Bericht eines Kannibalen

Mutprobe
zuerst erschienen im Januar 1995 in Tempo, S. 52-57
Der moderne Gaumen sucht den immer ausgefalleneren Kitzel. Ein TEMPO-Reporter reiste nach China zu den Grenzen unseres Geschmacks.

Von Lorenz Lorenz

Seit über 80 Jahren betreibt die Familie Gua in Kanton das „Wild Animal Restaurant“. Der Koch versteht sein Geschäft: „Hier, das war ein junges Tier, zwei Jahre alt. Das muß man dann nicht so lange kochen, nur eine halbe Stunde. Für jedes Jahr extra sollte man das Fleisch eine weitere Viertelstunde köcheln lassen. Man nimmt einen irdenen Topf, schwitzt Ingwer und Frühlingszwiebeln an. Dann gibt man Bouillon dazu, rührt das Fleisch, Tofu und Morcheln rein und läßt es etwas köcheln, bis das Fleisch schön zart ist. Er hieß übrigens Chris, nach einem der beiden Pet Shop Boys.“

Sein Brüderchen, Neil, kommt morgen in den Topf. Noch bellt er fröhlich in der Küche. Chris und Neil sind Hunde. Chris hätte ruhig noch etwas länger kochen können, er war etwas zäh, wir mußten ewig daran kauen, vor allem am Ohr. Es schmeckte etwas wie Schmorbraten aus der Kantine, mit dem Hautgout von regennassem Hundefell. Als wir das „Wild Animal Restaurant“ verließen, hatte Chris am Metzgerhaken keinen Kopf mehr. Den hatten wir im Bauch. Damit ist auch gleich die Mengenangabe klar: Ein Hundekopf reicht locker für zwei Personen.

Der Fotograf Terran hat zu Hause einen mageren Köter, der sich gerne in allem wälzt, was stinkt, am liebsten in Scheiße. Der Hund heißt Bin, nach der Mülltonne, in der Terran ihn gefunden hat. Terran hatte Alpträume in der Nacht nach unserem Hundeessen. Ein paar Tage später zogen wir gut gelaunt durch die Straßen von Kanton.

X-beinige Chinesinnen in Miniröcken standen vor den Schaufenstern mit Benetton-Kopien aus Hongkong, organisierte Bettler streckten ihre verkrüppelten Gliedmaßen vor, an den Kiosken stapelten sich Pornocomics, ein Familienrestaurant präsentierte jeden Abend einen Transvestiten mit Madonna-Show. Nachts brannte der Perlfluß violett und grün von den riesigen Neonwerbungen am anderen Ufer. Der Verkehr stand Stoßstange an Stoßstange, weiße BMWs, rote Taxis und uralte Lkw, dazwischen schlängelten sich Bäuerinnen auf schweren Fahrrädern, hoch bepackt. Und mit roten und gelben Papierfahnen im Eingang boten die Restaurants ihre Köstlichkeiten an.

„Uiih! Hier gibt es Würmer!“ rief Terran. Es waren daumenlange Würmer mit vielen kleinen Haarbeinchen und einem Stecknadelkopf. Sie leben in den Reisfeldern und werden als Fischköder benutzt. Für ein Wurmsoufflé (na ja, Rührei) braucht der Koch ein paar hundert Würmer, das ist dann schon etwas teurer als Hund. Würmer, heißt es, sind gut für die Verdauung. Geschmeckt haben sie eigentlich nach nichts. Aber es war lustig, wie auf dem Löffel ein Haufen Würmer aus dem Ei guckten – als würde ich einen Komposthaufen umgraben. Und schwupps waren sie weg, in mir drin.

Es war kein besonders gemütliches Restaurant, braune Wände, riesige Fettflecken auf der Tischdecke, Plastikstühle. Aber es ging hoch her. Um uns herum ves-

PFAU AUF ZUCKERSCHOTENBEET AN MÖHRCHEN

Zutaten

Für die Marinade:

Salz, Pfeffer, Zucker, dünne und dicke Sojasoße. Sherry, Kartoffelmehl.

