Rustam Tariko

Portrait
zuerst erschienen 2007 in Five to Nine

Zu den Errungenschaften des frühen 21. Jahrhunderts gehört die Rückkehr der Nicht-Amerikanischen Milliardäre – heute erfährt man nebst den nach wie vor märchenhaft reichen Ölscheichs endlich auch etwas von indischen Stahlmagnaten, aus der skandinavischen Einzelhandelsaristokratie und, stets etwas zwiespältig rezipiert, von den kolossal reichen Russen.  

Allein daß sie alle Nouveaux Riches sind, läßt die Russen so pikant erscheinen. Man delektiert sich ebenso genüßlich an ihren obszönen Guthaben wie an dem damit einhergehenden und ebenso obszön verschwenderischen Lebensstil. In Puncto Lifestyle scheinen die Russen unterhaltsamerweise noch Old School – das weitgehend schneefreie Frühjahr in St. Moritz haben die Russen blendend gelaunt aussitzen können, seit es in Badrutt’s Palace eine Filiale der Sushi-Kette Nobu gibt - während ein auch noch um so vieles reicherer Bill Gates hinter den Zedernschindeln seines Hightech-Hauses verschanzt eben wirklich so wild und gefährlich lebt, wie es sein Brillengestell verspricht. Daß reiche Russen sich sehr beeilen wollen, um so westlich wie irgend möglich zu erscheinen, trägt zu der Faszination bei: Man kann sich ja selbst nicht mehr gescheit erinnern, wie das war, als einen der Konsum so ganz allmählich verdarb, und die Ex-DDR-Bürger, seien wir doch ganz ehrlich: von denen hat es doch bislang keiner zu etwas gebracht. Was an den reichen Russen zudem reizt, ist die Frisson einer vermuteten Unrechtmäßigkeit beim Erwerb ihrer Reichtümer. Russland plus reich: das klingt nach Korruption, nach Schmuggel, Erpressung und anderen Druckmitteln. Daß ein Gasmilliardär wie Michail Chodorkowski plötzlich für viele Jahre nach Sibirien muß, erstaunt doch ebensowenig wie Abramowitschs Kauf eines englischen Fußballvereines. Mit dem Begriff des „Oligarchen“, auch das ein Signum des 21. Jahrhunderts, kommt nach langer „Geld stinkt nicht“-Ära endlich wieder die anrüchige Seite des Kapitalismus zum Vorschein. Reichtum adelt nämlich keinesfalls.

Doch man darf Russland eben auch nicht unterschätzen. Das Land verändert sich in etwa so rasant, wie Nachkriegsdeutschland unter Einfluß des Marshall-Planes – allerdings unter dem Zeitraffer betrachtet. Die explosive Entwicklung bringt deshalb auch laufend neue Typen und Etappensieger hervor. Es gibt sogar Anzeichen, daß der Oligarch beleibe nicht länger mehr stigmatisiert zu werden braucht.  

  „Rustam Tariko ist der erste saubere Oligarch“, formuliert es einer seiner engen Mitarbeiter. Hierzulande ist Tariko nur den Lesern von Wirtschaftsmagazinen bekannt. Der 44jährige hat sein Vermögen in den letzten Jahren zuverlässig verdoppelt. Zur Zeit wird er auf 6 Milliarden Dollar geschätzt. Sein Geld verdient er einerseits mit einem Bankunternehmen, das 20 000 Visa- und Mastercards pro Tag vergibt, und sie Exclusivlizenz für American Express in der gesamten russischen Sphäre innehält. Das zweite Geschäftsfeld Tarikos ist der Wodka. Natürlich, rufen da die Freunde des Klischees. In diesem Sommer werden auch sie herausfinden können, worum es sich bei Russian Standard dreht. So nämlich heißt die Marke des Nationalgetränkes, das im Vergleich mit anderen russischen Wodkas einen ziemlich hohen Preis besitzt: Um die 35 Dollar kostet eine Flasche derzeit auf dem US-Markt. Für den US-Launch im Jahr 2005 mietete Tariko die Isle of Liberty und veranstaltete zu Füßen der Freiheitsstatue eine teure Party mit Blinis, Models und Russian Standard.

