Spuren von Tabeas Glanz

Essay
zuerst erschienen am 19. August 2015 auf dem Zeit-Online-Blog „10 nach 8“
Mit dem Film "Bildnis einer Trinkerin" wurde Tabea Blumenschein zur Ikone der Westberliner Offszene. Wo landen Künstlerinnen heute, die so kompromisslos sind wie sie?

„Ich will so ein Glanz werden, der oben ist. Mit weißem Auto und Badewasser, das nach Parfüm riecht, und alles wie Paris.“ Irmgard Keun hat uns von diesem Versprechen in Das kunstseidene Mädchen erzählt. Es ist die Geschichte der Doris, die von der mittelgroßen Stadt in die große Stadt zieht, weil sie ein Leben wie im Film haben will.

Irmgard Keuns Leben war tatsächlich wie ein Film. Handelsschule im Harz, Stenotypistin, Schauspielschule, ihr erster Roman 1931 ein Bestseller. All das zur falschen Zeit. Sie litt an den Verhältnissen, wurde 1936 ins Exil gezwungen und in Ostende mit Joseph Roth zur Trinkerin; sie lebte danach „eine provisorische Existenz“, zielstrebig den Niedergang im Blick: Sie landete im Landeskrankenhaus Bonn und blieb nach ihrer Entlassung eine „arme, auf Spenden angewiesene Frau“. Gabriele Kreis findet sie und schreibt ihre fulminante Biografie: „Was man glaubt, gibt es“: „Irmgard Keun ist nicht mehr zu helfen. Ihre Tage enden und beginnen mit Cognac“.

Tabea Blumenschein spielt sie 1979 in dem Film Bildnis einer Trinkerin von Ulrike Ottinger. Sie spielt Sie, eine der beiden Frauen. „Reich, exzentrisch, ihre Gefühle maskenhaft verbergend, trinkt sie sich bewusst zu Tode. Sie ist der Fall, der in der Statistik nicht erscheint, weil entweder zu Hause unter Valium gehalten oder unter Verschluss in einer Privatklinik. Die andere ist arm und trinkt sich unbewusst zu Tode. Sie erscheint in der normalen Statistik als Typ der haltlosen Trinkerin“, erklärt Ottinger ihren konzeptuellen Film.

Weder das Bildnis einer Trinkerin noch Das kunstseidene Mädchen gehen gut aus – wer hätte das gedacht: „Wieder nichts. Doris hat immerhin fünf Pfund zugenommen. Sie packt – flüchtig-unvollständig – den Koffer und macht sich heimlich aus dem Staub. Doris ist wieder einmal auf gemeine Art allein. Wie weiter?“

Doris‘ beste Freundin heißt Tabea Blumenschein. Tabea wurde Teil der Gruppe Die Tödliche Doris. War Doris 1932 noch eine „schwache Frau im rauen Berlin“, ist sie 1980 eine ruppige Tangotänzerin der Halbwelt. (Die Tänzerin Valeska Gert, 1892–1978, erzählte Tabea Blumenschein 1975 bei den Dreharbeiten zu Die Betörung der blauen Matrosen vom Apachentanz, dem „Brutaltango“ der Zuhälter). Tabea und Doris dürfen doch wohl noch Apache tanzen heißt die erste Kassette der Gruppe. Das Cover des Tapes, der Gesang und der Text sind von Tabea Blumenschein. Die Lyrics zum Titel Privatparty sind in Blumenscheins Buch Das Kreuz der Erfahrung nachzulesen und in eine Zeichnung eingewoben: „Bewegen Sie sich nicht! Es wird scharf geschossen. Ein Callgirl wie eine Königin verlangt plötzlich Schweigegelder. Zu viele Ambitionen. Paradies oder Hölle. Dies ist eine Privatparty.“

Das ist ein anderer Ton als bei Keun. Ähnlich sachlich, aber wilder, zackiger, kompromissloser. Okay, es ist der Westberliner Underground, Post-Punk, Geniale Dilletanten und nicht die Angestellten-Kultur der dreißiger Jahre kurz vor der Machtergreifung, aber auch diese Szene war von Männern dominiert. Tabea nimmt sich dennoch etwas raus, ihr Spielraum ist jetzt größer. Sie geht in verschiedene Richtungen: Illustration, Gesang, Schauspiel, Text, Maske, Kostüm, Regie, Mode, Bilder, Texte und Musik. Als Gesamtwerk betrachtet entsteht trotz der Vielfalt ihrer Arbeiten und der manischen Medienwechsel eine ganz spezifische Ästhetik.