Brust und Keulen vom Pfau, Pflanzenöl, Knoblauch, Frühlingszwiebeln, Ingwer, Sherry, Zuckerschoten, Möhren, Austernsoße, Sojasoße

Zubereitung

Für die Marinade Salz, Pfeffer, eine Messerspitze Zucker, je 1 EL dünne und dicke Sojasoße, 1 Schuß Sherry, etwas Kartoffelmehl und 2EL Wasser kräftig zusammenrühren und 30 Minuten lang im

Kühlschrank ruhen lassen. Die mundgroßen Stücke vom Pfau marinieren (1 Stunde), danach das Fleisch in sehr heißem Öl kurz fritieren [sic!]. WarmsteIlen. In der Pfanne Knoblauch und Frühlingszwiebeln anbraten.

Zum Schluß Ingwer hinzugeben und mit Sherry löschen. Ebenfalls warmsteilen. In der selben Pfanne die geschnitzten Möhren eine Minute lang braten. Dazu die Soße (1 MSp Kartoffelmehl. 2 EL Austernsoße, 1 EL Sojasoße und 3 EL Wasser) verrühren. Wenn es dick wird, kleingeschnittene Frühlingszwiebeln hinzugeben. Alles zusammen auf gedünsteten Zuckerschoten servieren. Dazu paßt:

Basmatireis, Bier.

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PLAZENTASUPPE NACH SZETSCHUAN-ART

Zutaten

Frische Plazenta, Hühnerbouillon, kleine Austernseitlinge, Meerrettich

Zubereitung

Die Plazenta gut waschen, bis kein Blut mehr dran ist. In fleischloser Bouillon zusammen mit den Pilzen fünf Minuten lang kochen. Mit Pfeffer, Salz und weißem Meerrettich abschmecken. Dazu einen guten französischen Weißwein und Knoblauchbrot.

SEIDENRAUPEN, DIE ZUM REGENBOGEN GEHEN

Zutaten

Seidenraupen, Sesampaste, Reisessig, Karotten, Bambussprossen, Frühlingszwiebeln, Salz, Pfeffer, Rührei, Salatgurke

Zubereitung

Ein einfaches Gericht mit subtilem Dressing: Sesampaste mit 2 EL Wasser und 4-5 EL Reisessig verrühren. Salzen und pfeffern. In einer Pfanne geraspelte Karotten, Bambussprossen, Frühlingszwiebeln zusammen mit den Seidenraupen anbraten. Abgekühlt mit Rührei, frischer Salatgurke und Dressing anrichten.

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-perten genießerische Chinesen, rauchten und tranken Cognac. Sie toasteten einander zu, und die Frauen beim Festbankett ermunterten die Männer zum Biertrinken. Und noch ein Bier! Da stand dann so ein armer Tropf mit Hornbrille, und über sein Gesicht zogen Übelkeit und Stolz wie Ebbe und Flut. Dann trank er endlich, angefeuert von den rosa gekleideten Frauen, und schwankte noch etwas mehr. Er durfte sich wieder setzen und sich mit seinem umflorten Blick irgendwo festhalten.

Die Wirtin, eine freundliche Frau mit Dauerwelle, fuhr weiter ihre Speisen auf.

Ratte war eine echte Entdeckung – zart, mit einem leichten Wildgeschmack, ähnlich dem Kaninchen. Wir bekamen sie gebraten serviert, paniert wie Wiener Schnitzel. Sie zerging auf der Zunge. In Rotwein gekocht, ergäbe das ein exzellentes Mahl: nicht zuviel Knoblauch, um den Eigengeschmack nicht zu gefährden. Aber aufgepaßt! Der Gast soll sich keine Wanderratte (Rattus norvegicus) andrehen lassen, sondern nur Hausratte (Rattus rattus) essen. Die gesündeste Art für den Koch, Ratten bratfähig zu machen, also zu töten, besteht darin, sie zu ertränken. Dann hört man das Quieken nicht so. Die Wirtin war ganz begeistert von meinem Appetit und wollte mir die Reste einpacken.

