Cindy Sherman - „Ich bin ein weiblicher Transvestit“

Interview
zuerst erschienen im März 2009 in der Welt am Sonntag
Wenn Cindy Sherman den Raum betritt, schiebt sie eine Menge komplizierter Vorurteile als Bugwelle vor sich her. Die Kunstexperten deuten ihre Selbstporträts als Konzeptkunst - was stets einen Künstlertypus der anstrengenden Sorte nahelegt. Außerdem soll sie auch noch feministisch sein - was ja irgendwie verzopft und doppelt freudlos klingt. Der Humor in ihren Arbeiten wird eher selten gewürdigt. Vielleicht hat sie sich deshalb vor fünf Jahren als diverse Clowns verkleidet, die aber - glaubt man wiederum den Clownexperten - selbst oft die traurigsten Menschen sind. Cindy Sherman ist in echt übrigens erstaunlich zierlich (ihre neuen Fotos sind überlebensgroß.)

Können wir über Hässlichkeit sprechen?

Gern!

Was ist in Ihren Augen hässlich?

Ich definiere Hässlichkeit als das Gegenteil von dem, was die Leute schön finden.

Klar. Aber Sie sind Cindy Sherman, eine Künstlerin, die sich sozusagen auf Häßlichkeiten spezialisiert hat - bestimmt haben Sie dann eine originelle Definition von Schönheit?

Pffh - Schönheit, tja, das ist eine gesellschaftliche Vereinbarung, oder? Ein Konzept? Schönheit ist, was die größtmögliche Mehrheit einer Gesellschaft schön findet.

Klar. Aber ich hatte eigentlich nach Ihrer persönlichen Definition von Schönheit gefragt.

Ich finde schön, was viele hässlich finden. Für mich muss etwas in erster Linie interessant sein, damit ich es schön finden kann. Persönlichkeit ist auch sehr wichtig.

Wodurch das Konzept der Schönheit sicherlich beeinflusst wird.

Gewiss! Was manche Leute hässlich finden, gefällt mir - allein weil es sich stark von allem unterscheidet, was traditionell für schön befunden wurde.

Bedeutet das: Cindy Shermans Schönheitsideal kann mir im Leben nie gefallen?

Ja. Obwohl ich Ihres nicht kenne.

In Deutschland betonen wir reflexartig, dass es uns auf die inneren Werte ankommt. Schönheit ist bei uns gleichbedeutend mit Blödheit.

Verstehe. Als ich noch Teenager war, und die anderen Mädchen sich vor allem über die Jungs unterhalten haben - wer süß ist, wer nicht so -, da hatten wir diese Jahrbücher. Und wenn man über einen Jungen sprach, dann hat man dazu die Seite mit seinem Foto aufgeschlagen. Mir ging es dann immer so, dass ich die Jungs von ihren Fotos her uninteressant fand. Aber wenn ich dann einen in echt vor mir sah, wie er sprach, wie er sich bewegte und benahm: Dann konnte ich ihn auch attraktiv finden und sexy und so. Die inneren Werte, wie Sie es nennen, machen die Schönheit lebendig.

Welche Obsession verfolgen Sie mit den Selbstporträts? Steckt da etwas Frühkindliches, etwas Familiäres dahinter?

Ich arbeite einfach gern allein. Ich habe angefangen, Malerei zu studieren, aber das war nichts für mich. Schon als Kind hatte ich mich ständig verkleidet. Auch noch als ich aufs College ging. Allerdings nicht vor anderen, sondern allein, für mich.

Das ist seltsam, Miss Sherman. Niemand mir bekanntes verkleidet sich, wenn niemand zuschaut. Das machen eigentlich nur Transvestiten.

Vielleicht bin ich ein weiblicher Transvestit.

Vielleicht.-

Ich habe mein Gesicht immer als eine leere Leinwand betrachtet. Wenn mir in einer Zeitschrift eine Frau auffällt, dann versuche ich dieses Gesicht mit Schminke auf meins zu malen. Als ich Malerei studiert habe, war das Kopieren meine Spezialität. Heute hilft mir das.

Als wir uns gegenübertraten, war ich erstaunt, wie zerbrechlich Sie wirken - wenn Sie unverkleidet sind. Und dann musste ich gleich wieder denken: Warum hat sie bloß diesen kranken Humor?

Das ist ja lustig!

Das ist doch nicht lustig.

Nein, ich meine: lustig, dass Sie mich zerbrechlich finden.

Na, Sie sind ja sehr zierlich und dann diese geschmackvolle Frisur.-

Also ich glaube, dass manches, das ich gemacht habe, als krankhaft beurteilt werden kann. Beispielsweise, weil ich mir immer selbst Modell stehe. Weil ich auf den Bildern immer wie andere Frauen aussehe.

Die früh verstorbene Fotografin Diane Arbus hat einmal eine Frau porträtiert, die sich immer als „böse Tante“ verkleidet hat, mit schiefen Zähnen und Perücke, um in dieser Rolle ihre Gäste zu beschimpfen. Alfred Hitchcock hat das auch gemacht.

Die Frauentypen, die ich durch Verkleidungen erzeuge, sind verstörend - aber eben auch sehr echt. Viele Besucher der Berliner Ausstellung haben mir erzählen wollen, dass sie genau wissen, welche reale Persönlichkeit sich hinter diesem oder jenem Motiv verbirgt. Oft waren es Sammler oder andere Figuren aus der Kunstwelt. Was daran liegen wird, dass ich dieses Mal Frauen porträtieren wollte, die reich sind und das auch zeigen.

