wer man denn nun eigentlich sei. Deshalb drehen sich bald viele lustige Menschen unentwegt pirouettenartig in der Küche herum, und es zeigt sich, daß weder Männer noch Frauen sich vor anderen Männern und Frauen drehen wollen. Manche Spielverderber schauen im Bad angestrengt in den Spiegel, um zu entziffern, wer sie denn verdammt noch mal sein sollen. Was die Gastgeberin ziemlich sauer macht.

In der Küche hat jemand „R2-D2” auf dem Rücken. Eine andere Frau heißt „Peggy Bundy”, was für sie ein gewisses Rateproblem darstellt, weil sie selten fernsieht. R2-D2 fragt gequält, ob er Mann oder Frau sei. Das ist nicht einfach zu beantworten. Sobald Sonja dann aber im Nebenzimmer ist, reden wir sowieso wieder das Übliche. Warum sie zum Beispiel keinen Freund hat und statt dessen solche Spiele macht. Das ist natürlich viel interessanter, aber leider kommen Sonjas immer genau in diesen Momenten zurück, und dann reden wir über „Kolumbus”. Das steht bei mir auf dem Rücken. Ich weiß das, weil ich mit R2-D2 einen Pakt geschlossen habe und wir uns einfach gegenseitig zuflüstern, was auf unseren Rücken steht. Heimlich natürlich, denn wenn Sonja das erfährt, gibt es Riesenärger. Richtige Frauen verstehen da überhaupt keinen Spaß.

Eine junge Kindergärtnerin, die im Flur steht, hat ein Oasis-T-Shirt an, und ein bärtiger Informatikstudent fragt sie tatsächlich ungelogen, ob das so was wie Nike sei. Sonja macht derweil böse Augen, weil die beiden nicht mehr nach ihren Rückennamen suchen, und deshalb fragt das Oasis-Mädchen, ob sie Männchen oder Weibchen sei. Sie ist „Hinz”, wie man auf ihrem Rücken lesen kann, und muß also auch noch „Kunz” suchen. Das ist die zusätzliche Abenteuervariante des Spiels, daß jeder nach einen Partner Ausschau halten muß. Der Informatikstudent kreist das Aufgabenfeld gleich professionell ein. Er fragt tatsächlich logisch und zielstrebig nach seinem Rücken und schafft „Verknüpfungen”. Daß sein flauschiges Holzfällerhemd gerade hinten durch die Sicherheitsnadel zerstört wird, kriegt er im Eifer des Gefechts nicht mit. Aber egal. Wenn die Gastgeberin in der Nähe steht, müssen wir alle lustig sein und unseren richtigen Namen suchen, und wenn sie dann wieder weg ist, kratzen wir uns unschlüssig am Kinn.

„Hallo, Hinz”, sage ich zu der Kindergärtnerin, weil mir ihr richtiger Name nicht mehr einfällt. „Hallo, Kolumbus”, antwortet sie, weil sie meinen richtigen Namen überhaupt nicht kennt. Wir schmunzeln selbstverständlich beide nicht. Das ist schließlich eine ernste Angelegenheit. Und der Informatikstudent, der gerade Sonjas CD-Ständer untersucht, findet eine Oasis-CD und ruft in die Runde: „Seit wann machen Turnschuhfirmen eigentlich Platten?”