Am nächsten Tag suchten wir weiter nach Spezereien aus dem Orient. Mit obskuren Tips versorgt, klapperten wir die Dreieinhalb-Millionen-Stadt Kanton mit dem Taxi ab – kreuz und quer durch die ruhigeren Außenbezirke, wir liefen durch wäschebehängte Hinterhöfe, in denen Straßenfußballer tobten, vorbei an alten Häusern, aus deren Fenstern Grillen in Käfigen zirpten, überall wurde gebaut und abgerissen. Aus allen Provinzen Chinas strömen die Bauern in die Stadt und suchen Arbeit. Es entstehen überall kleine Chinatowns: Uiguren braten in einem Viertel ihren Kebab auf Holzkohlefeuern am Straßenrand, Bergbauern aus Yunnan laufen in Tracht zu Fuß vom Flughafen in die Stadt, in den Arbeiterschlafsälen versammeln sich die Landsleute aus Hubei und kochen gemeinsam ihr gewohntes Mahl.

Es wurde Zeit zum Mittagessen: Seidenraupen. Die haben mir für lange Zeit den Appetit verdorben. Sie sahen aus wie Kellerasseln, knackten zwischen den Zähnen wie Kellerasseln und hatten einen Nachgeschmack wie der Geruch von zerquetschten Kakerlaken – einen sehr langen Nachgeschmack. Ich schaufelte mir ein paar Löffel in den Mund, die Panzer barsten zwischen meinen Zähnen und blieben dazwischen hängen wie Haferspreu. Und dann überschwemmte der faulige Geschmack den ganzen Mund. Auf dem Löffel wartete bereits die nächste Ladung gekrümmter Insektenleichen. Danach war mir nur noch schlecht.

Essen ist Weltwahrnehmung, WeItverinnerlichung, die erste rituelle Handlung der Menschheitskultur. Während Drogen den Menschen in ferne Gebiete führen, in eine Art exotische Seelenlandschaft, führen Eßexpeditionen den Menschen ins Innere, in die Esoterik des eigenen Körpers. Der Magen – die letzte Grenze. Mein Bauch wurde dick. Meine Verdauung streikte. Ich bekam Pickel, zuerst im Gesicht, dann auf meinem Oberschenkel. Da hatte ich noch nie Pickel. Nachts habe ich mich gekratzt und geträumt, wie mich das Böse verfolgt.

Mit aufgetriebenem Bauch machten wir uns jeden Tag auf die Jagd nach weiteren Köstlichkeiten jenseits der Ekelgrenze. Ich stopfte Pfau in meine Magenmaschine. Diese Speise war früher den Königen vorbehalten, und meinetwegen hätte das auch so bleiben können. Die Küche des „Victory-Hotels“ jedenfalls servierte lieblos lederartige Pfauenhaut auf Bohnen. Man hätte die ganze Tang-Dynastie durch daran kauen können.

Tagsüber bummelten wir auf dem Quing-Ping-Markt und erkundigten uns nach dem Angebot. Hier halten Händler magere Katzen, Mungo-artige Kleinbären und Stachelschweine in Käfigen. Käfer paddeln in

KUNG-PAO-HUND (GULASCH)

Zutaten

für die Marinade: Salz, Sojasoße, Sherry, Maismehl, Ei.