Interessant, dass Sie hier von Frauen im Plural sprechen - das sind doch alles Sie selbst. Das sind vierzehn Porträts von Cindy Sherman, die in Berlin zu sehen sind.

Ich mache keine Selbstporträts.

Was dann?

Keine Selbstporträts. Da bin zwar ich zu sehen, verkleidet aber -

Die Verkleidung besteht aus ein paar Gramm Make-up, aus etwas Kleidung, Gewebe, mehr ist das nicht.

Der Begriff „Selbstporträt“ meint aber üblicherweise ein Bild, auf dem der Künstler etwas von sich selbst preisgeben will. Aber ich offenbare mich nicht.

Das glauben Sie vielleicht. Ein Psychoanalytiker würde fragen: Wie können Sie glauben, von sich ein Selbstporträt machen zu können, das nichts von Ihnen selbst offenbart?

Ich mache ja kein Selbstporträt von mir. Ich mache Selbstporträts der erfundenen Frauenpersönlichkeiten, in die ich mich verkleide.

Achten Sie darauf, dass die Frauen nicht zu schön werden?

Manchmal habe ich Verkleidungen verworfen oder überarbeitet - weil das Foto sonst dem zu nahegekommen wäre, was Leute als hübsches Foto bezeichnen. In der Berliner Ausstellung sieht man zum ersten Mal auch ein Bild, auf dem ich mehr benutze als bloß Schminke und Verkleidung.

Sie meinen das Bild mit der faltigen Frau?

Nein, das mit den langen künstlichen Zähnen. Und dann sind da noch die Schwestern.

Ach die: Erinnern ja beide stark an einen ehemaligen Fernsehstar in Deutschland, Margarete Schreinemakers.

Oh.

Sie ist neulich beim Joggen kollabiert.

Oh Gott.

Sie sieht genauso aus.

Wow.

Wenn Sie eine italienische „Vogue“ durchsehen, erst recht bei einem der Nischenmagazine: Könnten einige Modefotografen auch als Künstler durchgehen?

Könnten. Bis auf den Unterschied, dass auf ihren Fotos nur Models zu sehen sind. Ich glaube, dass viele Fotos besser würden, und die Zeitschriften auch, wenn man Models mit interessanteren Gesichtern fotografieren würde. Die könnten ja immer noch schlank sein. Aber vielleicht auch mal ältere Models. Bloß nicht immer wieder diese schönen Menschen!

Sie haben etwas gegen die Schönheit an sich?

Beim Einsatz von Schönheit unterscheidet sich die Kunst von der kommerziellen Fotografie.

Wann hat man Ihnen zuletzt gesagt, dass Sie schön sind?

Etwa vor einer Woche.

Wie haben Sie sich gefühlt?

Ich habe es gern, wenn man mir sagt, dass ich schön bin. Es macht mich glücklich, wenn jemand glaubt, dass ich schön sei. Dabei weiß ich, dass ich nicht wie ein Model aussehe. Deshalb weiß ich dann auch, dass sie mit meiner Schönheit eine andere Schönheit meinen als die allgemein akzeptierte Model-Schönheit.

Warum denken Frauen eigentlich so viel über Models nach?

Weil wir nicht über sie hinwegsehen können.

Weil sie Geschlechtsgenossinnen sind?

Sie sind überall - Anzeigen, Plakate, im TV.

Gewiss, aber warum ignorieren Sie die Showbranche nicht - Sie sind Künstlerin!

Nüchtern betrachtet kann ich freilich sagen: Geht mich nichts an, ich sehe anders aus. Und das kann ich nicht ändern, also muss ich akzeptieren, dass ich bin, wer ich bin. Aber dann kriegt man eben mit, wie um einen herum sich alle mit Diäten beschäftigen und mit der Furcht, älter zu werden.-

Auch in der Kunst? Wo doch seit Gottfried Benns „Altern als Problem für Künstler“ klar ist, dass Künstler ihre besten Werke im Alter schaffen.

Das stimmt glaube ich nicht mehr. Ich höre ständig: „Frau Sherman, ihre ‚Film Stills‘ waren das Beste, was Sie je gemacht haben.“ Und das war mein Frühwerk!

Das liegt daran, dass diese Werkgruppe auf Wikipedia ganz oben genannt wird.

Da würde ich jetzt gern zustimmen, aber ganz so einfach scheint es nicht. Ich weiß übrigens wirklich nicht, ob ich mit siebzig noch immer das machen will, was ich gerade mache. Ich will dann eher Filme drehen. Vor 15 Jahren habe ich einen Film gemacht, und eigentlich wollte ich nur immer wieder darauf zurückkommen. Letztes Jahr habe ich mir eine professionelle Videokamera gekauft. Ich hoffe wirklich sehr, dass ich mich in Zukunft mehr damit beschäftigen werde - und nicht mehr so viel Zeit in meinem Fotostudio verbringe. Es macht mir noch Spaß, aber es kann auch langweilig werden, wenn es immer dasselbe bleibt.

Was hält Sie davon ab, sofort mit den Fotos aufzuhören und mit dem Filmen anzufangen?

Das Fotografieren beherrsche ich jetzt, da fühle ich mich sicher.