Dramaboy

Essay
zuerst erschienen 2007 in Starship Nr. 10, S. 70ff

Dieser Text handelt von einer Verwechslung und deren Vervielfältigung. Ob es eine Verwechslungskomödie oder eine Tragödie ist, sei vorläufig dahingestellt. Kommt es zu einer Verwechslung, liegt darin zuerst eine Möglichkeit: Der Pfad der gezielten Handlung wird aufgrund der Irritation verlassen und es besteht die Gelegenheit, irgendwo anzukommen, wo man nicht hinwollte.
Manche Menschen mögen solche Unfälle gegenüber der Zielstrebigkeit nicht. Diese Menschen glauben, sie seien auf dem richtigen Weg und haben Angst, doch nicht anzukommen. Ich bevorzuge den Glauben, Verwechslungen bieten Chancen. Die sich ergebenden Abwege führen von den Zielen weg, die man sich gesteckt hat und an denen, wäre man angekommen, vielleicht nur eine Enttäuschung gewartet hätte. In der Kunst, aber nicht nur dort, können Verwechslungen höchst produktiv sein. Ich würde sogar soweit gehen, dass Kunst meist überhaupt erst interessant wird, wenn einer oder eine etwas verwechselt. Ob die hier dargestellten Verwechslungen zu etwas Interessantem geführt haben, bleibt vorläufig offen. Aus den Verwechslungen lässt sich aber meines Erachtens Ausreichendes lesen, so dass ich mir erlauben werde, das verwechselnde Subjekt, eine Reihe der Protagonisten und Konsumenten der sogenannten „neuen Malerei aus Deutschland“ zu vernachlässigen.
Für diesen Weg habe ich mich nicht so leichtfertig entschieden, wie sich das hier vielleicht liest, sondern eine Zwickmühle hat mich dazu gezwungen. Die Situation auf dem Spielbrett stellte sich so dar, dass über das Phänomen „Neue Malerei aus Deutschland“ kaum geschrieben wird. Sicher, es gibt massenhaft journalistische Berichterstattung, doch fast niemand versucht sich aus dem Innern der Sprache heraus dem Phänomen zu nähern. Nun habe ich kein Problem damit, aus der Reihe zu tanzen, tue es aber nicht einfach so. Dafür braucht es schon einen Grund. Den gab es erst mal nicht und streng betrachtet, konnte man auch den Eindruck bekommen als wollte der Sprache zu dem Phänomen, und damit auch denen, die es darstellen, einfach nichts einfallen. Sie stand stumm herum und kuckte wie eine desinteressierte Zehnjährige.
Ich glaube, dass man die Worte nicht zwingen soll, wenn sie mürrisch in der Ecke stehen. Und das Schweigen im Wald ist sicher oft auch eine schöne Sache. Hingegen glaube ich aber auch, dass ohne Sprache alles in einem Halbdunkel bleibt. Betrachtet man etwas bei solch schlechter Beleuchtung, verdirbt man sich die Augen und irgendwann sieht alles unscharf aus. Ich stand also im Nebel und hatte andererseits eine scharf gezeichnete Verwechslung im Auge. Als Lösung fiel mir nur ein, zum Ursprung der Verwechslung zurück zu gehen.
Einen Ausweg fand ich darin, über eine alte Arbeit zu schreiben. Ungefähr auf diese Art hoffte ich mich in eine klare Gegenwart schleichen zu können.
Bleibe ich bei dem Selbstbild als Ermittler, könnte ich hier vom Ursprung der Tat sprechen. Heikel wird die Sache aber schon bei der Frage, ob bei dem Künstler von dem Täter gesprochen werden kann? Der Hersteller der Arbeit wollte sicher Verwirrung stiften, zielte aber nicht unbedingt auf die Verwechslung, zu der es dann kam. Die Stiftung von Verwirrung und Missverständnis sollte aber ein gutes Recht bleiben, auch wenn am Ende ein stumpfer Blödsinn und das falsche Missverständnis herauskommt. Sicher war seitens des Verdächtigen K. Vorsatz im Spiel. Ihm kann aber nicht nachgewiesen werden, dass er auch nur im Ansatz ahnte, dass im Jahre 2003 eine Ausstellung den Titel: Lieber Maler, male mir… tragen würde oder harm- und schamlose Pinselschwinger ihn zu ihrem Vorbild erklären würden.