Hundefleisch, Chili, Knoblauch, Ingwer, Sherry. Frühlingszwiebeln, Sojasoße, Chilisoße, Zucker, Maismehl. Reisessig, Erdnüsse

Zubereitung

Für die Marinade Salz, 2 EL Sojasoße, 1 Schuß Sherry, 1 EL Maismehl und 1 leicht angeschlagenes Eiweiß verrühren. Den in kleine Würfel zerschnittenen Hund eine halbe Stunde lang marinieren. In eine Pfanne 3 getrocknete Chilis, Knoblauchzehen und Ingwer geben und kurz anbraten. Die marinierten Fleischstücke hinzufügen und mit Sherry löschen. Die Frühlingszwiebeln dazugeben. Danach die vorbereitete Soße (1 EL Sojasoße, 2 EL Chilisoße, 1 große Prise Zucker, 1 EL Maismehl und 2 EL Reisessig) dazugeben und kurz einkochen. Mit Erdnüssen garnieren.

WURMSOUFFLÉ

Zutaten

Regenwürmer, Erdnußöl, 6 Eier, Salz, Pfeffer

Zubereitung

Regenwürmer in etwa 3 cm große Stücke schneiden und in einer heißen Pfanne mit 1 EL Erdnußöl anbraten, danach abkühlen lassen. Das Eiweiß steifschlagen. Dann die verrührten Eigelbe mit Salz, Pfeffer und den abgekühlten Würmern vorsichtig mit einem großen Löffel unterheben. In einem Topf im vorgeheizten Ofen (180 Grad) goldgelb backen (etwa 12 Minuten).

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einem Wasserbecken, damit sie nicht wegfliegen, und Schildkröten wird bei lebendigem Leib der Panzer aufgebrochen und der Körper halbiert. Der vordere Teil zuckt noch, wenn die hintere Hälfte am Haken der Waage hängt. Zum Glück können Schildkröten nicht schreien, nur sehr traurig gucken – und ziemlich lange zucken, genauso wie Schlangen, denen die Händler mit einer Schere den Kopf abschneiden und sie – ratsch, ratsch – enthäuten. Manche Leute essen Schlange roh am Stück und müssen sich anstrengen, den sich windenden Körper auf dem Teller mit der Gabel zu treffen.

Am Abend aßen wir Fliegenden Tiger in einem rosa-weißen Ballsaal mit Bühne und Kristallüstern. Der Fliegende Tiger ist ein niedliches Beuteltier, das wie ein Eichhörnchen aussieht und leicht süß und nussig schmeckt. Unter dem mit Lichtern gesprenkelten Baldachin lag ein Meer von Speisenden. Wie kleine Inseln in ruhiger See tobten festliche Bankette. Je mehr Cognac die Gäste tranken, desto lebhafter wurde es, bis schließlich alle im Ballsaal tranken und sich zuprosteten und Witze erzählten und zu singen anfingen.

Jetzt waren wir die ruhige Insel in einem stürmischen Meer und widmeten uns ernsthaft unserer Aufgabe als Testesser. Wir verspeisten eine Art kleiner Bär oder Nagetier mit schwarzweißem Gesicht. Auf dem Markt sah er so traurig aus und blutete an den Pfoten. Ich weiß immer noch nicht, wie er heißt, nur wie er schmeckt: nach nassem Herbstlaub. Semmelknödel und Pfifferlinge würden gut dazu passen und ein schwerer Rotwein.

Kanton ist berühmt für seine wilde Küche. Früher konnten sich nur wenige die teuren Spezialitäten leisten, aber das änderte sich, denn die genußsüchtige Mittelschicht wuchs. Bald gab es immer weniger Schlangen. Mit der Öffnung Chinas machten internationale Umweltschützer zunehmend Druck. Seit einem Jahr ist der Handel mit bedrohten Tierarten in China verboten. Unterdrückt wird die Tradition, alles zu essen, dessen Rücken die Sonne bescheint, wie es ein chinesisches Sprichwort ausdrückt, also alles außer Menschen, deren Rücken ja im Schatten des Kopfes liegt. Schamanistische Gourmets, die sich die Kraft und Potenz wilder Tiere einverleiben wollen, mußten in den Untergrund gehen.