Für die kurzzeitig erscheinende deutschsprachige Ausgabe von Andy Warhols Interview-Magazin zeichnete Tabea eine Modestrecke: „einarmige oder -beinige Modelle mit Hakenkreuzgürtel, Hammer- und Sichel-Tattoos und Irokesenhaarschnitt. Übergewichtige Models fuchteln auf ihren Modeentwürfen mit Fleischermessern herum, Männer mit X- und O-Beinen, fehlenden Gliedmaßen“, schreibt Wolfgang Müller, Autor, Musiker und heute der Chronist dieser Szene in Subkultur West-Berlin 1979–1989.

Zurück zu Tabea. Sie machte weiterhin Filme, Maske und Kostüm für Ulrike Ottinger, Herbert Achternbusch, Werner Nekes oder Walter Bockmayer. Entwarf Mode für Claudia Skoda, arbeitete am Theater und an ihren eigenen Zeichnungen, schrieb und tourte mit der Gruppe Die Tödliche Doris in Europa und Amerika.

Tabea war auch eine Erscheinung, ein Glanz. Amy Winehouse in Blond. Sie war der „Glamourstar der Westberliner Lesbenszene“, schreibt Müller. „Ihre atemberaubende Schönheit steht in extremem Kontrast zu ihren akribisch ausgeführten Buntstiftzeichnungen, die voller Gewalttätigkeit stecken. Ihre Zeichnungen sind wirklich zauberhaft, wahnsinnig, viel schöner als übliche, klassische Modeskizzen. Sie sind Kunst, naiv und wahnsinnig zugleich.“

Eine Martina Kippenberger würde gesellschaftlich schnell im Abseits landen, schreibt mir Wolfgang Müller, den ich schon seit Jahren kontaktieren wollte, um mehr über Tabea zu erfahren. „Dessen Provokation mit ‚politisch unkorrekterem‘ Verhalten hat Tabea (leider) auch drauf – wird bei einer Künstlerin im Gegensatz zum Künstler aber kaum als Ausdruck ihres Genies betrachtet. Sondern pathologisiert mit Begriffen wie ‚frustriert‘, ‚hysterisch‘ etc. Und hat andere Konsequenzen als beim Künstler.“ „Was Männern, nennen wir sie nicht Hans, sondern an dieser Stelle mal Martin, einen Nimbus des Gefährlichen verleiht, ist Frauen nicht erlaubt“, antworte ich.

Im Nachhinein kann man wohl sagen, Tabea Blumenscheins Position war gefährlich: provokativ, kompromisslos, eigenwillig, präzise, lustig, mit einem Hang zur Brutalität. Spätestens mit ihrem Film Zagarbata – von Christoph Dreher auf Super-8 gebannt – konterkarierte sie alle Erwartungen, schoss sie sich ins Aus.

When people try to find her she is often elsewhere.

Danach zog sich Tabea Blumenschein Anfang der neunziger Jahre fast völlig aus dem Kulturbetrieb zurück und verbrachte einige Jahre im Obdachlosenheim. Von dort aus verwischte sie ihre Spuren: „Sich unsichtbar machen dient hier zum Schutz gegen Feinde. Dazu ist keine Farbveränderung des Fells notwendig, sondern eine Ortsveränderung“, heißt es in Doris und ihre Freundinnen in Die Tödliche Doris, Band 1. In Westberlin war sie folglich nicht mehr zu sehen. Sie malte und zeichnete irgendwo anders weiter. Ade Hauptstraße, hallo Hellersdorf.