Die Ausstellung war ein Symptom für eine Reihe von Malerei- Ausstellungen. Unter dem Titel Lieber Maler, male mir…, der ein wenig klang wie der Brief eines Kindes, zeigte die Frankfurter Schirn vor vier Jahren eine Reihe internationaler Positionen, die den Kuratoren als aktuell interessante Malerei erschienen. Erklärt wurde der Titel als Referenz an Martin Kippenbergers gleichnamige Bildserie aus 1979. So genau wollte man es mit dem Verweis an den zum Paten des aktuellen Phänomens stilisierten toten Künstler dann aber doch nicht nehmen: Kippenbergers Bildserie wurde zwei Jahre falsch datiert und kurz als „polemisch“ abgestempelt.
Etwas mehr hat der Titel der tragischen Komödie Lieber Maler, male mir … schon zu bieten. Sieht man sich den scheinbar so banalen Halbsatz genauer an, stellt man fest: Der Adressierte hat keinen Namen, sondern nur eine Profession. Er ist Maler. Ein Maler, den man darum bitten kann zu malen. An der Stelle, wo das Objekt-Sujet erwartet wird, stehen drei Punkte, die wohl mit Wünschen gefüllt werden konnten. Die Leerstelle will vielleicht aber auch sagen, dass das, was der Maler malt, nicht so wichtig ist, sondern dass es vor allem um die Tatsache geht, dass der Maler malt. Egal was die Leerstelle auch markiert, in jedem Fall malt der Maler nicht für sich selbst, sondern für den, der ihm den Auftrag gibt. Im Falle der besagten Bildserie waren der Auftraggeber und derjenige, der das Szenario des Auftrags und seiner Ausführung formulierte identisch in der Person Martin Kippenbergers, der darüber hinaus mit der Rolle eines Touristen das Sujet der Serie vorgab.
Der Schulabbrecher, unausgelernte Dekorateur, geheilte Drogist und verkrachte Kunststudent war zum Zeitpunkt dieser Ausstellung alles mögliche, aber kein Maler. Von dem vielen was er war, war Kippenberger vielleicht zuerst ein Schauspieler. Ganz konkret hatte er gerade in dem Kinofilm Gibi West Germany einen Ehemann besetzt. Er betätigte sich zudem aber auch als Mitbetreiber eines Tanzlokals und eines Büros. Wie so viele Kinder aus bürgerlichem Elternhaus träumte er davon, seine sich etwas versprengt darstellende Identitätsfragen in der Niederschrift eines Romans zu einem sinnvollen Ganzen zu versammeln.
Mit der Arbeit Lieber Maler, male mir … trat Kippenberger erstmals in einer Ausstellung öffentlich als Maler auf. Der Auftritt gelang, ohne dass er einen Pinsel in die Hand nahm. Das Sprachspiel formulierte sich fraglos elegant zu einem Zeitpunkt, als in Deutschland Malerei, die als neu und wild bezeichnet wurde, für Furore sorgte. Kippenberger gab aber nicht nur den Löffel ab, bevor er ihn überhaupt einmal in die Suppe getaucht hatte, sondern ließ alles andere als neu und wild malen. Stilistisch waren die Bilder des Mietmalers einer Art trivialem Fotorealismus verpflichtet, der ansonsten bei den Besitzern von Kinos als Außenwerbung gefragt war.