Herr Li ist ein dicker Mann mit Goldkette. Seine Haut hat viele schwarze, große Poren. Der Geschäftsmann – „Import/Export“, sagt er vage – sieht herzkrank aus, wie eine graue Version von Ted Kennedy. Herr Li ißt gerne, viel und wild. Für seine Geschäftsfreunde arrangiert er einmal im Monat heimliche Gelage in den Vororten von Kanton in unscheinbaren Restaurants mit Hinterzimmer. Der Wirt kennt seine Kundschaft und besorgt sich seine Ware direkt von den Händlern, meistens Bauern aus Yunnan, die im Gepäck irgendein seltenes Tier, oft aus Vietnam eingeschmuggelt, mit sich führen. Der Handel mit bedrohten Tieren ist nach Drogen und Waffen das größte illegale Geschäft weltweit.

Herr Li hat schon alle vom Aussterben bedrohten Tiere Chinas gegessen, nur den Großen Panda noch nicht, sein Herzenswunsch. Gegessen hat Herr Li zum Beispiel den Sibirischen Tiger, von dem es noch zirka 25 in China gibt, und den Yangtsekiang-Delphin, von dem noch 150 Exemplare existieren. „Lebendes Affenhirn ist teuer, aber den Spaß wert. Der Affe wird in ein Loch des Tisches gefesselt, und dann wird ihm die Schädeldecke abgeschlagen, ohne ihn zu töten“, erzählt Herr Li. „Wenn man dann den Löffel in das Hirn eintaucht, spürt man einen kleinen Widerstand. Es ist sehr frisch, wie junge Kokosnuß. Es schmeckt am besten, wenn das Tier noch lebt. Ich kann Tod und Leben mit dem Gaumen unterscheiden. Man muß nur auf seine Hosen unterm Tisch achten, der Affe pißt nämlich, wenn er stirbt.“

Manchmal gibt‘s dazu Hundereis. Ein fast verhungerter Hund wird mit gekochtem Reis gefüttert. Der Hund schlingt den scharf gewürzten Reis sofort runter. Der Koch erwürgt den Hund und serviert dem Gast anverdauten Reis aus dem noch warmen Darm. Herr Li schätzt den leicht säuerlichen Beigeschmack.

Wir verabschiedeten uns von Herrn Li und flogen nach Tschungking in Szetschuan, der bevölkerungsreichsten Provinz der Volksrepublik China. Zum Höhepunkt wollten wir uns was ganz Feines gönnen: Menschenfleisch. Im Februar gab es eine Mini-Meldung bei AFP unter „Kurioses“. Da war von gedünstetem Mutterkuchen die Rede. Auf dem Flughafen nieselte es leicht, wir standen da mit unseren Reisetaschen, wir waren 2000 Kilometer weit gereist, um Mutterkuchen zu probieren.

Tschungking ist eine graue Großstadt. Auf der Autobahn trieb ein Bauer ein Schwein vor sich her. Wir sahen Menschen in Mao-Anzügen, manche junge Frau trug schwarze Keilhosen mit Goldapplikationen. Die Abgase von Verkehr, Schwerindustrie und den Steinkohleöfen vermischten sich mit dem Nieselregen. An den Straßen standen Pampelmusenverkäufer und Tagelöhner, die, mit Schaufeln, Sägen und Malerpinseln ausgerüstet, auf Arbeit warteten.

Wir fuhren mit dem Taxi in die Innenstadt. Sie liegt auf einer Insel im Yangtsekiang, dem längsten Fluß Chinas. Schüchtern trugen wir dem Taxifahrer unseren Wunsch vor: Taipan, Plazenta. Und schon schlängelte er sich durch kleine Seitengassen. Die Neonlichter der Karaoke-Bars schimmerten im abendlichen Regen, wie in einem amerikanischen Wim-Wenders-Film. Aus den Straßenrestaurants dampften die Hot Pots, Schuhputzer zogen mit ihren kleinen Schemeln herum. Ein böser alter Bettler zwang seinen bösen alten Affen zu Kunststücken. Wir hielten, unser Taxifahrer verschwand, und ein Mann steckte den Kopf in das Autofenster.