Der heute schwerreiche Oligarch Tariko kommt aus allerkleinsten Verhältnissen. Seine Mutter war Funktionärin in der Kommunistischen Partei. Ihr Sohn Rustam, heute Hyperkapitalist, beginnt in den achtziger Jahren als Straßenfeger in Moskau. Später steigt er in den Handel mit Hotelzimmerkontingenten für ausländische Geschäftsreisende ein, besorgt sich in der Perestroika-Ära eine Lizenz, um Schiffsladungen von Überraschungseiern aus Italien zu importieren.  Nach dem wirtschaftlichen Zusammenbruch der Sowietunion 1998 steigt er ins Geschäft mit den Kleinkrediten ein. Die russischen Wirtschaftsjournalisten reißen Witze über den Wodkafabrikanten und Martini Bianco-Importeur, der sich als Banker versuchen will. Inzwischen lacht keiner mehr. In dem gewerbe, dessen einziger Erfolgsmesser das Vermögen ist, hat Rustam Tariko sich seine Meriten erworben. 

„Und er hat einen überzeugenden Stil“, erzählt sein Mitarbeiter. „Andere erfolgreiche Russen haben oft etwas brutales. Die Verhandlungen laufen in kaum akzeptablem Ton ab. Es ist viel Machismo im Spiel. Tariko ist anders. Der Erfolg hat ihn nicht überschnappen lassen. Er spricht fließend italienisch und englisch. Früher hat er viel Brioni getragen. Momentan ist es Yves saint Laurent.“

Und während andere wie Abramowitsch sich in London niederlassen, kommt es für Tariko nicht in Frage, sich dauerhaft außerhalb Russlands niederzulassen. „Russland ist meine Mutter“, stellt er während eines Telefongespräches fest, daß er an einem Sonntagabend von seinem Haus auf Sardinien aus führt, „und wie könnte ich meine Mutter jemals verlassen?“ Mit seiner leiblichen Mutter lebt er ja ebenfalls intensiv zusammen. Sie begleitet ihn an Bord seiner komfortabel ausgebauten Boeing 737-800. Das Catering an Bord soll hervorragend sein. 

Tarikos Bekenntnis zu Russland mag auf seinen Lebensstil bezogen etwas pathetisch klingen – er selbst gibt zu, daß er über siebzig Prozent seiner Zeit auf Reisen sein muß, um Russian Standard zu vermarkten; Mitarbeiter erzählen, daß der Chef, wenn er in Moskau ist, eine bescheidene Suite des an die Firmenzentrale gebauten Hotels wohnt. Die Firmenzentrale am Krasnopresneneskaya Naberezhnaya No 12 heißt übrigens ganz unbescheiden „World Trade Center“.

Aber wenn es um sein Produkt, den Wodka, geht, wird Rustam Tariko ernsthaft: „Viele glauben, Wodka sei ein simpler Schnaps“, sagt er in dem Telefongespräch von Sardinien aus. „Aber Wodka ist ganz und gar nicht simpel – wenn man es sich nicht zu leicht macht. Für Russian Standard nehmen wir ausschließlich russischen Winterweizen. Der ist nicht ganz leicht anzubauen, nicht ganz unproblematisch bei der Ernte. Aber das macht unseren Wodka so köstlich. Es gibt Chemikalien, um aus einem mittelmäßigen Wodka einen akzeptabel schmeckenden zu machen. Glykol zum Beispiel, mit dem die deutsche Weinwirtschaft ruiniert wurde. Wodka ist ebenso delikat wie Wein. Es gibt viele Länder, die behaupten, sie hätten den Wodka erfunden. Polen zum Beispiel. Aber das ist Angeberei. Schon das Wort ist russisch: Wodka heißt Wasser.“

Um Russian Standard in Deutschland bekannt zu machen, wird Rustam Tariko in diesem Sommer eine beeindruckende Party veranstalten. Selbstredend ist Berlin das deutsche Äquivalent zur Isle of Liberty. Ein Besuch beim deutschen Lichtmagier Gert Hof in Hamburg, wo dieser den Stapellauf eines Kreuzfahrtschiffes nach Albert Speer-Manier inszenierte, ließ Tariko jedoch unbeeindruckt. Es bleibt offen, wer Russian Standard in Berlin inszenieren darf. Geld spielt tatsächlich keine Rolle.