 Man kann das alles als polemische Bemerkung zu einem Kunsttrend verstehen. Es wäre dann eine Bemerkung gewesen, die den ironischen Effekt auslöste, dass Kippenberger zu einem der erfolgreichsten Vertreter dieses Trends wurde. Mir scheint es aber interessanter, dass von Kippenberger in Szene gesetzte Sprachspiel buchstäblicher zu nehmen: Dann hätte der liebe Plaktatmaler die Werbung für den Film - der den Titel Der Maler Kippenberger gehabt haben könnte, besetzt mit Martin Kippenberger - gemalt. Es wäre ein Realfilm gewesen, für den nur geworben wurde und dessen Zentrum leer blieb, da es den Maler Kippenberger ja eigentlich gar nicht gab.
Dass der mit der Wirklichkeit verwechselte Film ein Erfolg wurde, überrascht nur bedingt. Virtuos operiert das Sprachspiel mit den Strategien der Verführung. Es setzt darauf, dass Begehren nicht zu erfüllen, sondern ins Leere laufen zu lassen, damit es am nächsten Abend um ein weiteres Zusammentreffen bittet. Kippenberger hatte also seinen bisher größten Erfolg als Schauspieler in der Rolle eines Malers, der sich wieder selber malen ließ.
 Als Sohn eines Fabrikanten daran gewöhnt, andere für sich arbeiten zu lassen, ließ Kippenberger jetzt immer mehr Bilder von immer neuen Mitarbeitern malen. Gelegentlich malte er sogar auch selber, aber ums Handanlegen ging es ihm dabei nur bedingt.
 Um die Kontinuität der Verführung zu gewährleisten, war nun nicht mehr mit solcher Eindeutigkeit erkennbar, dass es nicht darum ging, der Malerei einen neuen Dreh abzugewinnen, sondern eine ungreifbare Indifferenz herzustellen, die in einer existenziellen Frage mündete. Zu diesem Zweck wurden die Mitarbeiter mit viel Bedacht gewählt und die Ansprüche, wie ein Kippenberger Bild auszusehen hätte, verfeinerten sich zunehmend.
Nun wäre zu kurz gegriffen, Kippenberger auf die Rolle des Schauspielers und Verführers zu reduzieren, der das Begehren, mit dem er pokerte, immer wieder ins Leere laufen ließ. Doch beherrschte er das kunstvolle Spiel der Schau und des Vorenthaltens, so gut, dass die große Depression, die dahinter rumorte, immer wieder übersehen wurde.
Wie beim traditionellen Drama geht es in dieser Depression um etwas, dass sich nicht aus der Welt schaffen lässt. Es geht um eine Unmöglichkeit, die nicht persönlich, sondern allgemein ist. Es war die ständige Wiederholung der eigenen Abwesenheit und der Versuch, sich durch eine mehrfach in sich gefaltete Form seiner Selbst zu versichern. Immer wieder tastete Kippenberger die Stelle, an der sich nichts mit Gewissheit finden wollte, durch immer grotesker verzerrte Selbstabbildungen ab. Immer wieder stieß er nur auf Verwechslungen. Ausstellungen waren oft nur Vorwände, den Eigennamen auf Plakaten und Einladungskarten zu wiederholen. Es war ein andauerndes Suchen nach etwas, wie einem Selbst oder zumindest einem Schatten davon, vor dem er weglaufen konnte.
Nun gibt es nach dem großartigen, wie tragischem Martin Kippenberger und seinem Drama mit dem Selbst erst mal nichts dagegen einzuwenden, dass wieder gemalt wird. Was jedoch verwundert, ist die Sorglosigkeit, mit der dies getan wird. Es ist im foucaultschen Sinne eine seltsame Sorglosigkeit um das Selbst, dieses Selbst, das Kippenberger bis zum Äußersten als gesellschaftliche und kulturelle Konstruktion hinterfragt hat. Eine Suche die immer wieder zu dem Schluss kam, einer Verwechslung auf den Leim gegangen zu sein und sich wieder von dem Gefundenen verabschieden zu müssen. Das jetzt die, die meinen, sie hätten was gefunden, wo sie sich einrichten könnten, den der vorführte, es gäbe nichts zu finden, zur Vorlage erklären, ist eine Verwechslung, die vor allem die Blindheit der Verwechselnden wiederspiegelt.