Dann ging er wieder. Nach zwei Minuten tauchte der Taxifahrer mit einem Freund auf. Immer mehr Männer mit Mobiltelefonen und teuren Pullovern stiegen ein und verhandelten mit uns. „Der Genuß von Taipan ist seit Februar verboten. Aber Plazenta vom Hirsch oder vom Schaf könnt ihr haben.“ Nein, wir wollten menschliche Plazenta. In Nigeria essen sie die und vermutlich auch in feministischen Workshops. Es wurde weiter verhandelt, wir blieben hart. Schließlich willigten die Dunkelmänner ein, wir gaben ihnen einen Vorschuß von 100 Yuan und sollten morgen wiederkommen.

Und tatsächlich, am nächsten Tag wurden wir wie Kenner im „Pau On Tong“ empfangen, einem rot-goldenen Restaurant mit unaufdringlichem Stehgeiger. Die hübschen Kellnerinnen in ihren Cheongsams, so hoch geschlitzt wie es die Strümpfe zulassen, lächelten uns verschwörerisch zu. Sie reichten uns gar nicht erst die Speisekarte und servierten mit feierlicher Geste die Plazentasuppe: „Das ist gut für den Teint und überhaupt für alles.“

Es waren milchig farbige Fleischkringel, erstaunlicherweise ohne Blut, völlig knorpellos und butterzart. Es sah so natürlich aus, so schmackhaft, und erst hinterher kamen mir Bedenken: Bin ich jetzt ein Kannibale? Ach, Quatsch, vermutlich haben sie uns beschissen, und es war Schafsplazenta.

Wer weiß? Manchmal schaue ich mißtrauisch meinen dicken Bauch an, als hätte er was ausgefressen. Seit unserer Restauranttour bin ich übrigens Vegetarier.

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PANIERTE RATTE

Zutaten

Brust und Keulen von der Ratte, Pfeffer. Ei, Mehl, Öl

Zubereitung

Fleisch salzen, pfeffern und in einer Ei-Mehl-Panade wälzen. In heißem Öl ausbacken. Wer mag, kann unter die Panade etwas Senf auf das Fleisch streichen. Varianten: In 8ierteig (Mehl und dunkles Bier) ausbacken. Mit Zitrone servieren.

KANTONESISCHES HUNDEFONDUE

Zutaten

Junger Hund, Kartoffeln, Karotten, Sellerie, Lotoswurzeln, Wasserkastanien, getrocknete Morcheln, Tofu

Zubereitung

Geviertelte Kartoffeln, Karotten, Sellerie, Lotoswurzeln, Wasserkastanien und Morcheln in einen Topf geben. Den jungen vorgekochten Hund (50-g-Stücke) dazu und mindestens eine halbe Stunde köcheln lassen. Faustregel: Hunde, die älter als zwei Jahre alt sind, pro Lebensjahr eine Viertelstunde länger im Topf lassen. Zum Schluß Tofu hinein. Aus dem Topf essen. Wer das Ohr erwischt, darf sich etwas wünschen. Südchinesen trinken dazu Cognac mit Wasser.

GEBRATENE SEIDENRAUPEN

Zutaten

Seidenraupen, Paprikaschoten, Zwiebeln, Knoblauch, Pflanzenöl, Ingwer.

Zubereitung

In eine heiße Pfanne ein wenig Öl geben, kleingeschnittene Paprikaschoten, Zwiebeln, Knoblauch und Ingwer kurz anbraten. Dazu die Seidenraupen, noch einmal kurz braten. Beim ersten Knacken der Panzer servieren. Dazu paßt: Wodka oder Sake. Einfach und schnell, Ideal für den Single. Übrigens: Falls keine Seidenraupen auf dem Markt zu finden sind, Kellerasseln, Kakerlaken (gleich große Exemplare!), Engerlinge oder Tausendfüßler (nur ganz kurz braten) tun es auch.